Österreich will nicht England sein
Wer durch ein Bauprojekt der Natur schadet, muss diesen Schaden auf der Insel künftig überkompensieren. Das könnte am Ende auch den Bauern helfen. Hierzulande winkt man aber ab
Die Welt erlebt derzeit das größte Massensterben seit dem Ende der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren. Die Wurzel des Übels ist, wie auch bei den anderen Teilen der sogenannten „dreifachen planetarischen Krise“, Klimawandel und Umweltverschmutzung, der ungebremste Ressourcenverbrauch der Menschheit – in diesem Fall der Bodenverbrauch. Die Reaktion auf die Bedrohung ist praktisch überall zögerlich – siehe das Ringen um eine österreichische Bodenstrategie.
England, geh voran
In England versucht man nun, das Problem anzupacken. Ab April müssen sämtliche Bauprojekte, ob Wohn-, Straßenoder Bahnbau, den durch die Entwicklung verursachten Biodiversitätsverlust nicht nur ausgleichen, sondern auf die Dauer von zumindest 30 Jahren um zehn Prozent übererfüllen. Wird etwa ein Wald für den Bau einer Straße gerodet, muss ein um zehn Prozent größerer Wald an anderer Stelle gepflanzt werden. Sophus zu Ermgassen, Ökologe an der Universität Oxford und Berater der britischen Regierung, spricht von „einem der ambitioniertesten Biodiversitätsvorhaben der Welt“.
Im Kern funktioniert das so: Schon bei der Einreichung müssen Projektwerber den Biodiversitätsverlust nach einer vorgegebenen Formel berechnen – und angeben, wie sie ihn ausgleichen wollen. Das soll, wo möglich, vor Ort geschehen, kann aber auch an anderer Stelle passieren. Die nötigen Ausgleichsflächen könnten etwa auf wenig ertragreichem Ackerland geschaffen und am Ende als Biodiversitätszertifikate gehandelt werden. Möglicher Nebeneffekt: ein konstantes Zusatzeinkommen für Bauern, die ihre Flächen verpachten.
Ob sich tatsächlich ein solcher Markt bildet, wird auch international mit Spannung erwartet. „Andere Länder beobachten uns und sehen, wie es sich entwickelt“, sagt Biologin Natalie Duffus von der Universität Oxford zum Guardian. Wenn es funktioniert, könne es aber „entsprechende Märkte in vielen verschiedenen Ländern inspirieren“.
Auch in Österreich? Eher nicht. Wenngleich das „beispielgebende“Gesetz für Franz Essl, Ökologe an der
Universität Wien und Wissenschafter des Jahres 2022, „definitiv“ein sinnvoller Ansatz wäre. „Es zeigt, dass eine intakte Natur nicht selbstverständlich ist, und schon gar nicht gratis“, so Essl, „sondern, dass sie uns etwas wert sein muss“.
Vorbild für Österreich
Zwar gibt es ähnliche Ansätze, etwa im Rahmen von UVP-Verfahren vorgeschriebene Ausgleichsmaßnahmen. Aber „das englische Gesetz geht hier viel weiter, und das sollte ein Vorbild für Österreich sein.“Auch die erforderlichen, nicht dringend für die Landwirtschaft benötigten Flächen wären vorhanden.
Die Landwirtschaftskammer widerspricht. Durch das EU-Naturschutz-Regime unterlägen bereits rund 25 Prozent der Flächen einem strengen Schutz. Jede weitere Form der Unterschutzstellung zu Zwecken der Biodiversität bzw. des Naturschutzes werde daher „als nicht zielführend erachtet und abgelehnt“.
Ablehnend gibt man sich auch im Landwirtschaftsministerium. „Eine generelle Vorgabe für derartige Ausgleichsflächen wird als wenig sinnvoll erachtet, da es immer auf das Ausmaß der Bautätigkeit bzw. auch das Ausmaß der Eingriffe in Ökosysteme ankommt“, heißt es dort. Für eine genauere Beurteilung wäre jedoch „eine eingehendere rechtliche Analyse erforderlich“.
Für Essl ist hingegen „klar, dass stabile und gesicherte Ernteerträge nur in einer intakten Kulturlandschaft möglich sind – alleine schon wegen der Bestäuber und Nützlinge, die in einer ausgeräumten Landschaft keine Chance haben“. Daher sei es wichtig, Hecken, Blumenwiesen und Feuchtgebiete zu renaturieren – und noch wichtiger, den „unglaublich großen Flächenverbrauch“Österreichs einzudämmen.
Das sieht man auch in Brüssel so. Die konkrete Regelung kommentiere man nicht, schreibt ein Kommissionssprecher.
Der EU-Standpunkt, dass Schäden „in erster Linie vermieden und minimiert werden sollten“, sei jedoch bekannt, Ausgleichsmaßnahmen hingegen der letzte Schritt.
Zudem ist das Gesetz natürlich noch kein Garant für das Gelingen des Vorhabens. „Der Teufel steckt wie immer im Detail“, sagt Essl. Dieser Gefahr ist man sich auch bei Umweltschützern wie „Campaign for Nature“bewusst. Dennoch: „Grundsätzlich ist es von entscheidender Bedeutung, dass unsere Regierungen beginnen, die biologische Vielfalt als das öffentliche Gut anzuerkennen, das es ist, wie der Gesetzesvollzug oder die Landesverteidigung.“