Mehr Sprachen im Kopf
Kinder, die mit verschiedenen Sprachen aufwachsen, profitieren enorm. Im Alltag ist der gleichzeitige Erwerb für Familien nicht immer leicht umzusetzen
Bettina Gruber spricht nicht gerne von mehrsprachiger „Erziehung“. Die promovierte Linguistin präferiert den Begriff „Begleitung“. Ihren Ansatz umreißt die Expertin für Mehrsprachigkeit so: „Kinder sollten ohne Zwang die Chance haben, Interesse für eine Sprache zu entwickeln.“
Die gebürtige Oberösterreicherin interessierte sich früh in ihrer sprachwissenschaftlichen Karriere für Spracherwerb. Mit der Geburt ihrer eigenen Kinder – Gruber ist mit einem Griechen verheiratet – gesellte sich zum Faible ein persönliches Interesse. Seit mittlerweile fünf Jahren berät Gruber, deren Kinder dreisprachig aufwachsen, Eltern, die Kinder mehrsprachig begleiten wollen.
Nicht entmutigen lassen
Die Gründe, warum Familien am Projekt Mehrsprachigkeit scheitern, sind vielfältig, weiß Gruber. Neben der Persönlichkeit von Eltern und Kindern bestimmen auch die Lebensumstände mit, ob eine Zweitsprache beim Nachwuchs verkümmert oder floriert.
Den Grundstein für erfolgreiche Mehrsprachigkeit legen Eltern mit dem selbstbewussten Umgang mit der eigenen Mehrsprachigkeit. „Meist sprechen die Mütter oder Väter selbst mehrere Sprachen. Eine Erstsprache und eine Umgebungssprache, beispielsweise die Sprache des Landes, in dem sie leben. Will man dem Kind seine Erstsprache weitergeben, konkurriert diese mit der dominanteren Umgangssprache“, präzisiert Gruber. „Das erschwert es, mit dem Kind konsequent in der anderen Sprache zu reden.“
Oft lassen sich Eltern schnell entmutigen, sobald das Kind zu sprechen beginnt und nicht in der gewünschten Sprache antwortet. „Sie ziehen dann meist den falschen Schluss, dass das Kind die andere Sprache nicht versteht.“Ein Irrtum, weiß Gruber. „Sprachverständnis geht der Sprachproduktion voraus. Und daran, dass eine Unterhaltung möglich ist, erkennt man, dass das Kind einen versteht.“
Infolge begehen Eltern oft den eigentlich größten Fehler: „Sie hören auf, in ihrer Sprache mit dem Kind zu sprechen. Wenn das Gehirn keinen Input mehr bekommt, hat es nichts mehr zu verarbeiten.“Die neuronalen Bahnen werden nicht mehr befeuert, die Sprachkenntnisse abgebaut.
Bindung fokussieren
Ein gängiges Missverständnis sei, dass mehrsprachige Menschen alle Sprachen auf identischem Niveau sprechen: „Es kommt vor, aber selten. Die meisten Menschen haben eine dominante Sprache. Schon allein, weil bestimmtes Vokabular oft nur in bestimmten Kontexten erlernt wird.“Für Eltern hat Gruber ganz praktische Tipps parat. „Man sollte möglichst viel und abwechslungsreich mit den Kindern sprechen.“Gemeinsames Lesen sei fast unabdingbar für den guten Spracherwerb. Auch andere, auditive wie visuelle, Medien eignen sich hervorragend, Sprachkenntnisse zu stärken. Grubers wichtigster Tipp setzt aber tiefer an: „Alles dreht sich um die Beziehung zum Kind. Sprache ist viel mehr als ein Kommunikationsmittel. Sobald man die Beziehung in den Fokus stellt, blühen die Kinder auch sprachlich auf.“
Bildungseinrichtungen, die Mehrsprachigkeit unterstützen, begrüßt Gruber. Auch hier plädiert sie dafür, die Bedürfnisse des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen. „Kinder lernen am besten, wenn sie in einem positiven Umfeld sind. Wenn eine Einrichtung das bieten kann – perfekt.“
Immer wieder hört man, dass mehrsprachige Kinder kognitiv profitieren. Sind einsprachige Kinder im Umkehrschluss geistig wenig fit? „Das kann man so keinesfalls sagen.“Zwar hätten Studien gezeigt, dass zweisprachige Kinder mehr graue Masse (steuert etwa Informationsverarbeitung und logisches Denken, Anm.) in bestimmten Arealen des Hirns haben, „das bedeutet aber nicht, dass monolinguale Kinder das nicht erreichen können“.