Kurier (Samstag)

ÜBER leben

- Guido Tartarotti guido.tartarotti@kurier.at

Neulich wurde mir vermittelt, ich gelte als untalentie­rt im Verabschie­den. Der Ruf mag gerechtfer­tigt sein. Aber ich hatte kaum Gelegenhei­t, mir die Kulturtech­nik des Verabschie­dens anzueignen. Als ich ganz jung war, durfte ich noch nicht auf Partys gehen. Als ich alt genug war, ging ich auf jede Party, die sich mir bot, und verabschie­dete mich auf keiner einzigen, weil ich immer länger blieb als alle anderen. Ich war so motiviert, dass sich eher die Party von mir verabschie­dete als umgekehrt und die Gastgeber schliefen, wenn ich ging. Als ich älter wurde, kam es vor, dass ich nicht als Allerletzt­er ging, das wusste ich aber zu vertuschen, indem ich unauffälli­g verschwand. Als ich noch älter wurde, hatte ich dann keine Möglichkei­t mehr, Verabschie­dungskompe­tenz zu entwickeln, weil ich mich von der Idee Party an sich verabschie­dete. Ich ging gar nicht mehr hin und kam daher nicht in die Verlegenhe­it, meine Nicht- oder Nicht-Mehr-Anwesenhei­t angemessen kommentier­en zu müssen. Vielleicht habe ich aber auch deshalb keine Begabung für Abschiede, weil ich sie nicht mag. Die große Geste, das lautstarke Lamento liegen mir in dem Zusammenha­ng nicht. Lieber als das peinliche „Ciao, baba, fall net, danke fürs Dabeisein, werma uns schon wieder, irgendwann einmal, ja, sicher, seh ma uns, Gruß an die Mama, baba, blabla“ist es mir, wenn ich mich bei gesellscha­ftlichen Terminen dezent durch die Hintertür verziehen kann; wenn Freundscha­ften, die zu Ende gehen, sich einfach mit der Zeit verflüchti­gen; wenn mich niemand mit Verabschie­dungsszene­n behelligt.

Das gilt übrigens auch für pseudospir­ituelle Abschiedsw­orte, wie: „Wenn sich eine Türe schließt, öffnet sich eine andere.“– Wenn sich eine Türe schließt, ist sie zu. Und derjenige, der sie geschlosse­n hat, wird sich etwas dabei gedacht haben. Deshalb brauchen Kolumnen meiner Ansicht nach auch keinen bedeutungs­schwangere­n Schlusssat­z. Sie sind einfach aus.

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