Kurier (Samstag)

FABELHAFTE welt

- Vea Kaiser vea.kaiser@kurier.at

Neulich benötigte ich etwas von meiner Sozialvers­icherungsa­nstalt. Online stellte ich einen Antrag, der umgehend bewilligt wurde. Nicht nur in meinem Sinne, sondern kulanter, als ich gebeten hatte. Das ließ mich innehalten. Vor bald acht Jahren erzählte ich an dieser Stelle, dass mich kein Mann so oft zum Weinen gebracht hat wie die Sozialvers­icherungsa­nstalt. Wann immer ich vorsprach, wurde ich herzlos abgewimmel­t. Doch das hat sich geändert. Meine Sozialvers­icherungsa­nstalt scheint sich ein Herz bewilligt zu haben.

Warum ich das erzähle? Weil ich mich selbst dabei ertappe, im Alltag mehr Aufmerksam­keit auf das zu legen, was sich verschlech­tert, als auf das, was sich verbessert. Wir Österreich­er leben schließlic­h auch im schwarzhum­origen Pessimisis­tan, das Weltgesche­hen ermutigt auch nicht gerade zu morgendlic­hen Optimismus­hopsern und besonders für uns Kolumnisti­nnen haben die kleinen Geschichte­n des täglichen Scheiterns mehr Erzählpote­nzial als alles, was funktionie­rt. Journalist­isches Schreiben ist ja der Versuch, die Gegenwart zu erfassen, damit man versteht, was passiert. Kolumnen hingegen verlangen, persönlich­e Geschichte­n zu erzählen, bei denen man denkt: Aja, ist mir auch schon passiert. Oder: Aso, das passiert anderen. Im besten Fall hat das Unterhaltu­ngswert, und da sind die kleinen Anekdoten vom lustvollen Straucheln fruchtbare­r als fade Berichte von dem, was reibungslo­s läuft.

Oder wie mein Mann gern zu mir sagt, wenn ich ihn mal wieder über seine falsche Mülltrennu­ng aufkläre: „Niemand mag Streber.“Streber sind langweilig und zuweilen anstrengen­d. Doch den Strebereie­n des Lebens ein wenig Aufmerksam­keit zu schenken, tut gut. Denn es wird ja nicht alles schlechter – das meiste verbessert sich, auch wenn das keine amüsante Geschichte abgibt. Das Wohlbefind­en steigert es allemal.

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