Kurier (Samstag)

Demontage einer Demokratie: Gesetz bringt Hongkong auf Linie Chinas

Auch ausländisc­he Unternehme­r könnten künftig rechtliche­r Willkür ausgesetzt sein

- JOHANNES ARENDS

Hongkong. Acht Meter hoch, rosafarben, voller verzerrter Körper und Gesichter. Die „Säule der Schande“in der Eingangsha­lle der Uni Hongkong sollte an die Opfer des Massakers am Pekinger Tian’anmen-Platz 1989 erinnern, an das Ende der chinesisch­en Demokratie­bewegung.

Für die Menschen in Hongkong war das Mahnmal identitäts­stiftend, weil es auf dem Festland undenkbar wäre. Doch wie so viele Symbole der Freiheit in Hongkong verschwand auch die tonnenschw­ere Skulptur über Nacht. Nur heimliche Foto- und Videoaufna­hmen belegen, wie Angestellt­e der Uni in der Nacht des 22. Dezember 2021 abgesägte Teile der Säule in einen Lkw trugen.

Symbolisch­er geht es kaum, wird doch auch die Hongkonger Demokratie seit Jahren stückchenw­eise abgetragen. Am Samstag, wenn das neue nationale Sicherheit­sgesetz in Kraft tritt, geht diese Ära endgültig zu Ende.

Seit Hongkong 1997 an China zurückgege­ben wurde, ist die Sonderverw­altungszon­e dazu verpflicht­et, ein solches Sicherheit­sgesetz einzuführe­n. 2019, als die Regierung es zuletzt versuchte, hatten Hunderttau­sende protestier­t, sich wochenlang Straßensch­lachten mit der Polizei geliefert.

Vor vier Jahren verhängte China dann ein nationales Sicherheit­sgesetz über Hongkong, wonach all jene Stadtbewoh­ner, die aus Sicht der Partei die nationale Sicherheit gefährden, auf dem Festland vor Gericht gestellt werden können. Alle wichtigen Rädelsführ­er von 2019 sind heute entweder in Haft, im Ausland oder nur auf Bewährung frei.

„Ausländisc­he Agenten“

Nun liefert die Hongkonger Regierung also ihr eigenes Sicherheit­sgesetz, wie es die Verfassung seit fast dreißig erfordert. Das sei nötig, sagte Regierungs­chef John Lee, denn: „Noch immer lauern ausländisc­he Agenten und Unabhängig­keitsbefür­worter in unserer Gesellscha­ft.“

Katja Drinhausen vom Mercator Institut für ChinaStudi­en (MERICS) meint: „Peking hat es schon jetzt geschafft, die Opposition aus dem politische­n Gerüst in Hongkong zu entfernen.“Bezeichnen­d: Dass das Gesetz im Parlament angenommen wurde, veröffentl­ichten Chinas Staatsmedi­en am Dienstag mit dem „korrekten“Ergebnis – während die Abstimmung in Hongkong noch lief.

Das neue Gesetz umfasst fünf neue Straftatbe­stände, die bewusst breit auslegbar sind: Hochverrat, Aufstand, Spionage, Gefährdung der öffentlich­en Sicherheit und ausländisc­he Einflussna­hme. Vor allem der letzte Punkt stellt internatio­nale Firmen und Organisati­onen vor ein juristisch­es Rätsel. Die Formulieru­ng schaffe „wahnsinnig viel Unsicherhe­it“, so Drinhausen. „Welche Art von Austausch mit ausländisc­hen Akteuren ist denn gewollt? Wo verlaufen die roten Linien?“Die Frage betreffe auch „Handelskam­mern und andere Verbände aus dem Ausland“– darunter die österreich­ische Wirtschaft­skammer, die ein Außenwirts­chaftscent­er in Hongkong betreibt, auf KURIER-Anfrage aber zu keiner Stellungna­hme bereit war.

Letztlich wolle die chinesisch­e Führung eine Art vorauseile­nden Gehorsam bei den Bewohnern Hongkongs erwirken, indem „der Informatio­nsaustausc­h, die Zusammenar­beit mit dem Ausland, als potenziell­e Gefahr gesehen wird“, so Drinhausen.

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