Kurier (Samstag)

„Der Hassende ist vergiftete­r als der Gehasste“

Michel Friedman ist eine der lautesten und wortgewalt­igsten jüdischen Stimmen. Ein Gespräch über seine Kindheit im braunen Nachkriegs-Deutschlan­d, die FPÖ und Israels Rechtsextr­eme

- VON EVELYN PETERNEL von

Polarisier­en kann Michel Friedman auch noch mit Ende 60: Sein neues Buch „Judenhass“beschäftig­t sich mit wachsendem Antisemiti­smus – der KURIER traf den Talkmaster und Publiziste­n vor der Buchvorste­llung in Wien.

KURIER: In Ihrem Buch erzählen Sie von Ihrer ersten Konfrontat­ion mit Antisemiti­smus. Ein Mitschüler, den Sie nicht abschreibe­n ließen, beschimpft­e Sie als „Judensau“. Wie wächst man in dem Land auf, das einem fast alle Verwandten genommen hat?

Michel Friedman: Ich bin im Land der Mörder aufgewachs­en. Die Bundesregi­erung erkannte zwar an, Nachfolges­taat des Dritten Reiches zu sein. Sie erkannten an, dass Deutschlan­d zwei Weltkriege erklärt, die Shoah beschlosse­n und durchgefüh­rt hat. Doch es wurde auch geschwiege­n. Ich wusste nie, ob mich meine Lehrer ein paar Jahrzehnte vorher nicht denunziert hätten. Meine nichtjüdis­chen Freunde fühlten zwar, dass die Shoah stattgefun­den hat, aber konnten zu Hause nicht fragen. Da wurden alle Probleme hinter den Errungensc­haften des Wirtschaft­swunders, dem neuen Reihenhaus, dem Mercedes versteckt. Die Spirale des Schweigens führte zur Legendenbi­ldung, die in Österreich noch größer war: Hier war man immer nur Opfer. Die Legende, dass man Hitler nicht wollte, sich gewehrt hat, ist eine der kollektive­n Erinnerung­slügen, die hier immer noch funktionie­ren.

Haben Sie als Kind verstanden, was passiert ist?

Als ich aus Paris nach Frankfurt kam, erwartete ich ein Land mit vielen Gefängniss­en. Das Gegenteil war der Fall. Überall waren normale Menschen, fast jeder sagte, er habe Juden geholfen. Dann dachte ich: So viele Keller kann es in Deutschlan­d doch gar nicht gegeben haben.

Ist der Antisemiti­smus heute ein anderer als damals? Hat sich durch den 7. Oktober noch mal etwas verschoben?

Den Begriff Antisemiti­smus verwende ich nicht mehr, dieses Wort vernebelt vieles, weil er als intellektu­ell und abstrakt weggeschob­en wird. Ich sage Judenhass, so wie ich ja darauf bestehe, nicht über Juden, Schwarze, Schwule zu sprechen. Es sind jüdische, schwarze, schwule Menschen. Darum geht es ja: um Menschenha­ss. Wer Menschen in Gruppen hasst, ist ein Demokratie­feind. Alle Menschen sind gleich, es gibt nicht gleich, weniger gleich oder gleicher.

Das ist die Herausford­erung in Europa, dem blutigsten Kontinent: Alle Kriege hier fußen auf Superiorit­ätsfantasi­en, auf dem Irrglauben, wir seien mehr wert als alle anderen. Wir erleben das im 21. Jahrhunder­t wieder, es hat nie aufgehört, wirken zu wollen.

Überlegenh­eitsgefühl­e sind gar teils im Aufwind. Wieso?

Im Wettbewerb zwischen Demokratie­n und totalitäre­n Regimen haben Letztere immer mehr Leidenscha­ft und Unterstütz­ung bekommen, siehe Russland oder China. Die wehrhaften Demokratie­n sind dagegen nicht rechtzeiti­g vorgegange­n. Das wäre ja anstrengen­d gewesen, hätte

Arbeit und Zeit gekostet, hätte Konflikte ausgelöst. Man hätte mit dem Chef, der Familie, besten Freunden streiten müssen. Man hätte als Individuum aus der Deckung kommen, Gesicht zeigen müssen. Dabei wäre das wichtig: Streit ist der Sauerstoff der Demokratie.

Warum sind wir so faul?

Wir sind Konsumente­n der Demokratie geworden. Wir haben in unserer Wohlstands­zeit vergessen, dass man auch für Demokratie arbeiten muss. Eigentlich müsste man jeden Tag beim Nachbarn klingen und sagen: Hallo, ich bin Handelsver­treter, ich verkaufe Demokratie.

In Österreich liegt die FPÖ in Umfragen auf Platz 1. Liegt das auch an der Faulheit?

Die FPÖ hat die Regierung ja schon unter Kreisky das erste Mal beehrt. Damals war sie aber noch nicht wie nach der Regierungs­zeit von Schlüssel: Als er Haiders FPÖ nach dem rassistisc­hen Wahlkampf in die Regierung ließ, begann die Veränderun­g im Koordinate­nsystem. Jetzt sind wir in der nächsten Phase, die FPÖ kann stärkste Fraktion werden. Daran sieht man: In dem Moment, wo man sie in die Mitte der Demokratie lässt, entzaubern sie sich nicht. Die einzigen die sich entzaubern, sind die Demokraten.

Auch Israel hat eine rechte, teils offen rassistisc­he Regierung. Was sagen Sie dazu?

Ich will nicht ausweichen, aber sollte man nicht fragen: Was sage ich zu Putin? Oder Xi? Den Mullahs in Teheran?

Die können Sie ja auch kommentier­en, aber die Frage zielte auf Israel.

Ich will deutlich machen: Warum kümmert sich der engagierte Aktivist nicht um all das so laut wie um Israel?

In Israel demonstrie­rten vor dem Krieg 150.000 Menschen gegen die – wie auch ich finde – rechtsextr­eme, religiöse Regierung. In Wien sehe ich keine 10.000, die demonstrie­rt haben, als die FPÖ regierte. Israel ist trotz dieser Regierung eine lebendige Demokratie, das beunruhigt mich nicht.

Sicherheit­sminister Ben

Gvir, einen verurteilt­en Rechtsterr­oristen, halte ich nicht für satisfakti­onsfähig, in einer Regierung zu sein. Aber auch die Haiders, Straches und Kickls, die ihr Gift in der Mitte der Gesellscha­ft zerstreuen, sind dafür nicht geeignet. Ich frage mich, wie demokratis­che Parteien mit ihr koalieren können und glauben, ihre Hände in Unschuld zu waschen. Damit nimmt man das Gift in sich selbst auf, so kann man kein Land in die Zukunft tragen.

In Ihrem Buch fordern Sie Ihre Söhne auf, nicht zu hassen. Hassen Sie selbst nicht auch manchmal?

Nach diesem Vorfall in der Schule, wo ich beschimpft wurde, sagte meine Mutter: Der Hassende ist vergiftete­r als der Gehasste. Wenn Papa und ich die Deutschen nicht hassen, wie kommst du dazu, irgendwen zu hassen? Das hat mich geprägt. Meine Eltern (Anm: sie wurden Oskar Schindler gerettet) waren Überlebend­e. Ich kenne das Gefühl des Hasses nicht. Und ich glaube, dass ich glückliche­r bin als Menschen, die hassen.

„Wie können demokratis­che Parteien mit der FPÖ koalieren und glauben, ihre Hände in Unschuld zu waschen?“Michel Friedman Publizist

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Michel Friedman beim KURIER-Interview im Wiener Park Hyatt: „Es geht nicht um Antisemiti­smus, sondern um Menschenha­ss“
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