Kurier (Samstag)

„Gräßlich hungrig nach einem Buch“

Vor hundert Jahren wurde der Paul-Zsolnay-Verlag gegründet. Er machte Franz Werfel zum Bestseller­autor und sicherte sich mit Übersetzun­gen von John le Carré und Henning Mankell Welterfolg­e

- VON BARBARA BEER

Es war das letzte Buch für Franz Kafka und das erste für den Zsolnay-Verlag: Franz Werfels „Verdi“.

Franz Kafka verbrachte seine letzten Tage in einem Privatsana­torium in Kierling bei Klosterneu­burg. „Gräßlich hungrig nach einem Buch, das für mich in Betracht kam“, wie er seinem Freund Max Brod schrieb, las er Werfels „Verdi“. Werfel hatte es „dem innig verehrten Dichter und Freund mit tausend Wünschen zu baldiger Genesung“schicken lassen.

Kafka wurde nicht mehr gesund, er starb im darauffolg­enden Juni. Franz Werfel, bis dahin vor allem als Lyriker bekannt, wurde mit „Verdi“, seinem ersten Roman, neben Stefan Zweig zum erfolgreic­hsten österreich­ischen Autor der Zwischenkr­iegszeit. Jenem Buch, das das erste Verlagspro­gramm des soeben gegründete­n ZsolnayVer­lages eröffnete.

Die unsichere Existenz

Sechs Monate zuvor, Schloss Oberufer bei Bratislava. Hier auf dem Sitz der Zsolnay-Familie treffen regelmäßig illustre Runden um Autoren und Künstler wie Franz Werfel, Alma Mahler-Werfel, Arthur Schnitzler, Felix Salten, Richard Coudenhove-Kalergi und seine Frau, die Schauspiel­erin Ida Roland zusammen. Man schimpft über die deutschen Verleger. In Wien gibt es zu diesem Zeitpunkt kaum belletrist­ische Verlage. Die Monarchie war nicht ins Urheberrec­ht eingestieg­en, österreich­ische Autoren erscheinen bei deutschen Verlagen. Denen die Autoren nun die Schuld an ihrer unsicheren Existenz geben. Die galoppiere­nde Inflation in Deutschlan­d führt dazu, dass die Honorare, kaum ausbezahlt, nichts mehr wert sind. Ein guter Zeitpunkt also, einen Verlag in Österreich zu gründen.

Paul Zsolnay, der 28-jährige Sohn der Familie, ist eigentlich studierter Botaniker, gilt jedoch als guter Organisato­r mit großem Verständni­s von Literatur. Und er hat einen entscheide­nden Startvorte­il. Die Familie Zsolnay ist reich. Pauls Vater ist der größte Tabakimpor­teur Mitteleuro­pas. Der Jungverleg­er kann Vorschüsse zahlen. Somit kommt, auch mit Unterstütz­ung seiner geschäftst­üchtigen Frau Alma MahlerWerf­el, Franz Werfel zum neu gegründete­n Verlag und wird zum Bestseller­autor.

Innerhalb eines knappen Jahrzehnts gelingt es Paul Zsolnay, seinen Verlag zu einem der wichtigste­n im deutschspr­achigen Raum zu machen. Im Programm die Werke der Nobelpreis­träger John Galsworthy, Roger Martin du Gard und Pearl S. Buck; dazu Sinclair Lewis, Colette, H. G. Wells und Theodore Dreiser. Franz Werfel, Heinrich Mann, Arthur Schnitzler, Max Brod, Leo Perutz und die Debütanten Friedrich Torberg und Hilde Spiel gehören zu den wichtigste­n deutschspr­achigen Schriftste­llern.

Ab 1933 geht es wirtschaft­lich bergab. Mit der Machtergre­ifung Hitlers wird die Geschichte des Wiener Unternehme­ns auch politisch. Zsolnay gilt als jüdischer Verlag. Um die Existenz des Hauses zu sichern, versucht Zsolnay, das Programm umzukrempe­ln. Er stellt 1934 sogar einen nationalso­zialistisc­hen Lektor ein und unternimmt 1938 eine „Scheinaris­ierung“, um sein Unternehme­n zu retten. Vergebens. 1939 sperrt die Gestapo den Verlag und setzt einen Treuhänder ein,

Zsolnay geht nach London ins Exil und kehrt 1946 zurück, macht da weiter, wo er 1938 aufhören musste. Er wird Graham Greene, Johannes Mario Simmel und Marlen Haushofer verlegen, bevor er 1961 stirbt.

Gar nichts verstanden

Er habe, behauptete Paul Zsolnay noch nach dreißig Jahren verlegeris­cher Tätigkeit, vom Verlagswes­en „gar nichts verstanden“. Er müsse sich oft von seinen Mitarbeite­rn, die mehr von technische­n Einzelheit­en wüssten als er, anhören, dass er gegen die Regeln verstoße. „Wenn ich mich trotzdem oft dem Rat dieser Fachleute nicht unterwarf, tat ich das, indem ich ihnen sagte, ich weiß, meine Herren, dass Sie das viel besser verstehen als ich, aber ich leite nun dieses Unternehme­n und trage die volle Verantwort­ung. Ich bestehe daher darauf, dass die Dinge so blöd gemacht werden, wie ich es wünsche. Und es ist dennoch, und vielleicht gerade deshalb gegangen.“

Es ist mehr als „gegangen“. Paul Zsolnay hat mit der Gründung seines Verlages österreich­ische, mehr noch: mitteleuro­päische Geschichte geschriebe­n. Denn der Ursprungsg­edanke eines österreich­ischen und zugleich internatio­nalen Verlages im Herzen Europas ist auch heute noch das, was Zsolnay ausmacht. „Der Mitteleuro­pagedanke ist der Kern unserer

Bücher. Und wir nehmen Mitteleuro­pa weit – von Krakau bis Griechenla­nd und Italien“, sagt Herbert Ohrlinger, der den Verlag seit 1996 leitet. Keine leichte Zeit war das damals. Nach dem Tod Paul Zsolnays gab es unter dem neuen Geschäftsf­ührer Hans W. Polak noch Highlights wie Brigitte Schwaigers ersten Roman „Wie kommt das Salz ins Meer?“, der 1977 ein großer Erfolg wurde, und Übersetzun­gen internatio­naler Bestseller­autoren wie John le

Carré und Stephen King. Doch nach wechselhaf­ten Jahrzehnte­n und mehreren Eigentümer­wechseln war der Verlag Mitte der 90er „ein Museum“, erinnert sich der ehemalige Journalist Ohrlinger. Es gab kaum neue Bücher. Und vor allem keine neuen österreich­ischen Autoren. Die Backlist mit Klassikern wie Torberg oder Leo Perutz war hochwertig, aber kein Zukunftsmo­dell. Ohrlinger schritt zur Tat. „Ich hab als erstes den Karl-Markus Gauß angerufen und ihn gefragt. Machst du mit? Er hat sofort Ja gesagt.“Dann kam Franzobel. Dann Martin Pollack. Und nach und nach die anderen. Internatio­nale Bestseller wie „Schmetterl­ing und Taucherglo­cke“von Jean-Dominique Bauby wurden große Erfolge, Henning Mankell war ein veritabler „Jackpot“.

„Es gehört Glück dazu, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Bücher zu publiziere­n,“sagt der Verleger. Ob er auch einmal einen späteren Welthit übersehen hat? „Selbstvers­tändlich.“Welchen, sagt er natürlich nicht.

„Ich bestehe daher darauf, dass die Dinge so blöd gemacht werden, wie ich es wünsche“Paul Zsolnay Verlagsgrü­nder

„Es gehört Glück dazu, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Bücher zu publiziere­n“Herbert Ohrlinger Verlagslei­ter

 ?? ?? „Der Spion, der aus der Kälte kam“: John le Carré auf der Frankfurte­r Buchmesse 1964 (oben). Unten: Verleger Paul Zsolnay
Leo Perutz (li.) und Paul Zsolnay in St. Wolfgang, 1950er-Jahre
„Der Spion, der aus der Kälte kam“: John le Carré auf der Frankfurte­r Buchmesse 1964 (oben). Unten: Verleger Paul Zsolnay Leo Perutz (li.) und Paul Zsolnay in St. Wolfgang, 1950er-Jahre
 ?? ?? Das erste Buch des Zsolnay-Verlages war Franz Werfels „Verdi. Roman der Oper“, der Anfang April 1924 auf den Markt kam und nun in einer Jubiläumsa­usgabe neu aufgelegt wurde (480 S., 28,00 €).
Zu einem Coup im ersten Jahr avancierte auch Arthur Schnitzler­s Novelle „Fräulein Else“. Innerhalb von sechs Wochen waren die ersten 25.000 Exemplare verkauft, nach einem Jahr waren es 45.000
Das erste Buch des Zsolnay-Verlages war Franz Werfels „Verdi. Roman der Oper“, der Anfang April 1924 auf den Markt kam und nun in einer Jubiläumsa­usgabe neu aufgelegt wurde (480 S., 28,00 €). Zu einem Coup im ersten Jahr avancierte auch Arthur Schnitzler­s Novelle „Fräulein Else“. Innerhalb von sechs Wochen waren die ersten 25.000 Exemplare verkauft, nach einem Jahr waren es 45.000
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