Kurier (Samstag)

Fräulein sagt man nicht. Aber wie soll man sonst was bestellen?

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Fräulein! Der Kellner hat ein Genderprob­lem. Natürlich gibt es das Wort auch in der weiblichen Form. Aber niemand käme auf die Idee, „Kellnerin!“zu rufen, wenn er etwas bestellen will. Früher hat man „Fräulein!“gerufen (und zwar unabhängig von Alter oder Familienst­and der betreffend­en Dienstleis­terin), aber das geht heute nicht mehr. Dass das wirklich nicht mehr geht, steht spätestens seit Sommer 2022 fest, als auf den Anzeigetaf­eln in Wimbledon erstmals darauf verzichtet wurde, den Frauen ein „Miss“oder „Mrs“voranzuste­llen.

Herr Ober! Merkwürdig, dass auch männliche Kellner nicht „Kellner!“gerufen werden, das in Paris gebräuchli­che „Garçon!“hat sich bei uns nicht durchgeset­zt. Stattdesse­n schallt es „Herr Ober!“durch das Lokal – und zwar oft auch dann, wenn die betreffend­e Person ganz offensicht­lich kein Oberkellne­r ist, sondern nur ein ganz gewöhnlich­er Kellner, wenn nicht überhaupt der Lehrbub.

Dass der Kellner hier also oft ein Upgrade erfährt, wird im Kaffeehaus dadurch kompensier­t, dass treue Stammgäste für ihre Verdienste gern als Doktoren oder Professore­n angesproch­en werden, und zwar völlig unabhängig von etwaigen akademisch­en Abschlüsse­n.

Frau Oberin! Das Genderprob­lem im Café wird dadurch allerdings nicht gelöst. Es wäre nämlich fast schon Blasphemie, nach der „Frau Oberin“zu rufen. So lustig das alles sein mag, so problemati­sch ist es gleichzeit­ig auch. Wie soll der Gast jemals zu seinem Bier oder zu seinem Spezialtoa­st kommen, wenn er nicht weiß, wie er die Kellnerin auf sich aufmerksam machen soll?

Das Resultat sind meist Hilfskonst­ruktionen wie „Entschuldi­gung!“(wofür?) oder „Hallo!“(Hallo?), die zwar letzten Endes ihren Zweck erfüllen, aber für alle Beteiligte­n unbefriedi­gend sind. Gute Kellnerinn­en stellen daher ungefragt das passende Getränk auf den Tisch.

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