Zwischen Lenin und Caritas
KPÖ. Die morgige Stichwahl um das Bürgermeisteramt in Salzburg wirft ein Schlaglicht auf eine Partei, die in Österreich lange total aus der Mode war. Ein Rückblick auf gut 100 Jahre Kommunistische Partei
Vor 1934 hat die KPÖ 4.000 Mitglieder. Danach 16.000
Gleich zu Beginn ihrer Geschichte fiel die KPÖ vor allem durch eines auf: Aktionismus. Während der Ausrufung der Republik 1918 holten die Kommunisten die neue rot-weißrote Fahne von der Stange vor dem Parlament, schnitten den weißen Streifen heraus, verknoteten den Rest und hissten so eine rote Fahne – Symbol der sozialistischen Republik. Für den Rest der Ersten Republik blieb die Partei, die von einer Handvoll Revolutionären am linken Rand der Sozialdemokratie begründet worden war, bedeutungslos.
Über die Gründe für das Schwächeln meint Historiker Manfred Mugrauer vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW): „Schuld war die Übermacht der Sozialdemokratie – damals die mitgliederstärkste Partei der Welt.“Auch der Verbalradikalismus der Kommunisten habe das seine getan. Weder im Landtag noch im Nationalrat vertreten, machte man sich auf betrieblicher und kommunaler Ebene für kommunistische Ideen stark – ein Umstand, der sich durch die Geschichte der KPÖ ziehen sollte.
Das mit der kommunaler Ebene erinnert ein wenig an die vergangenen Wochen, in denen KayMichael Dankl sich aufmachte, den Salzburger Bürgermeistersessel zu erobern. Zum aktuellen Wahlergebnis meint KP-Kenner Mugrauer: „Ich glaube, dass bei den Wahlmotiven die Auseinandersetzung mit der Geschichte gar keine Rolle gespielt hat.“
Ideologie ist out
Ein Schwerpunkt liege im Sozialen: „Die Ideologie steht auf den erstenBlicknichtimVordergrund. Wir hören weder von Weltrevolution, noch vom Abschaffen des Kapitalismus oder Wirtschafts- und Europafeindlichkeit. Wenn man aber dahinter schaut, ist die KPÖ natürlich noch immer politisch radikal“, analysiert die Historikerin Barbara Stelzl-Marx.
Kommunisten wollen selbstredend den Kapitalismus bekämpfen, meint auch Historiker Hannes Leidinger: „Lenin als ,Friedensbringer‘wirdnachwievorhochgehalten. Doch der war mitnichten Pazifist. Bei seinem Regime handelte es sich von Anfang an um eine gewaltbereite, den Massenterror legitimierende Diktatur.“Rechte wie linke Diktaturen hätten gleichermaßen Massenverbrechen zu verantworten. StelzlMarx diagnostiziert jedenfalls ein „Herumlavieren, was die dunkle Vergangenheit betrifft, vor allem, wenn es um die Verbrechen des Stalinismus geht“.
Das unkritische Verhältnis zur Sowjetunion und die Rechtfertigung aller Verbrechen seien auch die Gründe, warum die KPÖ über Jahrzehnte keinen Fuß mehr auf den Boden bekam. Latenter Antislawismus und das große Feindbild Rote Armee habe in Österreich ein Übriges getan. Das Stimmungsbarometer schlug immer mehr zugunsten des Westens aus.
Für Mugrauer ist es paradox, dass ausgerechnet „jene Partei, die am stärksten auf die Wiederherstellung Österreichs orientiert war, als antiösterreichische russische Partei stigmatisiert wurde“. Denn mit dem Aufstieg der AustroFaschisten begann auch die große Zeit der Kommunisten – im Untergrund. In der Nazizeit wurde die mittlerweile verbotene Partei zum Sammelbecken für Widerstandskämpfer (siehe Grafik unten).
Überall vertreten
Das wirkte nach. „Dass die KPÖ an der Nachkriegsregierung beteiligt war, ist ihrer wichtigen Rolle im antifaschistischen Widerstandskampf geschuldet“, sagt Mugrauer. Damals waren die Kommunisten übrigens in so gut wie allen Regierungen Westeuropasvertreten,„inFrankreichsogar als stärkste Partei, in Italien als zweitstärkste“.
In Österreich aber attestieren Historiker der KPÖ unisono geringen politischen Stellenwert. Man war von Beginn an in der Defensive: „Nirgendwo hat der Antikommunismus eine derart überragende Rolle gespielt. Die Weichen waren von Anfang an auf Ausgrenzung gestellt“, meint Mugrauer. Nur im ersten Nachkriegsjahrzehnt hatte die KPÖ – auch aufgrund der Präsenz der sowjetischen Besatzungsmacht – innenpolitischen Einfluss. „Nach 1945 war sie am demokratischen Wiederauf bau beteiligt. Man zählte zu den Gründerparteien der Zweiten Republik und saß in der Regierung.“Fazit des DÖW-Historikers: „Es gibt nur zwei Zugänge – alles, was mit KPÖ zu tun hat, wird entweder dämonisiert oder als Caritas verniedlicht.“
Und so fragt sich Historiker Leidinger, warum sich die KPÖ unbedingt das schwere Erbe dieser Gewaltgeschichte antun will. „Es wäre einer derart sozialreformerischen Bewegung anzuraten, sich eine alternative Selbstbezeichnung zuzulegen. Wer will den heute noch mit einer Diktatur des Proletariats liebäugeln?“
3. November 1918
Die Kommunistische Partei DeutschÖsterreichs (KPDÖ) wird in den Eichensälen in Wien-Favoriten von etwa 50 Revolutionären gegründet. Sie ist damit die drittälteste kommunistische Partei der Welt – nach der russischen und finnischen. Am Vortag hatte noch der sozialdemokratische Politiker
Friedrich Adler (Bild) abgelehnt, sich an die Spitze einer solchen Bewegung zu stellen.
1945
Aufgrund des Prestigegewinns im Widerstandskampf kommt man nach dem Krieg nicht an ihr vorbei: In der ersten provisorischen Regierung unter Karl Renner sind auch sechs Kommunisten und eine Kommunistin vertreten. Bei den folgenden ersten Nationalratswahlen am 25. November 1945 kommt die KPÖ auf nur 174.257 Stimmen (5,42 %).
1947 endet ihre Regierungsbeteiligung.
Kalter Krieg
Die strikte Ablehnung des Marshallplans, der Oktoberstreik 1950 (die Behauptung, dass die KPÖ einen Versuch zur Machtübernahme gestartet habe), der Ungarnaufstand 1956, der Prager Frühling 1968 – all das wirkt sich negativ auf das Standing der KPÖ aus. In dieser Zeit treten zahlreiche Mitglieder aus der Partei aus. Am 10. Mai 1959 wird die KPÖ aus dem Nationalrat gewählt. In den Landtagen ist sie bis 1969 (Wien) bzw. 1970 (Kärnten sowie Steiermark) vertreten.
Heute
Die KPÖ verlagert den politischen Schwerpunkt noch stärker auf die Arbeit in Gemeinden, Betrieben und Gewerkschaften. Ihre stärkste kommunalpolitische Position hat sie in Graz ,wo sie 1998 erstmals in den Stadtsenat einzieht. Seit 2021 regiert dort mit Elke Kahr eine kommunistische Bürgermeisterin. In Salzburg erreicht die KPÖ+ am 10. März 2024 23,6 % der Stimmen. Morgen könnte Kai-Michael Dankl in einer Stichwahl zum Bürgermeister gekürt werden.
1919
Die KPÖ erlebt einen bemerkenswerten Aufstieg. Schlagartig wird sie im Zuge der ungarischen Räterepublik zu einer großen Partei mit 30.000 Mitgliedern. Nach dem Fall der ungarischen Räterepublik im selben Jahr erleidet sie einen ebenso rasanten Abstieg.
Nach 1938
In der Nazizeit wird die KPÖ die wichtigste Kraft im österreichischen Widerstand. Keine andere politische Kraft hat auf den Anschluss mit vergleichbarer Vehemenz und Mobilisierung zum Widerstandskampf reagiert.
26. Mai 1933
Die KPÖ wird von der austrofaschistischen Regierung unter Engelbert
Dollfuß verboten. Bis zu diesem Zeitpunkt ist sie eine innenpolitisch bedeutungslose Kraft. Nach dem
Februaraufstand 1934 steigt die KPÖ zur Massenpartei auf, weil von den Sozialdemokraten Enttäuschte massenhaft zur KPÖ überlaufen.
Späte 1930er-Jahre
Der Staatswissenschafter, Kommunist und Journalist Alfred Klahr (Bild) entwickelt als Erster das Konzept einer von Deutschland unabhängigen „Österreichischen Nation“. Bis zu diesem Zeitpunkt sind alle davon ausgegangen, dass Österreicher Deutsche sind. Klahr betont die Eigenständigkeit, weshalb der
Widerstandskampf gegen Hitler als nationaler Kampf gedeutet wird.