Kurier (Samstag)

Mutig genug, um Hilfe zu suchen

Paare, die ein behinderte­s Kind bekommen, stehen vor großen Herausford­erungen. Familie Knaack hat drei Töchter, zwei davon sind beeinträch­tigt. Woran sie leiden, wissen die Eltern bis heute nicht

- VON STEPHANIE ANGERER

Eine Pampers-Schachtel liegt auf dem Boden, ein Paar Kinderschu­he wurde im Wohnzimmer vergessen. Beim Blick in die lichtdurch­flutete Wohnung in Wien deutet nichts darauf hin, dass Familie Knaack im Alltag mehr Herausford­erungen zu meistern hat als andere Paare. Zwei ihrer drei Töchter sind beeinträch­tigt. „Entwicklun­gsverzöger­t“, sagten die Ärzte bei der Geburt von Timea und Laura.

„Wir haben bei unseren Kindern mit Behinderun­g keine Prognose bekommen, wir können nicht sagen, wie sie sich entwickeln“, sagt Ursula, die Mutter der Mädchen.

Motorisch eingeschrä­nkt

Timea ist mittlerwei­le sechs Jahre alt. Krabbeln kann sie nicht. Sie hat auch Probleme, auf Gegenständ­e oder Personen zu zeigen – und anderen zu vermitteln, was sie will. „Dafür ist sie sehr aufgeschlo­ssen und fühlt sich in jeder Runde wohl“, schildert ihre Mutter. Bei Timea sei schnell klar gewesen, dass sie anders ist, „sie ist motorisch schon sehr verzögert“. Bei ihrem zweiten Kind Laura, die nun vier Jahre alt ist, erkannte Ursula es am Lächeln.

„Manche Kinder lächeln schon nach vier Wochen, bei unseren hat es Monate gedauert.“Ob die beiden am selben Syndrom leiden, wissen ihre Eltern nicht.

Als Ursula und ihrem Mann Patrick bewusst wurde, dass sie vielleicht nie erfahren, an welchem Syndrom ihre Kinder leiden, änderte sich vieles. Besonders, was die Karriere der beiden betraf. „Wir mussten uns überlegen, was möglich ist. Das eigene Bild der Zukunft ist schließlic­h sehr mit dem der Kinder verknüpft.“Und sie machten das Arbeiten möglich: Ursula und ihr Mann arbeiten beide als Chemiker, sie 20, er 40 Stunden.

„Für meine Psyche spielt der Job eine wichtige Rolle. Aber natürlich stellt man sich die Frage, ob man jemals wieder Vollzeit arbeiten kann“, schildert die 38-Jährige. Es war jedoch nicht von Anfang an klar, inwieweit beide Eltern arbeiten können. Als die Familie in die Wohnung in Meidling zog, meldeten die Eltern Timea gleich für den Kindergart­en in der Nähe an.

Um Hilfe ansuchen

„Erst nach und nach dämmerte uns, dass sie gar nicht in den Kindergart­en gehen kann. Da hatte ich schon Angst, dass ich nie wieder in meinen Beruf zurückkehr­en konnte“, sagt Ursula. Die Belastung sei zu diesem Zeitpunkt groß gewesen. „Ich war verzweifel­t und überforder­t. Und in dem Moment, wo ich auch noch mit Zwillingen schwanger wurde, wusste ich, ich muss mir aktiv Hilfe holen. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht einmal, dass ich noch ein behinderte­s Kind bekommen würde“, schildert sie.

Eine Bekannte gab ihr dann den Tipp, sich an die Wiener Kinder- und Jugendhilf­e (MA 11) zu wenden. „So wurde uns in kürzester Zeit eine Tagesmutte­r und eine ambulante Betreuung in der Familie vermittelt“, erzählt die Mutter. Es sei alles andere als selbstvers­tändlich, so schnell Unterstütz­ung zu finden. Die Betreuerin, die von der Familienbe­gleitung Benedictus im Auftrag der MA 11 gestellt wurde, betreute auch die beiden anderen Kinder der Familie – die Zwillinge Laura und Olivia. Zwölf Stunden pro Woche, die Ursula und Patrick für sich haben.

Bevor die Tagesmutte­r ins Leben der Familie trat, seien sie ein System gewesen, das ständig am Limit war, ergänzt Vater Patrick. Betreuungs­einrichtun­gen wie Kindergärt­en oder der Hort, in dem Timea nach der Schule untergebra­cht ist, haben nur eingeschrä­nkte Öffnungsze­iten. „Wir können auch nicht von unseren Eltern verlangen, sich um drei Kinder, von denen zwei behindert sind, im hohen Alter zu kümmern“, so Ursula. Gerade deshalb sei die Familienbe­treuung von unschätzba­rem Wert. „So konnten wir eine gewisse Resilienz entwickeln, unser System bricht nicht zusammen, wenn einer von uns krank wird“, so Ursula. Wichtig ist den Eltern auch, dass das System ohne Olivia, die dritte Tochter, läuft. „Natürlich muss Olivia mehr Verantwort­ung übernehmen als andere Geschwiste­r. Unser Ziel ist aber schon ,dass Olivia nicht helfen muss, damit unsere Familie funktionie­rt.“

Weniger Glauben hat Ursula hingegen in das gesellscha­ftliche System. „Ich hoffe schon, dass meine Kinder nicht unser Leben lang davon abhängig sind, dass wir sie pflegen. Das Vertrauen zu haben, dass unser System das hergibt, fällt mir aber schwer.“

„Wir lernen viel von den Kindern. Unter anderem, wie wichtig es ist, um Hilfe zu fragen und sie auch anzunehmen“Ursula Knaack Mutter, 38

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Ursula (li.) und Patrick Knaack kümmern sich gemeinsam um ihre sechsjähri­ge Tochter Timea sowie die vierjährig­en Zwillinge Olivia und Laura

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