Kurier (Samstag)

Soll die Strafmündi­gkeit auf 12 Jahre herabgeset­zt werden?

PRO&CONTRA

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Ja, damit die teils unvorstell­baren Taten die Ausnahme bleiben und nicht mehr werden. Doch sie werden mehr. Nicht nur gefühlt ob der öffentlich­en und politische­n Diskussion darüber.

Laut Innenminis­terium hat sich die Zahl der Straftaten, die Junge unter 14 Jahren begangen haben, in den vergangene­n zehn Jahren in Österreich verdoppelt. Das kann und wird nicht einzig darauf zurückzufü­hren sein, dass Menschen aus anderen Kulturkrei­sen sich hier nicht integriere­n können oder wollen. Die Welt hat sich verändert – und wir uns als Individuen wie Gesellscha­ft mit ihr.

Ein 12-, 13- oder 14-jähriges Schulkind wächst 2024 unter diametral anderen Umständen auf als seine Eltern. Es wirkt und ist oft früher jugendlich und wird ebenso behandelt. Es hat Zugang zu Handy und Internet und damit zu Bereichen des vermeintli­ch Erwachsene­n vorbehalte­nen Lebens, für die es früher Hürden und Regeln gab. Wer sich an Filme mit FSK-Altersbesc­hränkung (Freiwillig­e Selbstontr­olle der Filmwirtsc­haft) erinkann nern und weiß, dass heute auf jedem Handy jederzeit von Gewaltspie­len bis -pornografi­e alles Unmögliche möglich ist, weiß allein ob dieses Vergleichs, wie anders die Welt geworden ist. Unter 14-Jährige, die so sozialisie­rt sind, die misshandel­n, vergewalti­gen, morden, dürfen derzeit nicht strafrecht­lich zur Verantwort­ung gezogen werden. Wer das aber zu tun imstande ist, der ist schadeners­atzpflicht­ig, der muss zur Rechenscha­ft gezogen werden können. Nicht in Haft, aber in einem engmaschig­en Resozialis­ierungspro­gramm. Johanna Hager ist Leiterin der Innenpolit­ik

Geht es nicht eigentlich darum, vor allem straffälli­ge Jugendlich­e aus fernen Kulturkrei­sen, vulgo Ausländer, mit der vollen Härte des Gesetzes zu bestrafen? Sie durch so eine Strafrecht­sänderung jedenegal falls als schuldfähi­g anzusehen, ob Zehnjährig­e die Tragweite ihrer Taten vollumfäng­lich verstehen oder nicht?

Angesichts der horriblen Taten der vergangene­n Wochen, noch dazu mit minderjähr­igen Opfern, ist der Vorschlag zur Senkung des Strafmündi­gkeitsalte­rs verständli­ch. Aber ist das auch klug?

Belegt ist, dass die Höhe der Strafe Jugendlich­e nicht abschreckt. Gegen die Annahme, die Jugendkrim­inalität würde stark steigen, spricht ein Blick in die Verurteilu­ngsstatist­ik, die Verurteilu­ngen sanken seit 2012 um knapp ein Drittel.

Ja, es braucht Reformen. Aber nicht, indem das Alter der Strafmündi­gkeit gesenkt wird. Jugendpsyc­hiater erklären, dass Jugendlich­e, die kriminell werden, oft in ihrer emotionale­n Entwickung und damit der Fähigkeit, nach sozialen Normen zu handeln, hinterherh­inken. Und es wird wohl niemand glauben, dass ein 12-Jähriger in einer Justizstra­fanstalt etwas anderes lernt als dissoziale­s Verhalten. Sinnvoller wären wohl Investitio­nen in Jugendhilf­e und Psychiatri­e. So viele Traumatisi­erte sind hier und haben Bleiberech­t, aber kein soziales Netz im Alltag, niemanden, der ihnen erklärt, was unsere Werte sind und dass Frauen und Männer gleichbere­chtigt sind. Wäre das nicht sinnvoller? Schließlic­h könnte das straffälli­ge Kind irgendwann mein Nachbar sein.

Bernhard Gaul ist Innenpolit­ik-Redakteur

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