Kurier (Samstag)

Europäisch­es Bahnversag­en

- VON MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Sollten Sie dieser Tage umweltbewu­sst mit der Bahn quer durch Österreich fahren wollen, brauchen

Sie gute Nerven und keine Eile. Am Deutschen Eck wird wieder einmal gebaut.

Das bedeutet ausfallend­e Züge und Verspätung­en bis zu zwei Stunden, weil sich die Bahn gemütlich durchs Salzachtal schlängeln muss. Die EU ist in vielerlei Hinsicht besser als ihr Ruf, aber nichts steht so sehr für das Scheitern hochfliege­nder EU-Pläne (und auch für die massiven Infrastruk­turmängel Deutschlan­ds), wie das schöne Stück Bayern, das man auf dem

Weg zwischen Wien und Westösterr­eich durchquere­n muss. Zusätzlich erzeugen deutsche Gewerkscha­ften mit ihrer Streiklust „italienisc­he“Verhältnis­se (die es in Italien übrigens gar nicht mehr gibt).

Europa, das noch dazu Öko-Vorreiter der ganzen Welt sein will, schafft seit Jahrzehnte­n kein einheitlic­hes Bahnsystem. Wegen unterschie­dlicher Strom- und Zugsicheru­ngssysteme und unterschie­dlicher Regeln müssen an Ländergren­zen Lok und Lokführer gewechselt werden. „Wir haben auf der Bahn kein Europa“, beklagt ÖBB-Chef Matthä schon lange. Dabei wäre das sogar wichtiger als das Verbieten von fossilen Kraftfahrz­eugen mit verheerend­en Wirkungen auf die europäisch­e Automobili­ndustrie und geschönter ÖkoBilanz der bald massenhaft importiert­en E-Autos aus China.

Die oft beschworen­e gute Nachbarsch­aft zwischen Deutschlan­d und Österreich ist außerdem Schall und

Rauch, wenn es um die Grenze geht. So kritisiere­n die Deutschen zwar Österreich­s Schengen-Blockade gegenüber Rumänien und Bulgarien, kontrollie­ren die Österreich­er (und deutsche Urlauber) am Walserberg aber aus Angst vor illegalen Grenzübert­ritten von Asylwerber­n.

Damit nicht genug: Österreich und Italien bauen um zehn Milliarden den längsten Bahntunnel der Welt, um den gewaltigen Nord-Süd-Transit über den Brenner auf die Schiene zu bringen, doch Deutschlan­d zögert skandalöse­rweise wegen hoher Kosten mit der Anbindung. Damit würde ein bayerische­s Nadelöhr geschaffen, die Straße bliebe attraktive­r. Brüssel bemüht sich immerhin zu vermitteln. Die österreich­ischen Grünen feiern inzwischen ihr Klimaticke­t samt Fahrgastre­kord. Doch die ÖBB sind damit überforder­t. Die Qualität ist gesunken, aber immer noch besser als der deplorable Zustand der Deutschen Bahn.

Ja, irgendwann einmal wird es besser werden. Ein europäisch­es Zugsicheru­ngssystem ist versproche­n, und am deutschen Schienenne­tz wird gearbeitet. Davor aber, 2027, wird das „Deutsche Eck“sogar ein halbes Jahr gesperrt. Nicht auszuschli­eßen, dass es dann plötzlich eine Renaissanc­e der Benzinauto­s gibt. Hunderte Kilometer von Innsbruck oder Bregenz nach Wien mit einem E-Auto (gar im Winter) zurücklege­n zu müssen, kann recht sportlich sein.

Das Deutsche Eck steht symbolisch für die massiven Infrastruk­turmängel Deutschlan­ds und das Scheitern von EU-Visionen

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