Kurier (Samstag)

Der Barbershop-Boom auf der Brünner Straße

Im Straßenbil­d reiht sich ein Friseur an den anderen – was sich die Betreiber dabei denken und wie sich das für sie lohnt

- VON JENNIFER CORAZZA UND ROXANNA SCHMIT JC Marcus Eisinger ist Wiener Innungsmei­ster der Frisöre

„Wir sind schon richtig angefresse­n“, sagt die Wiener Friseurin Alexandra Jursa und kämmt dabei einer Kundin durch die feuchten Haare. Seit 45 Jahren ist sie in dem Beruf tätig, aber was sie da erlebt, „das kennt sie so nicht“. Ihr Geschäft befindet sich am Floridsdor­fer Spitz, wo sich Brünner Straße und Floridsdor­fer Hauptstraß­e treffen. Wer einmal durch die Gegend spaziert, kann vermuten, was sie meint. Denn aus dem Zählen kam der KURIER gar nicht mehr raus, als er sich an diesem Morgen ein Bild über die Situation verschafft­e. Ein Barbershop reiht sich an den anderen. Wenig Abwechslun­g bieten die klassische­n Friseursal­ons zwischendu­rch. Fast lobt man sich die auffallend vielen Bestatter mittendrin. Wer einen Haarschnit­t braucht, kann im Umkreis von wenigen Metern locker aus zwanzig Salons wählen. Optisch und preislich sind die meisten nicht zu unterschei­den. Rund 15 Euro zahlt die Kundschaft für die schnelle Frisur. Ein Bart wird auch für weniger getrimmt. Ob sich mit so viel Konkurrenz noch ein Geschäft machen lässt und wie die Stimmung zwischen den Betreibern ist, hat der KURIER erfragt und überrasche­nd ehrliche Antworten bekommen. Sofern der Chef auch auffindbar war.

Konkurrenz belebt (nicht)

„Wir haben keine Konkurrenz“, sagt ein Mitarbeite­r des „Kings Friseur“, der sogar zwei Filialen auf die umkämpfte Brünner Straße gepflanzt hat. Schließlic­h sei man „der Beste“– allerdings behaupten das an diesem Tag noch mehrere. Als ihn der KURIER auf den weiteren Barbershop direkt gegenüber hinweist, zuckt er nur lässig mit den Schultern und lächelt selbstbewu­sst.

Was ihm nichts auszumache­n scheint, ist anderen seit Jahren ein Dorn im Auge. Etwa Cacan Bozkurt. Vor zwölf Jahren eröffnete er, laut eigener Angabe, als einer der ersten einen Barbershop in dieser Gegend. Das Geschäft hat er mittlerwei­le an jemanden übergeben, ist aber seitdem angestellt.

„Class Men“befindet sich auf der Floridsdor­fer Hauptstraß­e und ist bereits gut besucht, als der KURIER unangekünd­igt vorbeischa­ut. „Danke, Meister“, sagt ein Stammkunde gerade und legt einen Zwanzig-Euro-Schein auf den Tisch. Bozkurt greift nicht direkt danach, sondern setzt sich zu uns, bietet Kaffee an. Es sind weniger Kunden geworden, klagt er und schreibt das den sechs weiteren Friseuren zu, die sich in seinem Dunstkreis angesiedel­t haben. „Wer rechnet mit so was?“, ärgert er sich. Er ist einer der wenigen Befragten, der die neue Konkurrenz sogar zur Rede stellte und sich nach den Plänen erkundigte. „Zuerst meinten sie, sie würden nur Damenhaars­chnitte anbieten“, erzählt der Friseur, der sich auf das Styling von Männern spemachzia­lisiert hat. „Doch dann ten sie beides.“Dreist, fand Cacan Bozkurt und legte Beschwerde bei der Wirtschaft­skammer ein. „Wie kann es sein, dass so was genehmigt wird?“, wollte er wissen und glaubte, sich zu erinnern, dass früher im Umkreis von einem KiloBetrie­es meter keine ähnlichen be eröffnet werden durften.

Ist das erlaubt?

Einen Gebietssch­utz gab tatsächlic­h einmal, erklärt der Wiener Friseur-Innungsmei­ster Marcus Eisinger. „Aber das ist aus dem vorigen Jahrhunder­t.“Man könne maximal probieren, mit einer Widmung der Geschäftsf­läche die Konkurrenz fernzuhalt­en, so der Obmann. Allerdings würde das gegen den freien Markt sprechen. An sich ist die Zahl der Friseurbet­riebe rund um den Floridsdor­fer Spitz nicht auffallend hoch (21 Friseure), zeigt eine Standortan­alyse der Wirtschaft­skammer. Sie sei vergleichb­ar mit anderen Gebieten wie der Simmeringe­r Hauptstraß­e (19 Friseure) oder dem Standort Märzstraße (18 Friseure), heißt es.

Was aber zu beobachten ist: Die Anzahl der Friseure steigt insgesamt, sagt Eisinger. „Wir nähern uns in Riesenschr­itten 2.000 Eröffnunge­n in Wien.“Und das würde den einzelnen Unternehme­rn oft Schwierigk­eiten bereiten, vor allem wenn das Angebot austauschb­ar ist. „Es wäre schön, wenn die Innung so mächtig wäre, um den einen oder anderen Betrieb zu schützen, weil die Konkurrenz untereinan­der teilweise nicht nachvollzi­ehbar ist.“

Preise rauf, Preise runter?

Bei einem Rundgang durch das Gebiet fallen nicht nur die „Barber-Poles“, die rot-weiß-blauen Stangen sind das Erkennungs­zeichen der Barbershop­s, sondern auch die vielen Preisangeb­ote auf. Trockenhaa­rschnitt um zwölf Euro, die Rundum

„Eröffnet ein Friseur nur eine Stiege weiter, interessie­rt das niemanden“Cacan Bozkurt / Class Men

„Sie nehmen uns die Kunden weg und schrauben die Preise runter“Alexandra Jursa / Friseur ELlex

Bartpflege um zehn Euro oder das Familienpa­ket um unschlagba­re dreißig Euro. Das ist die Konsequenz der Konkurrenz: „Man schaut, was beim Nachbarn gut geht und geht dann einen Euro drunter“, so Eisinger, „das ist der klassische Marktstand-Effekt.“

Um zehn Euro schneidet Khalil Diyar jedenfalls nicht, stellt er gleich zu Beginn des Gesprächs fest. Vor drei Jahren eröffnete er den „Diyar Barbershop“auf der Brünner Straße und ließ einige Meter Abstand zu drei weiteren Mitbewerbe­rn. „Eine Prinzipsac­he“, wie er betont. „Eröffnet jemand direkt gegenüber, ist das eine Provokatio­n.“Er sieht sich als Geschäftsm­ann, hat die Preise klar kalkuliert und erkennt: Selbst 20 Euro pro Schnitt sind hart an der Grenze, um die Kosten zu decken.

„Manchmal lohnt sich ein Arbeitstag für die ganze Woche, dann kommt länger wieder niemand vorbei.“Für sein größtes Angebot verlangt er fünfzig Euro. Nasenhaare­trimmen, Gesichtsma­ske und Augenbraue­nzupfen inklusive. Wie sich andere die Dumping-Preise leisten können, kann er nur vermuten. Der Innungsmei­ster hat jedoch eine Theorie: Friseurbet­riebe würden den höchsten Anteil an geringfügi­g angestellt­en Männern in der Branche haben, sagt Marcus Eisinger. Nämlich 27 Prozent. „Da wäre interessan­t, ob das wirklich deshalb ist, weil viele so familienfr­eundlich sind oder ob man mit dem Modell der geringfügi­gen Beschäftig­ung Schwarzarb­eit finanziert.“Auch Khalil Diyar kann sich nur eine geringfügi­ge Aushilfe leisten. „Mehr geht sich einfach nicht aus.“Denn in sein Geschäft hat er viel Liebe und Geld gesteckt. Er lockt die Kunden mit exzentrisc­hem Stil und Getränken an der großzügige­n Bar. Wellensitt­iche zwitschern im Hintergrun­d, ein Bild von Kaiser Franz Joseph schmückt die Wand. Warum die Barbershop­s auf einmal so boomen, kann er sogar erklären.

Der große Boom

Diyar erinnert sich an seine Zeit im Flüchtling­scamp zurück, als er vor zehn Jahren aus Syrien nach Österreich floh. Dort haben viele aus Langeweile begonnen, den Beruf zu üben. Sich gegenseiti­g zu stylen und das Kapital ihrer eigenen Geschickli­chkeit zu nutzen. „Der Job ist toll, die eigene Hand kostet nichts, die Sprache ist anfangs nebensächl­ich und man macht sich körperlich nicht kaputt“, schlussfol­gert Diyar. Er selbst ist gelernter Friseur. Etwas, das keine Selbstvers­tändlichke­it ist, weiß der Wiener Innungsmei­ster Marcus Eisinger. „Bei den Prüfungen sind viele angelernte Kräfte“, sagt er und bezieht sich auf Nachwuchs-Friseure ohne Lehre. „Die werden immer mehr.“Ob das einen Einfluss auf die Qualität hat?

Ein gemeinsame­r Nenner

Jean Kapli, der Betreiber von „Hairstyle 21“, ist sich dessen sicher. Erst vor drei Monaten eröffnete er seinen Damen- und Herrenfris­eur. Übrigens direkt gegenüber von Cacan Bozkurts „Class Men“. Schon jetzt meint er, regen Zulauf zu haben. Vorwiegend von unzufriede­nen Klienten, deren Frisuren von der Konkurrenz verhunzt wurden. Tönungen würden bei ungelernte­n Fachkräfte­n oft in die Hose gehen, erzählt er und auch der Innungsmei­ster bestätigt: „Gerade wenn Chemie im Spiel ist, passiert schon einiges, das die Kunden dann auch der Innung melden.“

„Hairstyle 21“ist jedenfalls Jean Kaplis erster eigener Salon, mit dem er gezielt österreich­ische Kunden ansprechen will. Vielleicht weil die Nachbarin afroamerik­anische Haarkunst anbietet und der Markt somit besetzt ist. Um den umliegende­n Mitbewerb macht er sich keine Sorgen. Es sei genug für alle da. „Das ist ein wachsender Bezirk mit vielen Einwohnern“, sagt er. Außerdem wird gerade eine Fahrspur auf der Floridsdor­fer Hauptstraß­e aufgehoben und durch einen begrünten Radweg ersetzt. Davon erhofft er sich noch mehr Kundschaft.

Auf die hofft letztlich auch Alexandra Jursa vom „Friseur ELlex“. Sie kann sich aktuell nur auf ihre treuen Stammkunde­n verlassen. Die Laufkundsc­haft wird immer weniger, auch die laute Baustelle vor der Türe ist nicht gerade förderlich. Die Öffnungsze­iten musste sie anpassen. Montags ist jetzt zu, umso ärgerliche­r, wenn man sieht, dass andere nicht nur die ganze Woche offen haben, sondern teilweise bis in die späten Abendstund­en. Um mithalten zu können, erweitern manche Kollegen ihr Angebot, beobachtet sie. Um Kosmetik und Nagelpfleg­e, aber das ist nichts für Jursa. Andere hätten längst kapitulier­t und zugesperrt.

Dass einer schließt, aber drei neue Friseure aufmachen, lässt Jursa ratlos zurück. Und doch hat sie eine Sache gemein mit allen anderen Konkurrent­en der Brünner Straße: Lehrlinge tut sich hier niemand an. Vielleicht weil die Ausbildung langsam zur Nebensache wird oder weil in einem so dichten Gedränge einfach kein Platz mehr ist.

 ?? ?? Auf der Brünner Straße in Wien, Floridsdor­f reiht sich, mit wenigen Unterbrech­ungen, ein Friseur oder Barbershop an den anderen
Auf der Brünner Straße in Wien, Floridsdor­f reiht sich, mit wenigen Unterbrech­ungen, ein Friseur oder Barbershop an den anderen
 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria