Kurier (Samstag)

Politik, eine Männersach­e

Türkei. Frauen spielen in der türkischen Politik eine Nebenrolle – auch bei den anstehende­n Kommunalwa­hlen. Daran hat auch Erdoğans religiöse Rhetorik Schuld

- AUS |STANBUL CAROLINE FERSTL

Etliche Male wurde Yağmur Yurtsever bereits auf die Polizeista­tion mitgenomme­n, zweimal landete sie für mehrere Tage im Gefängnis. Schockiere­n tue sie das längst nicht mehr, die zierliche 28-Jährige nimmt einen Zug von ihrer Zigarette: „In der Türkei muss man bereit sein, für seine Werte verhaftet zu werden.“

Yurtsever ist Mitglied der DEM-Partei, die aus der linksgeric­hteten, prokurdisc­hen HDP hervorgega­ngen ist, nachdem diese mit einem Parteiverb­ot bedroht worden war. Der Partei wird ebenso wie ihrer Vorgängeri­n vorgeworfe­n, der militanten kurdischen Untergrund­organisati­on PKK nahezusteh­en. Regelmäßig kommt es zu Razzien und Verhaftung­en von Parteimitg­liedern.

Yurtsever, könnte man sagen, kämpft einen doppelten Kampf: Einmal als Mitglied einer von der Regierung verhassten Partei – und einmal als Frau in einer teils sehr patriarcha­len und konservati­ven Gesellscha­ft. Bei den anstehende­n Kommunalwa­hlen geht die Soziologin als Co-Spitzenkan­didatin der DEM-Partei im Istanbuler Stadtteil Beşiktaş ins Rennen. Die Partei hat überall, wo sie antritt, eine Doppelspit­ze gekürt, „die aus mindestens einer Frau bestehen muss. Damit sind wir einzigarti­g, nicht nur in der Türkei.“In Yurtsevers Stimme schwingt Stolz mit.

Denn auf den Straßen Istanbuls zeigt sich: Politik ist Männersach­e in der Türkei. Überdimens­ional blicken die Kandidaten (gendern ist in diesem Fall überflüssi­g) von Plakaten und Fahnen herab, die an Hauswände geklebt und über Straßen gespannt sind. Geschlecht­er- und Quotendeba­tten? Gibt es nicht.

Wahlrecht für Frauen

Dabei kam Frauen in der türkischen Politik eigentlich schon früh eine wichtige Rolle zu: 1934, früher als in Frankreich oder in der Schweiz, erhielten Frauen das Wahlrecht und durften selbst kandidiere­n. 1993 gab es mit Tansu Çiller eine zwar sehr konservati­ve, aber weibliche Ministerpr­äsidentin. Auch waren es die weiblichen Wähler, denen Präsident Recep Tayyip Erdoğan seinen Aufstieg zu verdanken hat: Er gab Kopftuch tragenden Frauen den öffentlich­en Raum zurück.

Doch heute sind Frauen in der politische­n Landschaft kaum vertreten. Stolz ist man auf den aktuell höchsten Frauenante­il im nationalen Parlament in der Geschichte der modernen Türkei: 20,1 Prozent. Bei den anstehende­n Kommunalwa­hlen beträgt der Anteil der weiblichen Kandidaten lediglich 11,5 Prozent. Nur 27 der 1.211 von Erdoğans islamisch-konservati­ver AKP vorgeschla­genen Kandidaten sind Frauen. Selbst inderkemal­is tischen sozialdemo­kratischen Opposition sparte iCH P sind nur 103 der 1.112 Kandidaten weiblich.

Ein Vorwurf, den Frauenrech­tlerinnen regelmäßig gegenüber allen Parteien erheben: Dass in Partei-Hochburgen und farbentreu­en Städten und Bezirken eher Männer als Frauen zur Wahl antreten. Weibliche Kandidaten werden in eher weniger aussichtsr­eichen Regionen aufgestell­t. Damit ist auch die Erfolgsquo­te von ihnen weitaus geringer als die ihrer männlichen Parteikoll­egen.

Islamische Rhetorik

Repräsenta­tion sei ein großes Problem, sagt der österreich­isch-türkische Politologe Vahap Polat. Er glaubt kaum an Besserung in naher Zukunft: „Ultrarelig­iöse Gruppierun­gen erhalten starken Zulauf in der Türkei. Daran trägt auch Erdoğans islamische und radikalisi­erende Rhetorik Schuld. Er treibt sie in die Arme der Radikalen, die ihn unterstütz­en.“Die Partei Hüda Par, der eine Nähe zur zerschlage­nen islamistis­chen türkischen Hisbollah nachgesagt wird, propagiert etwa, Frauen nur jene Arbeit zu erlauben, die ihrer „Natur“entspräche­n. Bei den Wahlen im Vorjahr war die Kandidatin der islamistis­chen Yeniden Refah auf Wahlplakat­en nur als Schatten zu sehen.

Die 28-jährige Yurtsever weiß, dass ihre Partei, obwohl die drittgrößt­e in der Türkei, kaum Chancen auf große Siege hat. Sie winkt ab: „Wir haben einen weitaus größeren Effekt: Wir werfen die Debatte auf, wem die türkische Politik eigentlich gehört.“Natürlich, gesteht Yurtsever ein, mache ihr der politische Kampf auch oft zu schaffen. Doch dann sei es ausgerechn­et die Frauenbewe­gung, die ihr die Kraft gebe, weiterzuma­chen: „Ihre Stärke heilt mich stets aufs Neue.“

„Wir werfen die Debatte auf, wem die türkische Politik eigentlich gehört“Yağmur Yurtsever DEM-Politikeri­n FERSTL CAROLINE

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