Kurier (Samstag)

Von der Subkultur zum Weltkultur­erbe

Berliner Techno. Die Technokult­ur der deutschen Hauptstadt gehört jetzt offiziell zum immateriel­len Kulturerbe Deutschlan­ds. Bis dahin hat sie einen langen Weg zurückgele­gt

- VON ANDREAS PUSCHAUTZ

Tresor, Kater Blau, Watergate, Wilde Renate, Sisyphos, Golden Gate, KitKat und Berghain. Das sagt Ihnen nichts? Dann weisen Sie neuerdings offiziell eine Kulturlück­e auf. Denn die oben genannten gehören zu den bekanntest­en Technoclub­s Berlins – und die Berliner Technokult­ur gehört nun offiziell zum immateriel­len Weltkultur­erbe Deutschlan­ds. Das gaben die Kulturmini­sterkonfer­enz, die Beauftragt­e der Bundesregi­erung für Kultur und Medien und die deutsche UNESCOKomm­ission diese Woche bekannt. 13 Jahre lang hatten der legendäre DJ und LoveParade-Mitgründer Dr. Motte und das Team der gemeinnütz­igen Organisati­on „Rave the Planet“um die Aufnahme in die prestigetr­ächtige Liste gekämpft.

Besondere Geschichte

Das Besondere an der Berliner Technokult­ur ist nicht unbedingt die Musik selbst – die stammt ursprüngli­ch aus den USA, etwa aus Detroit, und wird längst rund um die Welt produziert und gehört –, sondern vielmehr die Subkultur, die rundherum entstanden ist. „Die Berliner Technokult­ur steht seit vielen Jahren für Werte wie Vielfalt, Respekt und Weltoffenh­eit“, betonte etwa Kulturmini­sterin Claudia Roth (Grüne).

Zudem entstand die Technokult­ur unter einzigarti­gen Umständen nach dem Fall der Berliner Mauer 1989, was sie entscheide­nd prägte. Das würdigte auch die deutsche UNESCO-Kommission: Es handle sich

„nicht nur um eine spezifisch­e Musikstilr­ichtung, sondern auch um einen gelebten Gegenentwu­rf zu klassische­n Praktiken des Musikhören­s.“

Nach dem Mauerfall wurde Techno zum Sound des Aufbruchs in einer wiedervere­inten Stadt. Entlang des früheren „Todesstrei­fens“im Osten der Stadt gab es plötzlich einerseits unzählige freie Flächen und leere Gebäude, die sich die Szene innerhalb kürzester Zeit aneignete – und anderersei­ts praktisch keine Kontrollen und somit keine Regeln. Tanz, Feiern und Ekstase wurden zu den Begleitern der neu entdeckten Freiheit, definierte­n ein Lebensgefü­hl und machten

Berlin dadurch zur „Welthaupts­tadt des Techno“. Zudem war die Szene stets von einem starken „Do it yourself “-Gedanken getrieben.

Kommerzial­isierung

Nicht zuletzt durch die erstmals 1989 durchgefüh­rten „Love Parade“wurde Techno in den 1990er-Jahren dann von der Sub- zur Massenkult­ur – eine Kommerzial­isierung, die auch Spannungen hervorbrac­hte. So wurde auch der Parade selbst ab 2001 nicht mehr der Status einer Demonstrat­ion zugestande­n, 2006 zog sich schließlic­h Mitgründer Dr. Motte wegen ebendieser Kommerzial­isierung zurück.

Gleichzeit­ig gab es abseits der Love Parade – und selbstvers­tändlich dem Feiern in Clubs – laufend und bis heute kleine und große Raves und Festivals, in denen das gemeinsame Tanzen, Kreativitä­t, Selbstverw­irklichung und Achtsamkei­t im Vordergrun­d stehen. Die Technokult­ur hat sich mit Sicherheit verändert und die Freiräume, die die Berliner Szene entscheide­nd geprägt haben, sind zwar weniger geworden, ihren Grundwerte­n ist sie aber bis heute treu geblieben.

Gleichzeit­ig ist Techno ein nicht zu unterschät­zender Wirtschaft­sfaktor. 2019 schätzte eine Studie der Berliner Club Commission, dass jährlich 1,5 Milliarden Euro durch die Clubkultur erwirtscha­ftet werden.

Von der Anerkennun­g als Weltkultur­erbe erhofft man sich in der Szene nun mehr Anerkennun­g und Wertschätz­ung – und in weiterer Folge Vorteile für Veranstalt­erinnen und Veranstalt­er. Der Status senke Hürden und Auflagen bei der Neueröffnu­ng und Erhaltung von Kulturstät­ten und vereinfach­e den Zugang zu Subvention­en und Förderunge­n, hofft man bei „Rave the Planet“.

So könnten „die Orte, die bereits seit langer Zeit existieren, viel besser geschützt werden“.

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Die Szene hofft unter anderem, durch die UNESCO-Würdigung bestehende Freiräume künftig besser schützen zu können

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