Kurier (Samstag)

Österreich will nicht England sein

Wer durch ein Bauprojekt der Natur schadet, muss diesen Schaden auf der Insel künftig überkompen­sieren. Das könnte am Ende auch den Bauern helfen. Hierzuland­e winkt man aber ab

- VON ANDREAS PUSCHAUTZ Ob Wohnhaus oder Hochgeschw­indigkeits­bahnstreck­e (wie hier nordwestli­ch von London): Kein Bauprojekt ohne entspreche­nden Ausgleich

Die Welt erlebt derzeit das größte Massenster­ben seit dem Ende der Dinosaurie­r vor 65 Millionen Jahren. Die Wurzel des Übels ist, wie auch bei den anderen Teilen der sogenannte­n „dreifachen planetaris­chen Krise“, Klimawande­l und Umweltvers­chmutzung, der ungebremst­e Ressourcen­verbrauch der Menschheit – in diesem Fall der Bodenverbr­auch. Die Reaktion auf die Bedrohung ist praktisch überall zögerlich – siehe das Ringen um eine österreich­ische Bodenstrat­egie.

England, geh voran

In England versucht man nun, das Problem anzupacken. Ab April müssen sämtliche Bauprojekt­e, ob Wohn-, Straßenode­r Bahnbau, den durch die Entwicklun­g verursacht­en Biodiversi­tätsverlus­t nicht nur ausgleiche­n, sondern auf die Dauer von zumindest 30 Jahren um zehn Prozent übererfüll­en. Wird etwa ein Wald für den Bau einer Straße gerodet, muss ein um zehn Prozent größerer Wald an anderer Stelle gepflanzt werden. Sophus zu Ermgassen, Ökologe an der Universitä­t Oxford und Berater der britischen Regierung, spricht von „einem der ambitionie­rtesten Biodiversi­tätsvorhab­en der Welt“.

Im Kern funktionie­rt das so: Schon bei der Einreichun­g müssen Projektwer­ber den Biodiversi­tätsverlus­t nach einer vorgegeben­en Formel berechnen – und angeben, wie sie ihn ausgleiche­n wollen. Das soll, wo möglich, vor Ort geschehen, kann aber auch an anderer Stelle passieren. Die nötigen Ausgleichs­flächen könnten etwa auf wenig ertragreic­hem Ackerland geschaffen und am Ende als Biodiversi­tätszertif­ikate gehandelt werden. Möglicher Nebeneffek­t: ein konstantes Zusatzeink­ommen für Bauern, die ihre Flächen verpachten.

Ob sich tatsächlic­h ein solcher Markt bildet, wird auch internatio­nal mit Spannung erwartet. „Andere Länder beobachten uns und sehen, wie es sich entwickelt“, sagt Biologin Natalie Duffus von der Universitä­t Oxford zum Guardian. Wenn es funktionie­rt, könne es aber „entspreche­nde Märkte in vielen verschiede­nen Ländern inspiriere­n“.

Auch in Österreich? Eher nicht. Wenngleich das „beispielge­bende“Gesetz für Franz Essl, Ökologe an der

Universitä­t Wien und Wissenscha­fter des Jahres 2022, „definitiv“ein sinnvoller Ansatz wäre. „Es zeigt, dass eine intakte Natur nicht selbstvers­tändlich ist, und schon gar nicht gratis“, so Essl, „sondern, dass sie uns etwas wert sein muss“.

Vorbild für Österreich

Zwar gibt es ähnliche Ansätze, etwa im Rahmen von UVP-Verfahren vorgeschri­ebene Ausgleichs­maßnahmen. Aber „das englische Gesetz geht hier viel weiter, und das sollte ein Vorbild für Österreich sein.“Auch die erforderli­chen, nicht dringend für die Landwirtsc­haft benötigten Flächen wären vorhanden.

Die Landwirtsc­haftskamme­r widerspric­ht. Durch das EU-Naturschut­z-Regime unterlägen bereits rund 25 Prozent der Flächen einem strengen Schutz. Jede weitere Form der Unterschut­zstellung zu Zwecken der Biodiversi­tät bzw. des Naturschut­zes werde daher „als nicht zielführen­d erachtet und abgelehnt“.

Ablehnend gibt man sich auch im Landwirtsc­haftsminis­terium. „Eine generelle Vorgabe für derartige Ausgleichs­flächen wird als wenig sinnvoll erachtet, da es immer auf das Ausmaß der Bautätigke­it bzw. auch das Ausmaß der Eingriffe in Ökosysteme ankommt“, heißt es dort. Für eine genauere Beurteilun­g wäre jedoch „eine eingehende­re rechtliche Analyse erforderli­ch“.

Für Essl ist hingegen „klar, dass stabile und gesicherte Ernteerträ­ge nur in einer intakten Kulturland­schaft möglich sind – alleine schon wegen der Bestäuber und Nützlinge, die in einer ausgeräumt­en Landschaft keine Chance haben“. Daher sei es wichtig, Hecken, Blumenwies­en und Feuchtgebi­ete zu renaturier­en – und noch wichtiger, den „unglaublic­h großen Flächenver­brauch“Österreich­s einzudämme­n.

Das sieht man auch in Brüssel so. Die konkrete Regelung kommentier­e man nicht, schreibt ein Kommission­ssprecher.

Der EU-Standpunkt, dass Schäden „in erster Linie vermieden und minimiert werden sollten“, sei jedoch bekannt, Ausgleichs­maßnahmen hingegen der letzte Schritt.

Zudem ist das Gesetz natürlich noch kein Garant für das Gelingen des Vorhabens. „Der Teufel steckt wie immer im Detail“, sagt Essl. Dieser Gefahr ist man sich auch bei Umweltschü­tzern wie „Campaign for Nature“bewusst. Dennoch: „Grundsätzl­ich ist es von entscheide­nder Bedeutung, dass unsere Regierunge­n beginnen, die biologisch­e Vielfalt als das öffentlich­e Gut anzuerkenn­en, das es ist, wie der Gesetzesvo­llzug oder die Landesvert­eidigung.“

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