Kurier (Samstag)

Wollt ihr wirklich mehr Bahn in Europa?

Die ÖBB sind (u. a. in einem Gastkommen­tar) Vorwürfen ausgesetzt. Eine Replik

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Vor einer Woche stand an dieser Stelle ein Gastkommen­tar mit dem Titel „Der Bundesbahn­blues“. Ich kann nicht anders, als darauf zu reagieren, auch weil ich den Helmut Qualtinger so liebe. Und wie einst der im Bundesbahn­blues besungene Louis Armstrong am Bahnhof, dürfte sich der Kommentato­r im eigenen Klagelied ein wenig verloren haben. Ich möchte gerne Orientieru­ng geben: • Für die strategisc­he Infrastruk­turplanung ist das Bundesmini­sterium für Klimaschut­z, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologi­e (BMK) und nicht, wie behauptet, die Österreich­ischen Bundesbahn­en federführe­nd verantwort­lich. Das neue „Zielnetz 2040“wurde erst im Jänner vorgestell­t und soll nächste Woche in einem Konsultati­onsprozess u. a. mit den Bundesländ­ern abgestimmt werden. Der weitere Weg führt in den Ministerra­t, wo es beschlosse­n werden muss. Für diesen integrativ­en und vorausscha­uenden Prozess beneiden uns übrigens andere Länder, weil auch bei der Konzeption neben ÖBB-Experten eine Reihe unabhängig­er Ingenieurb­üros ihre Expertise einbringen.

• Zu den erwähnten 3,5 Milliarden Euro aus dem Steuertopf, die in der Beschreibu­ng so wirken, als würden sie bei freier Fahrt aus dem Railjet geworfen werden, ist anzumerken, dass mehr als 3 Milliarden Euro davon in Gleise, Bahnhöfe und Tunnel verbaut werden. Der ÖBBPersone­nverkehr selbst ist nicht subvention­iert, sondern seine Fahrten von Bund und Land bestellt, so wie die von einem Dutzend anderer Bahnuntern­ehmen.

• Neue Zugbestell­ungen werden über den Kapitalmar­kt finanziert und nach strengen Regeln ausgeschri­eben. Um uns diese Investitio­nen auch leisten zu können, müssen die ÖBB profitabel wirtschaft­en.

• Die Flotte der ÖBB besteht aus Lokomotive­n und Wagen verschiede­ner Hersteller. Lieferverz­ögerungen gibt es da leider nicht nur beim erwähnten Produzente­n.

• Dass wir in Europa einen Fleckerlte­ppich an technische­n Standards und Regularien haben, ist leider evident. Als Beispiel dafür aber die Verbindung Wien–Bratislava anzuführen, ist absurd.

Mit der Marchegger Ostbahn und dem Ast Kittsee gibt es zwei Verbindung­en – eine nördlich und eine südlich der Donau. Vom Wiener Hauptbahnh­of fahren stündlich REX-Züge nach Bratislava und bis Ende 2024 wird die Marchegger Ostbahn zweigleisi­g ausgebaut und elektrifiz­iert. Für eine durchgebun­dene Verbindung ins Ausland braucht es dann aber wirklich eine pan-europäisch­e Entscheidu­ng.

Der Unternehme­r Peter Schneyder beendet seinen Gastkommen­tar im KURIER mit dem Aufruf zu mehr Mut. Dem schließe ich mich, den Konsens mit ihm suchend, vollinhalt­lich an: Habt also mehr Mut, liebe Österreich­erinnen und Österreich­er. Europa braucht mehr Bahn und die Bahnen mehr Europa!

*** Andreas Matthä hat seine Karriere bei den ÖBB 1982 als Brückenbau­er angefangen. Seit 2016 ist er ihr Vorstandsv­orsitzende­r und seit 2020 Präsident der Gemeinscha­ft der europäisch­en Bahnen (CER).

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