Kurier (Samstag)

„Die Josefstadt gefährdet meine Gesundheit“

Herbert Föttinger. ... weil er sie so liebt, sagt der Direktor des Theaters. Ein Interview über Schreien und Schmerz auf der Bühne, Julian Pölsler, den Demokratie-Appell an die ÖVP-Anhänger und seinen Abschied

- VON GEORG LEYRER

Der Direktor ist schon voll in der Emotion, bevor das Interview noch begonnen hat. Man spricht über respektlos­e Kritiken, theatrale Faschismus­Warnung und die aktuelle Übergriffs­debatte am Theater. Mittendrin schalten wir auf offiziell um ...

KURIER: ... Aber Sie sind halt ein gestandene­s Mannsbild mit lauter Stimme. Das ist doch ganz etwas anderes, allein von der Physiognom­ie her, als eine junge Frau, die direkt aus der Schauspiel­schule kommt. Mit Ihnen legt sich keiner dreimal an, aber die junge Frau wird gezielt fertiggema­cht.

Herbert Föttinger: Das stimmt natürlich. Ich habe mir nie etwas gefallen lassen. Aber die Notwendigk­eit, sich zu behaupten, kam erst mit Wien. In Hildesheim war das kein Thema, da sagte der Regisseur, wie gut wir waren, und die Presse schrieb, dass wir wunderbar waren, und alle waren zufrieden – aber ich fand’s schlecht. Die Frage für einen Schauspiel­er ist aber: Wie komme ich aus Hildesheim raus? Dann kommst du in eine Stadt, wo der künstleris­che, der Qualitätsd­ruck ein ganz anderer ist.

Aber der muss doch nicht über Schmerz funktionie­ren!

Wenn mir jemand noch so lieb sagt, das ist nicht gut, du lieferst das nicht, dann gehe ich mit Schmerzen nach Hause, mit dem Gefühl, ich kann es nicht. Das sind Schmerzen, die kann man sich gar nicht vorstellen! Karlheinz Hackl war ein wunderbare­r Regisseur, trotzdem hatte ich immer Angst. Aber ich hatte keine Angst vor ihm, sondern Angst vor mir. Versagensa­ngst, wenn man’s so will.

Kann man in der Kultur nur über Schmerz zu Höchstleis­tungen kommen?

Ich weiß es nicht. Aber ich glaube schon. Schauen Sie: Ein Spitzenspo­rtler trainiert auch so intensiv, das geht nicht ohne Schmerzen. Das heißt nicht, dass man übergriffi­g sein darf, gar nicht! Wenn jemand fertiggema­cht wird, dann kämpft einer gegen einen anderen, das ist Scheiße. Aber gemeinsam für etwas kämpfen? Unbedingt!

Die Frage ist, mit welchen

Mitteln.

Absolut. Aber wenn man spürt, dass man zusammen für eine Sache brennt, dann spornt man sich gegenseiti­g an. Als Regisseur überschrei­te ich ja auch Grenzen – in mir! Ich gebe etwas preis, ich lege meine Seele hin. Das ist ein intimer Prozess. Ich will Machtmissb­rauch überhaupt nicht verteidige­n, der darf nicht sein! Aber der Regisseur ist dazu da, um den Schauspiel­er dazu anzusporne­n, seine Komfortzon­e zu verlassen und schauspiel­erische Höchstleis­tungen zu erbringen. Das nervt ihn mitunter genau so wie den Fußballspi­eler, den der Trainer noch zehn Runden laufen lässt.

Wie ist das, wenn etwa Julian Pölsler in den Kammerspie­len inszeniert? Sitzt da jemand dabei und sagt, stopp, das geht zu weit?

Es würde jemand sagen, aber zu so einer Situation kam es nicht.

Weil sie sich fürchten?

Nein! Pölsler ist ein Filmregiss­eur, der sagt: Steh da ein paar Zentimeter weiter drüben. Das Kleinteili­ge war das Anstrengen­dste an seinen Arbeiten bei uns.

Aber er selbst sagte, dass er seine Arbeitswei­se ändern müsse.

Das ist ja auch in Ordnung so. Aber ich bin davon überzeugt, dass er die Filmregie meinte, nicht seine Theaterarb­eit. Das ist in dem Fall wirklich etwas ganz anderes. Wenn es etwas zu klären gibt, dann muss man das auch tun.

Im Fernsehen sagten Betroffene, es gibt viel zu klären.

Die nächste Regie bei uns, die mit Ferdinand von Schirach abgesproch­en war, wird er nicht machen. Wir haben uns einvernehm­lich gelöst.

Jetzt bestimmt diese Debatte, was intern schiefläuf­t, gerade das Bild von Kultur in der Öffentlich­keit. Klingen da Warnungen vor dem wieder aufkeimend­en Faschismus von der Bühne herab nicht hohl, wenn man selbst so miteinande­r umgeht?

Man sollte von diesen Beispielen nicht auf alle Regisseure und Schauspiel­er verallgeme­inern! Es ist doch auch nicht wegen Sebastian Kurz die ganze ÖVP-Klientel genau so. Das so zu sehen wäre ja fatal!

Apropos: Wenn man im Theater vor dem Faschismus warnt, predigt man da nicht ohnehin nur zu den Bekehrten? Glauben Sie, viele Menschen im Josefstadt-Publikum müssen vor den Verlockung­en des Rechtspopu­lismus bewahrt werden?

Wenn man das so sieht, stellt man doch das Theater im Ganzen infrage. Da erreicht man selten das Publikum, das man gern erreichen würde. Aber mit „Leben und Sterben in Wien“erreiche ich hundertpro­zentig das richtige Publikum: Da sitzen sehr viele ÖVP-Wähler, und die müssen einfach wissen, was 1933 passiert ist. 1933 hat Herr Dollfuß mit einem Staatsstre­ich das Parlament aufgelöst. Und diese Partei, die das gemacht hat, die Christlich­sozialen, stellen im Moment den Bundeskanz­ler. Es ist ein Appell gerade an die bürgerlich­en Wählerinne­n und Wähler, die da drinnen sitzen, wie zerbrechli­ch das Pflänzchen Demokratie ist. Das haben wir 1933 erlebt. Und vielleicht erleben wir das erneut, denn die Demokratie­n sind wieder gefährdet.

Aber es gibt doch viele ÖVPWähler, die die FPÖ ablehnen, neben denen, die sagen: Probier ma’s wieder.

Es gibt in Österreich eine Sehnsucht dem starken Mann. Das zeigen viele Umfragen. Europaweit gibt es den Hang zum Rechtspopu­lismus, zur autoritäre­ren Demokratie. Das sieht man bei Orban, und hoffentlic­h nicht bald in Österreich. Da ist es doch legitim zu sagen: Lernen wir etwas aus unserer Geschichte!

Wenn es ab Herbst eine blauschwar­ze Regierung geben sollte: Was heißt das für Ihre beiden letzten Jahre hier in der Josefstadt?

Ich habe mich nie zurückgeha­lten und würde die Dinge anprangern.

Vor Herrn Kickl, den Sie ins Theater eingeladen haben?

Auch, aber was mich eher traurig macht, ist, dass Herr Nehammer nicht kommt. Und Michael Ludwig nicht kommt. Ich finde, es gibt keinen wichtigere­n Termin als „Leben und Sterben in Wien“.

Hören Sie wirklich in zwei Jahren auf?

Ich bin die personifiz­ierte Josefstadt. Ich liebe dieses Haus. Aber ich bin dann 65. Ich habe das Meinige getan. Es ist so anstrengen­d, mit der Leidenscha­ft, auch mit diesem Kraftaufwa­nd, mit dem ich es gemacht habe. Ich bin ein Berserker, ich habe mich aufgeriebe­n für dieses Haus. Ich dachte immer, das spielt sich ein. Nichts hat sich eingespiel­t! Die Josefstadt gefährdet meine Gesundheit. Weil

ich sie so liebe. Meine Batterien sind irgendwann leer. Ich wünsche mir einen super Nachfolger und das Beste für dieses Haus. Ich bin jahrelang mit 160 gefahren. Aber ich will nicht am Schluss gegen eine Wand fahren.

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Herbert Föttinger sagt: „Als Regisseur überschrei­te ich ja auch Grenzen – in mir!“

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