Baustelle TV-Quote
Der ORF zeigt die „Biester“seit Jahresbeginn online – und nun auch im TV. Programmdirektorin Groiss-Horowitz erklärt, wie der ORF die Gesamtseherzahl misst – und was als Erfolg gilt
Wer bei der Euro-Einführung dabei war, weiß: Nach Währungsumstellungen fühlt sich das gleiche Geld nach weniger an. 1.376 Schilling klingt nach mehr als 100 Euro.
Auch im ORF wird derzeit eine Währung umgestellt, mit einem ähnlichen Effekt. Aufschlüsseln lässt sich das an den Quoten des großen SerienEvents „Biester“(immer montags in Doppelfolgen). Die klingen nämlich vorderhand nach keinem großen Erfolg. Rund 300.000 Seherinnen und Seher wurden bisher pro Folge im Teletest am darauffolgenden Morgen ausgewiesen. Zum Vergleich: Die „Vorstadtweiber“hatten in der ersten Staffel im Durchschnitt 856.000 Seherinnen und Seher. Und zuletzt waren im Durchschnitt 506.000 Seherinnen und Seher beim Start von „School Of Champions“dabei – bei einem Marktanteil bei den Jungen von 26 Prozent. Bei den „Biester“-Ausstrahlungen im ORFHauptabend am 25. Februar lag der Marktanteil der 12- bis 49-Jährigen bei 14 Prozent.
Die Teletest-Zahlen sind seit vielen Jahrzehnten die belastbare Währung des Fernsehens – an ihnen wurde Erfolg gemessen und mit ihnen wurde Werbung verkauft. Doch nun wird die Berechnung, wie viele Menschen eine Sendung sehen, komplexer. Und die Zahlen der „Biester“schauen doch wesentlich anders aus.
Aufschlag
So sind die „Biester“bereits seit Jahresbeginn auf ORF On zum Streamen abrufbar – „nach wirklich langem Vorlauf“als erste Produktion, wie ORF-Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz im KURIER-Gespräch sagt. „Das ist unser erster Online-First-Aufschlag.“
Deswegen müsse man zur TV-Quote noch jene rechnen, die sich „Biester“im Streaming angeschaut haben. „Wir versuchen, ein Land dazu zu bringen, sich eine Produktion online first oder sogar online only anzuschauen“, sagt die Programmdirektorin.
„Und dann sind alle ganz baff, wenn die Menschen das auch tun.“Dass Menschen sich „Biester“online anschauen und nicht im Fernsehen, ginge „klarerweise“am sogenannten „Over-Night-Rating“(also der Teletest-Quote, die am nächsten Tag abrufbar ist) „nicht spurlos vorbei. Aber man kann nicht prominent einen ORF-Player wollen – und dann mit alten Datenpunkten hantieren. Die ,Biester‘ sind genau dort gelandet, wo wir uns erhofft haben.“
Zu diesen Streamingsehern kommen auch noch jene, die den Montagabend versäumen – und die Serie online nachschauen. „Viele lassen nicht mehr am Montag um 20.15
Uhr alles liegen und stehen, nur weil etwas im Fernsehen ist.“Wobei auch diese sogenannte Catch-Up-Quote nicht ganz unkompliziert ist: „Wer die ,Biester‘ auf einem großen Bildschirm nachschaut, wird noch in den Teletest eingerechnet“, sagt Groiss-Horowitz. Diese sogenannte endgültige Quote berücksichtigt die sieben Tage nach der Ausstrahlung und rechnet die Seher noch in die offizielle Quote ein.
Wer die „Biester“nach der Ausstrahlung jedoch am Laptop oder Smartphone anschaut – also „streamt“–, wird im Teletest aber nicht berücksichtigt. Was nicht heißt, dass diese Seherinnen und Seher nicht in die Quote einfließen. Die Frage ist nur, mit welchem Wechselkurs. Es ist davon auszugehen, dass gerade bei so einem Serienevent nicht nur eine Person am Computer schaut, sagt GroissHorowitz. Nur: Wie viele sind es jeweils? Diese Rechnung sei „Work in Progress“, betont Groiss-Horowitz. „Das repräsentativ hochzurechnen ist gar nicht so einfach. Alle Fernsehsender auf der ganzen Welt suchen Modelle, wie das zu machen ist. Dass es da noch diverse Unschärfen gibt, ist sonnenklar.“
Nimmt man TV-Ausstrahlung, Catch-Up-Seher und Streaming seit Jahresbeginn zusammen, hat die erste Folge „Biester“fast das Doppelte der im Teletest nach der Ausstrahlung ausgewiesenen Seher erzielt: Statt ursprünglich ausgewiesen 294.000 waren es 591.000, wie der ORF auf Anfrage des KURIER vermerkte. Folge zwei stieg von 332.000 auf 522.000 Seher, Folge drei von 325.000 auf 498.000 Seher, Folge vier von 292.000 auf 467.000 Seher.
Das ist aber immer noch nicht bei den „Vorstadtweibern“, oder? „Wir sind zu Recht angehalten, in allen Genres Angebote für Jüngere zu haben“, sagt Groiss-Horowitz. „Und wenn wir es machen, wird es mit Produkten verglichen, die sich an ein älteres Publikum richten. Das wäre, als würde man sagen: ,Willkommen Österreich‘ ist kein Erfolg, weil der ,Villacher Fasching‘ mehr Zuseher hat.“Was ist der ORFinterne Anspruch? „Wir wollen mit unseren Produktionen über 500.000 kommen.“
Paradigmenwechsel
Die Frage künftig ist, „wie viel Reichweite erzielen wir mit unseren Produktionen insgesamt – und nicht ad hoc bei der linearen Ausstrahlung. Das ist ein riesiger Paradigmenwechsel auch bei uns. Und es gibt immer noch Kolleginnen und Kollegen bei uns im Haus, die vielleicht die Tagesstimmung von der Overnight-Quote abhängig machen, ohne sich die Zeit zu nehmen, die anderen Leistungswerte dazuzuzählen.“
Apropos: Die Frage ist auch, ob die ORF-interne Programmierung bezüglich der „Biester“ideal war. Bei der ersten Doppelfolge lief parallel die quotenstarke erste „ZiB Wissen“zur Ukraine. Und am 26. Februar war dann gegen Folgen drei und vier ursprünglich Ferdinand von Schirachs „Sie sagt. Er sagt“geplant, das dann aber auf Samstag vorgezogen wurde. Um die „Biester“zu retten? „Nein“, sagt Groiss-Horowitz. „Wir bemühen uns immer um vorgezogene Ausstrahlungen. Und genau diese Frage stellt sich für uns nicht mehr so stark wie früher. Serien wie ,Biester‘ finden ihr Publikum auch unabhängig von der linearen Programmierung. Das ist ja das Schöne daran.“