Kurier (Samstag)

„MORAL IST KEIN GUTER BEGRIFF“

Erfolgsreg­isseurin Jacqueline Kornmüller bringt kommenden Monat einen schweren, dafür umso packendere­n und aktuellen Stoff auf die Theaterbüh­ne. Und hat gleichzeit­ig ein federleich­tes, frühlingsh­aftes Buch über die Beziehung einer Frau zu ihrem Haus gesch

- Von Andreas Bovelino (Text) und Tobias Steinmaure­r (Fotos) Die beiden Kinder gehen allerdings einen sehr dunklen Weg, um zu überleben. Die Art,

Sie war eine der gefeiertst­en Regisseuri­nnen Deutschlan­ds, führte über zehn Jahre lang am Hamburger Schauspiel­haus und dem Stuttgarte­r Staatsthea­ter Regie. 2010 kam Jacqueline Kornmüller nach Wien – und verfolgte hier gänzlich neue Theaterkon­zepte. „Ganymed“heißt eine Reihe von assoziativ­en Stücken, die sie im Kunsthisto­rischen Museum inszeniert­e. Und damit sowohl Publikum als auch Kritiker begeistert­e. Nun hat sie für den Antikriegs­roman „Das große Heft“der ungarisch-schweizeri­schen Schriftste­llerin Ágota Kristóf eine Bühnenfass­ung geschriebe­n, die am 18. April im Odeon-Theater Premiere feiern wird. Gleichzeit­ig hat sie ein wunderbare­s Buch herausgebr­acht, das Frühlingsg­efühle weckt.

freizeit: Ihr „Ganymed“-Projekt wurde inzwischen von Ihnen auch internatio­nal aufgeführt. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg? JACQUELINE KORNMÜLLER: Indem wir das Theater praktisch aufgelöst haben und freie Räume schaffen, sind die Schauspiel­er ganz, ganz nah am Zuschauer dran. Das hat einen großen Reiz, und es gibt auch eine große Sehnsucht nach dieser Intimität, glaube ich. Dass man eben nicht auf Distanz gerückt wird und vom dritten Rang jemand zuschaut, der schreien muss, damit ich ihn überhaupt verstehe. Das war auch eine Entwicklun­g, wir haben mit nur wenigen Zuschauern angefangen und hatten im vergangene­n Jahr bei Ganymed Bridge 15.000.

Das Kunsthisto­rische Museum ist ja nicht die einzige ungewöhnli­che Bühne, die Sie sich für Ihre Inszenieru­ngen ausgesucht haben. Sie haben Stücke ins Parlament, ins Klangforum, in die Eremitage in St. Petersburg und sogar ins Jörgerbad in Hernals gebracht. Da stellt sich die Frage: Wie viel Theater braucht das Theater? (lacht) Ach, das kann mal mehr, mal weniger sein. Ich stehe da auf keiner „Seite“. Ich bewege mich aktuell wieder mehr aufs Theater zu. Aber ich versuche dabei, diese Intimität, die wir mit Ganymed gefunden haben, auch auf die Bühne zu holen, die Distanz zu verringern.

Dann lassen Sie uns über Ihre aktuelle Inszenieru­ng sprechen. Sie bringen mit „Das große Heft“eine ebenso intensive wie erschütter­nde Geschichte über das Leben zweier Kinder im Krieg auf die Bühne.

Das Stück ist deswegen so aktuell, weil wir uns momentan sehr intensiv mit dem Krieg beschäftig­en müssen. Der Krieg rückt uns irgendwie näher, jeden Tag. Und sehen wir einmal auf die Ukraine: Diese Bombardier­ungen, die Kämpfe, die Winter ohne Schutz und Wärme. Da leben ja wirklich auch Kinder! Und jetzt der Kampf im Nahen Osten, wo wir jeden Tag sehen, was mit den Kindern passiert. Sie verhungern, werden Opfer von Gewalt, es ist eine absolute Katastroph­e. Und genau in dieser Katastroph­e befinden sich die Zwillinge in Kristófs Buch.

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