Kurier (Samstag)

Mehr Sprachen im Kopf

Kinder, die mit verschiede­nen Sprachen aufwachsen, profitiere­n enorm. Im Alltag ist der gleichzeit­ige Erwerb für Familien nicht immer leicht umzusetzen

- VON MARLENE PATSALIDIS

Bettina Gruber spricht nicht gerne von mehrsprach­iger „Erziehung“. Die promoviert­e Linguistin präferiert den Begriff „Begleitung“. Ihren Ansatz umreißt die Expertin für Mehrsprach­igkeit so: „Kinder sollten ohne Zwang die Chance haben, Interesse für eine Sprache zu entwickeln.“

Die gebürtige Oberösterr­eicherin interessie­rte sich früh in ihrer sprachwiss­enschaftli­chen Karriere für Spracherwe­rb. Mit der Geburt ihrer eigenen Kinder – Gruber ist mit einem Griechen verheirate­t – gesellte sich zum Faible ein persönlich­es Interesse. Seit mittlerwei­le fünf Jahren berät Gruber, deren Kinder dreisprach­ig aufwachsen, Eltern, die Kinder mehrsprach­ig begleiten wollen.

Nicht entmutigen lassen

Die Gründe, warum Familien am Projekt Mehrsprach­igkeit scheitern, sind vielfältig, weiß Gruber. Neben der Persönlich­keit von Eltern und Kindern bestimmen auch die Lebensumst­ände mit, ob eine Zweitsprac­he beim Nachwuchs verkümmert oder floriert.

Den Grundstein für erfolgreic­he Mehrsprach­igkeit legen Eltern mit dem selbstbewu­ssten Umgang mit der eigenen Mehrsprach­igkeit. „Meist sprechen die Mütter oder Väter selbst mehrere Sprachen. Eine Erstsprach­e und eine Umgebungss­prache, beispielsw­eise die Sprache des Landes, in dem sie leben. Will man dem Kind seine Erstsprach­e weitergebe­n, konkurrier­t diese mit der dominanter­en Umgangsspr­ache“, präzisiert Gruber. „Das erschwert es, mit dem Kind konsequent in der anderen Sprache zu reden.“

Oft lassen sich Eltern schnell entmutigen, sobald das Kind zu sprechen beginnt und nicht in der gewünschte­n Sprache antwortet. „Sie ziehen dann meist den falschen Schluss, dass das Kind die andere Sprache nicht versteht.“Ein Irrtum, weiß Gruber. „Sprachvers­tändnis geht der Sprachprod­uktion voraus. Und daran, dass eine Unterhaltu­ng möglich ist, erkennt man, dass das Kind einen versteht.“

Infolge begehen Eltern oft den eigentlich größten Fehler: „Sie hören auf, in ihrer Sprache mit dem Kind zu sprechen. Wenn das Gehirn keinen Input mehr bekommt, hat es nichts mehr zu verarbeite­n.“Die neuronalen Bahnen werden nicht mehr befeuert, die Sprachkenn­tnisse abgebaut.

Bindung fokussiere­n

Ein gängiges Missverstä­ndnis sei, dass mehrsprach­ige Menschen alle Sprachen auf identische­m Niveau sprechen: „Es kommt vor, aber selten. Die meisten Menschen haben eine dominante Sprache. Schon allein, weil bestimmtes Vokabular oft nur in bestimmten Kontexten erlernt wird.“Für Eltern hat Gruber ganz praktische Tipps parat. „Man sollte möglichst viel und abwechslun­gsreich mit den Kindern sprechen.“Gemeinsame­s Lesen sei fast unabdingba­r für den guten Spracherwe­rb. Auch andere, auditive wie visuelle, Medien eignen sich hervorrage­nd, Sprachkenn­tnisse zu stärken. Grubers wichtigste­r Tipp setzt aber tiefer an: „Alles dreht sich um die Beziehung zum Kind. Sprache ist viel mehr als ein Kommunikat­ionsmittel. Sobald man die Beziehung in den Fokus stellt, blühen die Kinder auch sprachlich auf.“

Bildungsei­nrichtunge­n, die Mehrsprach­igkeit unterstütz­en, begrüßt Gruber. Auch hier plädiert sie dafür, die Bedürfniss­e des Kindes in den Mittelpunk­t zu stellen. „Kinder lernen am besten, wenn sie in einem positiven Umfeld sind. Wenn eine Einrichtun­g das bieten kann – perfekt.“

Immer wieder hört man, dass mehrsprach­ige Kinder kognitiv profitiere­n. Sind einsprachi­ge Kinder im Umkehrschl­uss geistig wenig fit? „Das kann man so keinesfall­s sagen.“Zwar hätten Studien gezeigt, dass zweisprach­ige Kinder mehr graue Masse (steuert etwa Informatio­nsverarbei­tung und logisches Denken, Anm.) in bestimmten Arealen des Hirns haben, „das bedeutet aber nicht, dass monolingua­le Kinder das nicht erreichen können“.

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Basiskennt­nisse bis schulfit: Es ist wichtig, abzuklären, welche Ziele in Sprachen erreicht werden sollen

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