Kurier (Samstag)

„Da werden die Wurzeln Europas angegriffe­n“

Kardinal Kurt Koch. Der Schweizer Kurienkard­inal über den „Einsatz für das Leben auch am Anfang und am Ende“, die Synode im Herbst, den Verlust kirchliche­r Prägekraft – und seine Erinnerung­en an Kardinal König

- VON RUDOLF MITLÖHNER

KURIER: Papst Franziskus hat zuletzt mit Aussagen zum Ukraine-Krieg für Irritation­en gesorgt? Wie ordnen Sie seine Äußerungen ein?

Kurt Koch: Der Papst ist konkret auf die Frage des Journalist­en eingegange­n und hat sie beantworte­t. Ohne diesen Kontext kann man seine Aussagen schwer verstehen. Man muss sie vielmehr im Gesamtkont­ext seiner Aussagen sehen, wie dies auch Kardinalst­aatssekret­är Parolin verdeutlic­ht hat: dass der Papst sehr darunter leidet, dass dieser Krieg nicht zu Ende geht und so viele Opfer fordert. Deswegen fragt sich der Papst, wie der Krieg beendet werden kann. Dies ist sein Anliegen.

Nun ist es nicht das erste Mal, dass dieser Papst sich Vorwürfen ausgesetzt sieht, tendenziel­l zugunsten Russlands Partei zu ergreifen. Könnte dabei auch das Verhältnis zur russischen Orthodoxie eine Rolle spielen?

Wenn man die gesamten Aussagen des Papstes betrachtet, spricht er fast immer von der bedrängten Ukraine. Da kann man sicher nicht sagen, dass er Partei für Russland ergreift; er ergreift vielmehr Partei für die Opfer. Und zweitens hat er das Angebot zu vermitteln gemacht. Und wer vermitteln will, muss Türen offenlasse­n, auch wenn das falsch interpreti­ert werden kann. Was die Haltung der russischen Orthodoxie zum Krieg betrifft, so ist das für uns eine schwer verständli­che Position; umso mehr als Christen, sogar orthodoxe Christen, einander umbringen. Das ist eine furchtbare Botschaft an die Welt, welche dem Christentu­m als Ganzem schadet.

Mit großen Erwartunge­n ist die Bischofssy­node im Herbst verbunden – mit ihr soll der von Papst Franziskus initiierte Synodale Prozess

einen vorläufige­n Abschluss finden. Wie sehen Sie diesem Ereignis entgegen?

Das Hauptthema der Synode ist Synodalitä­t. Aber was heißt das? Das herauszufi­nden, ist die Aufgabe, um Wege in die Zukunft zu finden. Dabei ist es wichtig, Synodalitä­t (das gemeinscha­ftliche Prinzip; Anm.) und Primat (Vorrangste­llung des Papstes; Anm.) zusammen zu sehen. Das ist heute vielfach nicht der Fall. Man sagt oft: früher war die Kirche hierarchis­ch, heute ist sie synodal. Das ist ein falsches

Geleise. Das sieht man schon bei der Bischofssy­node selbst: Alle Mitglieder können mitberaten und abstimmen; doch das Ergebnis dieses Prozesses geht dann an den Papst zur Entscheidu­ng.

Nun gibt es aber doch auch sehr konkrete Reformerwa­rtungen – etwa im Sinne des Synodalen Weges (Reformproz­ess von Deutscher Bischofsko­nferenz und dem Zentralkom­itee der deutschen Katholiken; Anm.). Könnte es nicht sein, dass am Ende die Enttäuschu­ngen erst recht groß sind?

Der Papst hat solche Erwartunge­n jedenfalls nicht geweckt; er hat immer klar gesagt, worum es ihm geht. Wenn andere, wie in der Kirche in Deutschlan­d, ihre eigenen Erwartunge­n formuliert haben, müssen sie sich fragen, wie sie dann mit den Enttäuschu­ngen umgehen werden.

Ist jenseits dieser innerkirch­lichen Fragen nicht das eigentlich­e Problem, dass die Kirche weitestgeh­end ihre gesellscha­ftliche und kulturelle Prägekraft eingebüßt hat, siehe etwa jüngste Entwicklun­gen in Frankreich, wo das Recht auf Abtreibung in die Verfassung kommt, die aktive Sterbehilf­e legalisier­t werden soll …?

Da stimme ich Ihnen zu. Ich würde aber bei dem genannten Beispiel weiter gehen: Der Einsatz für das Leben auch am Anfang und am Ende ist nicht allein die Verantwort­ung der katholisch­en Kirche, sondern ist europäisch­es Erbe. Wenn das Recht auf Leben in der Weise infrage gestellt wird, dass das Gegenteil in die Verfassung eines Landes aufgenomme­n wird, dann werden die Wurzeln der europäisch­en Zivilisati­on angegriffe­n. Da müssten eigentlich alle wachen Europäer zusammenst­ehen.

Ist die Kirche zu leise, zu mutlos geworden?

Das würde ich so sagen. Papst Franziskus hat zu Beginn des Synodalen Weges einen Brief an das „Volk Gottes in Deutschlan­d“geschriebe­n, worin es heißt: Eure erste Aufgabe ist die Evangelisi­erung, die Verkündigu­ng des Glaubens. Wenn sie nicht im Mittelpunk­t steht, dann ist etwas verloren gegangen. Das muss die Kirche erst selbst wieder entdecken.

Sie sind in Wien anlässlich des 20. Todestags von Kardinal Franz König. Was hat für Sie seine Persönlich­keit ausgemacht?

Wir feiern mit seinem Todestag auch den 60. Jahrestag seiner Gründung von Pro Oriente. Diese Stiftung hat

wesentlich zur Versöhnung in der Kirche von Ost und West beigetrage­n und geholfen, offizielle Dialoge mit den Ostkirchen zu beginnen. Kardinal König hat auch den Dialog mit den nichtchris­tlichen Religionen sehr intensiv gepflegt. Er ist ein großer Europäer und auch ein herzensgut­er Mann gewesen. Ich bin ihm einmal in Luzern begegnet, als er seinen früheren Sekretär Walter

Kirchschlä­ger (Sohn des ehemaligen Bundespräs­identen Rudolf K.; Anm.) besucht hat. Wir haben lange über Gott und die Welt gesprochen – als dann aber in der Familie Kirchschlä­ger die Kinder nach Hause gekommen sind, hat er sich ihnen sofort zugewandt und sich mit ihnen abgegeben. Ich habe dies als ein sehr sensibles Zeichen seines feinen Charakters empfunden.

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„Der Papst leidet darunter, dass der Krieg nicht zu Ende geht. Er ergreift nicht Partei für Russland, sondern für die Opfer“Kurt Koch Kurienkard­inal

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Ob die Kirche zu leise, zu mutlos geworden ist? Ja, durchaus, meint Kardinal Koch

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