Kurier (Samstag)

Der Bundesbahn­blues

Die Liste seltsamer Auffälligk­eiten bei den ÖBB ist lang

- PETER SCHNEYDER

Jetzt wissen wir endlich, wer daran schuld ist, dass bei den ÖBB uralte Waggons bei vorgeblich modernsten Verbindung­en eingesetzt werden müssen: Die bösen Produzente­n, die teils um Jahre verspätet liefern. Warum wurden da aber nicht schon längst Alternativ­en gesucht? Weil man aus Tradition bei Siemens kaufen muss, um dort Arbeitsplä­tze zu sichern, die es offenbar gar nicht gibt, da man ja sonst die nötige Fertigungs­kapazität haben müsste? Weil es zu mühsam wäre, sich an andere qualifizie­rte Hersteller in Europa zu wenden? Also vielleicht doch primär ein Management­fehler?

Die ÖBB-Bilanz 2022 weist Transferza­hlungen aus dem Steuertopf von rund 3,5 Milliarden Euro aus, immerhin 0,8 % des BIP (448 Mrd.) und 1,5 % des Staatsbudg­ets (236 Mrd.). Das Bundesheer musste sich mit 2,7 Mrd. Euro begnügen. Kurioserwe­ise wird aber ein Gewinn von knapp 200 Millionen Euro ausgewiese­n. Da könnte man auf die Idee kommen, dass die ÖBB den Steuerzahl­ern ein bissel zu viel abgeknöpft haben. Das meint auch der Rechnungsh­of in einem Bericht 2021. Und warum regt das niemand auf? Immerhin f ließen mehr als die Hälfte sämtlicher Infrastruk­turinvesti­tionen in den Transports­ektor.

Zukunftsst­rategien und abgestimmt­e Planungen sind derzeit bei mehreren Ministerie­n in Ausarbeitu­ng. Nicht so bei der Bahn. Da liegt die strategisc­he Planung nämlich nicht beim Infrastruk­turministe­rium, sondern bei den ÖBB. Verkehrte Welt oder „der Schwanz wedelt mit dem Hund“. Gelebte Praxis seit jeher, wer will schon an noch so absurden Traditione­n rütteln? Eine Vorvorgäng­erin von Frau Gewessler hat zumindest versucht, einen Generalver­kehrsplan (für Bahn, Straße, Luft und Wasser) erstellen zu lassen und ist grimmig gescheiter­t. Wäre das aber nicht ein sinnvoller Ansatz? Wo doch die Republik auch noch 100 % der Graz-Köflacher Bahn und Beteiligun­gen an drei anderen Gesellscha­ften besitzt, die – wie rund 25 weitere Bahngesell­schaften in öffentlich­em (Teil)Besitz – offiziell als Privatbahn­en firmieren. Typisch Österreich eben.

Herr Matthä stellt zu Recht fest, dass die Bahn in Europa ein Fleckerlte­ppich technische­r Normen und nationaler Abschottun­gen ist. Aber warum endet dann die S7 nach wie vor 3 km vor Bratislava, weil man die Verbindung­strasse von Wolfsthal bis zur Staatsgren­ze in enormer Weitsicht ab 1988 abgebaut und verkauft hat? Warum wird jetzt die Hauptroute von Wien nach Osten nicht über Bratislava geführt? Wirklich, „weil des die Ungarn ned wolln“(O-Ton eines ÖBB-Strategen)? Das könnte man doch problemlos bilateral regeln, oder?

Die Liste seltsamer Auffälligk­eiten im Bahnbereic­h kann problemlos fortgesetz­t werden. Die immer gleiche Frage dabei ist aber: Wieso kümmert das alles weder Politik noch Medien noch all jene, die von den Folgen dieser Feinheiten betroffen sind? Nur Mut!

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Peter Schneyder ist Unternehme­r, tätig im Bereich Standort und Regionalen­twicklung mit dem Schwerpunk­t Infrastruk­tur

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Chaos zu Weihnachte­n, danach wurden Verbindung­en gestrichen und alte Garnituren eingesetzt
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