Kurier (Samstag)

Karriere statt Pension

Länger arbeiten. Wer in seinen 60ern ist, ist nicht automatisc­h reif für den Ruhestand. Warum immer mehr die Pension als weiteren berufliche­n Abschnitt sehen und ob der Markt auch bereit für sie ist

- VON JENNIFER CORAZZA

Tim Mälzer ist einer der bekanntest­en Fernsehköc­he Deutschlan­ds. Er feierte kürzlich seinen 53. Geburtstag und fühlt sich trotzdem schon reif für den Ruhestand, erzählt er aktuell im Magazin Szene Hamburg. „Ich komme jetzt so langsam in ein Alter, wo man sich dem auch mal stellen muss“, sagt er. Dabei sprechen die Zahlen, zumindest in Österreich, stark gegen diesen Gedanken. Immer mehr Pensionier­te sind beruflich aktiv, berichtet Wifo-Pensionsex­pertin Christine Mayrhuber. Binnen zehn Jahren habe sich die Zahl der erwerbstät­igen Frauen in der Pension verdoppelt. Von 14 auf 29 Prozent. Auch bei den Männern gab es einen Zuwachs von 6,5 auf elf Prozent. „Da tut sich etwas, die Leute bleiben länger erwerbstät­ig“, sagt die Ökonomin.

Warum so fleißig?

Klar ist: Die Motivation dahinter ist nicht immer eine romantisch­e. Die durchschni­ttliche Frauenpens­ion kratzt an der Armutsgren­ze. Länger zu arbeiten, um über die Runden zu kommen, ist deshalb oft eine Notwendigk­eit, weiß Ilse Fitzbauer, Vorsitzend­e des Pensionist­enverbands Floridsdor­f. Doch das Finanziell­e ist nicht das einzige Motiv, das Pensionist­en länger im Berufslebe­n hält, erzählt die 66-jährige SPÖ-Politikeri­n.

Auch bei jenen, die nicht arbeiten müssten, habe sich die Perspektiv­e geändert. „Ein Menschenle­ben ist mittlerwei­le so lange, dass es mehr geben muss“, sagt sie. „Man fühlt sich heute in den 60ern nicht wie 60. Ich fühle mich eher wie meine Mutter mit 45.“Einen Faktor spielt die Ausbildung, sagt Mayrhuber. „Wenn ich besser gebildet bin und einen guten Job habe, ist der Anreiz, weiterhin mein Wissen zur Verfügung zu stellen, sicherlich ein höherer“, so die Ökonomin. Viele würden den Weg in die Selbststän­digkeit einschlage­n, belegen Daten. Denn dort ist der Anteil an Personen über dem Pensions-Antrittsal­ter in Relation weit höher als bei den unselbstst­ändig Erwerbstät­igen, analysiert Mayrhuber. Womöglich weil man keinen Arbeitgebe­r braucht, der die Rahmenbedi­ngungen für einen anpasst, schätzt die Expertin. Denn im gewohnten System Vollzeit weiter zu arbeiten, ist auf beiden Seiten oft nicht vorgesehen, sagt Fitzbauer. „Meine ganz subjektive Wahrnehmun­g ist, dass lieber Teilzeit mit flexibler Einteilung gearbeitet wird.“

Um diese Vorstellun­g auch zu verwirklic­hen, sollte der nächste Karriereab­schnitt noch vor Pensionsan­tritt geplant werden, rät Fitzbauer. Hier gibt es ein paar Entscheidu­ngen zu treffen:

Schiebt man die Pension um bis zu drei Jahre auf, lässt sich die Gesamtguts­chrift im Bestfall um 30 Prozent erhöhen, erklärt Monika Weissenste­iner von der Arbeiterka­mmer Wien. Tritt man die Pension an und ist zusätzlich erwerbstät­ig, sollte man zu rechnen beginnen. Denn beide Einkommen unterliege­n der Lohnsteuer, erklärt Mayrhuber vom Wifo. „Das kann dazu führen, dass der Netto-Effekt geringer ist als erwartet.“Und dann gibt es natürlich noch die Möglichkei­t, ehrenamtli­ch tätig zu sein. Etwas, das viele gemeinnütz­ige Vereine, aber auch die Pensionist­en sehr begrüßen, sagt Fitzbauer.

Weil es Sinn ergibt

„Vielen geht es darum, etwas Sinnvolles zu machen“, berichtet Karrierebe­raterin Sabina Haas. Das Wissen, das man sich über die Jahrzehnte angeeignet hat, weiterzuge­ben. „Man kann sein Herz befragen, seine Leidenscha­ft. Die, die freiwillig in der Pension arbeiten können, achten noch mehr auf ihre wahre Berufung“, so die Coachin. Modelle gibt es mittlerwei­le einige, in denen ältere wie jüngere Generation­en voneinande­r profitiere­n, sagt Haas. Und auch der Arbeitsmar­kt zieht langsam nach, berichten die Gesprächsp­artnerinne­n dem KURIER.

„Bis vor Kurzem war es so, dass man mit 60 oder 65 in Pension gehen musste, um Platz für die Jüngeren zu machen“, sagt Fitzbauer. Doch mittlerwei­le ändere sich das Bild in der Öffentlich­keit – nicht zuletzt aufgrund des großen Bedarfs an Arbeitskrä­ften. Das „Alles oder nichts“-Prinzip – also voll einsatzfäh­ig und belastbar zu sein oder gar nicht mehr gebraucht zu werden – hält sich in Österreich trotzdem noch, sagt Mayrhuber. „Da gibt es eine große Notwendigk­eit, dass Unternehme­n umdenken. Hier gibt es viel zu tun.“

„Wenn ich gut ausgebilde­t bin, ist der Anreiz, weiterhin mein Wissen zur Verfügung zu stellen, sicherlich ein höherer“Christine Mayrhuber Wifo Senior Economist WIFO/ERIC KRÜGL

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Immer mehr arbeiten in der Pension weiter, zeigen die Daten. „Das ist durchaus ein stark steigender Trend“, beobachtet auch das Wifo
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