Das Gendern hat eine lange Tradition
:in. Im Mittelalter war von „Gästin“und „Bürgerin“die Rede – Sprache trug der Existenz beider Geschlechter Rechnung. Mit der bürgerlichen Moderne verschwanden die Frauen aus Sprache und Öffentlichkeit
Zu Beginn der Französischen Revolution gab es Hoffnung für die Frauen. „Sie waren präsent wie die Männer – in denselben Vereinen und Gewerkschaften. Erst als es um die Macht und das Wahlrecht ging, haben die Befürworter der Gleichheit der Geschlechter verloren “, erzählt die Frauenforscherin Gabriella Hauch. Und weiter: „Mit der bürgerliche Revolution werden die Frauen in der Öffentlichkeit unsichtbar – und in der Sprache. Das männliche Weltbild setzt sich durch. Man tat so, als ob es geschlechtsneutrale Sphären gäbe – die Politik, den Staat, aber auch die Sprache. Alles auf Männer zugeschnitten.“
Dabei wissen Historiker: Unsere Vorfahren haben jahrhundertelang gegendert, es allerdings nicht so genannt. Im Mittelalter war von „Gästin“und „Bürgerin“die Rede. Die Sprache – sogar die Amtssprache – trug der Existenz beider Geschlechter Rechnung; sie verließ sich nicht auf Fußnoten, um diese Wirklichkeit abzubilden. Auch die Historikerin W alt raudSchützfind et in ihren Quellen aus dem Bieder meier gegend erteBerufsbe zeichnungen:„ Nüchtern betrachtet ging es einfach darum, die Gegebenheiten sichtbar zumachen: Wenn Schülerinnen und Schüler im Raum waren, wurde von Schülerinnen und Schülern berichtet. Eine Graveurin wäre nicht als Graveur bezeichnet worden, eine Lehrerin nicht als Lehrer. Es ging um Genauigkeit, nicht um ideologisch aufgeladene Fragen.“
Gleichzeitig „verschwand“die Erwerbstätigkeit von Frauen oft gänzlich in Matrikenbücher-Einträgen, hat Schütz beobachtet:
„Sie wurden auf ihren Familienstand reduziert und als ,Tochter/Ehefrau/Witwe von …‘ bezeichnet, selbst wenn sie ein eigenständiges Unternehmen hatten.“
Sprachkampf vs. Geschichte
Alles also nicht so eindeutig und im Fluss. Fest steht aber, dass der Kampf gegen Gendersternchen und andere Versuche, eine geschlechter gerechte Sprache umzusetzen, mittlerweile in den Kriegsmodus gewechselt ist, wie die deutsche Kultur theoretiker in Christina von Braun im Magazin Focus diagnostiziert. Daher: Emotion raus, historische Fakten rein: Ja, alle Veränderungen der Sprache rütteln an lieb gewordenen Vorstellungen von „Normalität“. Doch das, was wir für normal halten, muss es historisch gesehen gar nicht sein. Nehmen wir nur das generische Maskulinum, laut dem die Frauen und andere Geschlechter „mitgemeint“seien. Das sei keineswegs „sprachursprünglich, weder im Deutschen noch im Englischen oder Französischen. Im Gegenteil, es entstand vor gar nicht so langer Zeit in einem gewaltsamen Akt der Sprachumgestaltung“, weiß von Braun.
Der Mittelalterforscher Andreas Zajic hat sich das Wiener Stadtrecht von 1221 angeschaut und kommt zum Schluss, dass das Deutsch – anders als lateinische Gesetzestexte, die sich an beide Geschlechter gleichermaßen richteten – damals kein generisches Maskulinum kannte. „Männer und Frauen werden hier sowohl grammatikalisch als auch inhaltlich unterschieden.“Der Herzog von Österreich spricht von „unser Burger“. „Da geht es immer um den männlichen Bürger“, erklärt Zajic. Zumindest in den ersten Paragrafen, die die wichtigsten Fälle vor städtischen Gerichten abhandeln. „Erst später kommen die unwichtigen Spezialfälle, auch die Frauen – etwa Witwen und Waisen oder Vergewaltigungsopfer. Die Sprache war damals präzise und bildet genau die Realität ab.“
Damit sind wir an jenem Punkt, um den es den Gender-Befürwortern geht: Um 1900 gab es weder Wählerinnen noch Professorinnen. Heute gibt es sie – folglich müssen sie auch einen Namen bekommen. Historikerin von Braun: „Man kann versuchen, die Realität durch die Nichtbenennung zu verhindern. Das hält nie lange. Jede neue Wirklichkeit will gesehen, gehört, benannt werden.“