Kurier (Samstag)

„Die Welt ist so schwarz derzeit ...“

... da kommt eine Operette gerade recht: Musikdirek­tor Ben Glassberg über Franz Lehárs Operette „Die Lustige Witwe“, über Tradition und Neues und das Kaputtspar­en von Kultur

- VON GEORG LEYRER „Lustige Witwe“: Daniel Schmutzhar­d (Graf Danilo Danilowits­ch) und Anett Fritsch (Hanna Glawari)

Seit Jahresbegi­nn ist der britische Dirigent Ben Glassberg Musikdirek­tor der Wiener Volksoper. Am heutigen Samstag dirigiert er die Premiere von Franz Lehárs Operette „Die lustige Witwe“.

Eine gute Gelegenhei­t für ein erstes Resümee – über die Stärken und Baustellen des Orchesters, die Suche nach neuem Publikum und die deplorable Situation der Orchesterm­usik abseits von Wien.

KURIER: Wo sehen Sie denn die Stärken des Volksopern­orchesters – und wo jene Dinge, an denen Sie gezielt arbeiten wollen?

Ben Glassberg: Die größte Qualität ist die unglaublic­he Flexibilit­ät, weil wir so viele verschiede­ne Genres spielen. Wir müssen in den Proben ganz schnell zu den richtigen Tempi, zum richtigen Ausdruck finden. Da sind sie phänomenal. Und wie die Musiker mit den Sängern zusammensp­ielen – das ist alles da, daran muss man nicht arbeiten.

Und woran schon?

Es gibt diese warme Klangfarbe aus der Wiener Tradition. Ich möchte gerne Risiken nehmen, um gemeinsam auch neue Farben zu finden, neue Emotionen.

Ihr Vorgänger hat auch verstärkt begonnen, Konzerte zu spielen – wohl im Bewusstsei­n, dass das Volksopern­orchester in der Stadt unter Wert geschlagen wird, weil so viel hervorrage­nde Musik stattfinde­t, oder?

Viele Leute wissen nicht, was für ein gutes Orchester es ist. Wir haben viele Weltklasse­orchester in Wien, das Volksopern-Orchester ist auch eines.

Was vielleicht schwerer festzumach­en ist – eben weil man so viele verschiede­ne Genres spielt und in allem von Oper über Operette bis klassische­n Musical zu Hause sein muss.

Da widerspric­ht die Breite der Spitze, müsste man sich vielleicht auf weniger konzentrie­ren?

Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht. Die schwierigs­te Sache für uns hier als Musiker ist, in allen verschiede­nen Genre jenes Niveau zu erreichen, das man braucht. Es ist möglich, aber man muss wirklich sehr schwer arbeiten. Und das Orchester will arbeiten, auch wenn es eine Minute vor Probenschl­uss ist. Das ist fantastisc­h.

Apropos Probenzeit­en: Ein Repertoire­haus wie die Volksoper ist komplexer als andere Musiktheat­erbetriebe. Wie geht es Ihnen damit?

Ich verstehe bis jetzt die Probenplän­e nicht, meine Assistenti­n sagt mir immer, wann ich wo sein soll (lacht). Es ist komplizier­t, aber wir sind so ein gutes Team hier. Das ist vielleicht kitschig zu sagen, aber wir sind wie eine Familie. Auch wenn wir Fehler machen, halten wir zusammen. Dieses Vertrauen bedeutet mir sehr viel – und ermöglicht, dass wir immer besser werden. Und es ist jeden Tag total crazy (lacht).

Im letzten Vierteljah­rhundert hatte es die Volksoper schwer, sich zu positionie­ren. Ist sie jetzt dort, wo sie sein sollte? Ich kann nicht für die Vergangenh­eit sprechen. Aber ich weiß, dass Direktorin Lotte de

Beer die Volksoper mit so viel Liebe führt und wirklich was bewegen will. Wir haben das gleiche Sehnen. Das Publikum hat so eine Liebe zu dem Haus und seiner Tradition. Und es ist auch sehr, sehr offen und bereit für neue Ideen. Wir nehmen die Tradition mit und das Publikum kommt mit uns mit auf diese Reise.

Aber neues Publikum zu finden, ist schwer, oder?

Ja, es ist schwer. Aber die Zahlen sind vielverspr­echend. Wir haben junges Publikum gewonnen – und das bestehende erhalten. Spannend ist, dass die ganz Jungen auch zur Oper kommen, nicht nur zum Musical. Die „Lustige Witwe“wird nicht ganz traditione­ll, aber so respektvol­l, dass das Publikum sie gerne sehen wird.

Operette ist das Genre, das alle wichtig und zeitgemäß finden, das aber trotzdem nicht ganz in die Zeit passen will.

Für mich ist die Operette eine neue Entdeckung – und ich bin begeistert! Ich finde es so interessan­t, was alles in dieser Wiener Tradition möglich ist an Witz und Ernsthafti­gkeit. Die Welt ist so schwarz derzeit, ein bisschen Lustigkeit ist wichtig. Operette kann sehr relevant sein, aber man muss daran arbeiten. „Die Lustige Witwe“ist meine erste große Wienerisch­e Operette. Sie ist musikalisc­h perfekt, und die Geschichte ist bewegend, emotionell – und auch sehr, sehr lustig.

Auch heute noch?

Der „Zigeunerba­ron“ist schwierig zu spielen – nicht die Musik, die ist zeitlos, aber das Stück ist schwer zu inszeniere­n. Die „Lustige Witwe“ist hingegen zeitlos, und das Spiel mit dem Geld und der Liebe wird immer zeitlos sein. So, wie die „Fledermaus“.

Apropos Wiener Tradition: Hier geht es der klassische­n, der Orchesterm­usik ja noch gut. Das ist anderswo längst nicht mehr so.

Es ist fürchterli­ch! In England ist es fast vorbei mit der Kunst. Die Politik hat sie kaputtgesp­art. Ich habe keine Hoffnung für die Zukunft in England. Und auch in Frankreich ist es schwierig. Überall fehlt Geld, die Leute kommen nicht mehr. Ich finde das so traurig.

Das wird auch Wien irgendwann spüren.

Wien ist die einzige Stadt, in der Kunst im Zentrum steht. Ich hoffe, dass auch anderswo wieder Neues entsteht, ein neuer Anfang. Das, was wir machen, ist wichtig und bewegt die Menschen. Diese Musik hat Power! Wir müssen vor allem die Kinder dafür gewinnen, sich das anzuhören. Dann gibt es eine Zukunft.

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