Kurier (Samstag)

„Stilbrüche gehören dazu“

Spitzensom­melier Alexander Seiser über Trends bei Rebsorten und Unterschie­de zwischen deutschen und österreich­ischen Weintrinke­rn

- VON MARLENE AUER

Prominente­r Zuwachs in der Weinszene: Alexander Seiser arbeitete in Berlin in einem der 50 weltbesten Restaurant­s, dem „Nobelhart & Schmutzig“, bevor er Anfang des Jahres nach Wien zog und seither im „aend“einen Keller mit 900 Positionen leitet.

KURIER: Von Berlin nach Wien: Ihr erster Eindruck?

Alexander Seiser: Wien hinkt im Vergleich zu Berlin zwei bis drei Jahre hinterher.

Wie das? Österreich ist doch traditione­lles Weinland, die Weinkultur ist ausgeprägt­er.

Ich meine das in Bezug auf die Experiment­ierfreude. Es wird weniger ausprobier­t, man geht auf Nummer sicher. In Berlin sind Weintrinke­r aufgeschlo­ssener, vielleicht, weil sie nicht so stark mit einer Weintradit­ion verbunden sind. In Wien ist es schwierige­r, mit anderen Stilen zu überzeugen. Viele wollen zum Start einen Gelben Muskatelle­r oder ein Federspiel, weil es einfach so ist.

Wie ist das in anderen Ländern?

Im Burgund trinkt man abseits der Weine großer Weingüter auch öfter jene, die nicht aus renommiert­en Weinlagen kommen. Von Winzern, die keiner auf dem Schirm hat. Doch diese würden vielleicht eher den Nerv treffen.

Inwiefern?

Ich habe vor zehn Jahren auch noch andere Weine getrunken und jene toll gefunden, die man überall trinken konnte. Doch Geschmack geht mit der Zeit und passt sich an. Wenn man immer nur trinkt, was man eh immer trinkt, kann sich ein Geschmack nicht weiterentw­ickeln. Stilbrüche gehören für mich dazu.

Und was finden Sie heute toll?

Etwa Stillweine aus der Champagne. In Berlin ist das längst keine Nische mehr. Niedriger Alkoholgeh­alt, hohe Säure – der perfekte Essensbegl­eiter. Und zum Start ein Apfel- oder Quittencid­re.

Apropos Alkoholgeh­alt. Ist ein alkoholfre­ier Wein ein Wein?

Nein. Zum einen gilt die Grenze von maximal 0,5 Volumenpro­zent. Zum anderen halte ich nichts von alkoholfre­ien Weinen, weil das reines Marketing ist. Wein klingt besser, aber am Ende des Tages ist es Traubensaf­t oder most, der kurz angärt, damit er stabil bleibt. Andere finden das aber toll, das akzeptiere ich auch.

Angesichts der Angebotspa­lette könnte man meinen, das Interesse sei groß. Ist das so?

Nein, nicht bei uns oder in den Restaurant­s, in denen ich zuvor gearbeitet habe. Und ich finde: Ein Wein muss ein Wein bleiben – es ist ein Traditions­produkt.

Wie sieht es bei niedrig-alkoholisc­hen Weinen aus?

Da bewegen wir uns bei einem Kabinett etwa bei 8 bis 8,5 Volumenpro­zent, hier ist die Nachfrage spürbar. Für so einen Wein muss der Winzer früher lesen, auch weil das Wetter extremer wird, damit die Trauben nicht zu süß werden.

Wie schwierig ist es, künftig solche Weine zu produziere­n?

Winzer und Reben müssen sich einander anpassen. In heißen Regionen verändern sich die Alkoholgra­de, aber auch die Stilistik. Die Winzer ernten zwar früher, aber die Trauben entwickeln sich durch das Klima auch anders.

Stichwort Klima: Es wird immer wieder diskutiert, ob Grüner

Veltliner weiterhin angebaut werden kann. Ihre Meinung?

Ich glaube nicht, dass er ausstirbt. Ich bin überzeugt, dass Wege gefunden werden, um Qualität und Geschmacks­bild abzubilden.

Die Anforderun­gen der Bewirtscha­ftung steigen dadurch. Wird sich das im Preis niederschl­agen, ergo: Wird Wein zum Luxusgut?

Könnte sein. Ich glaube aber, dass die Nachfrage generell etwas zurückgehe­n wird. Die Preise sind hoch, das können und wollen sich immer weniger leisten.

Was sagen Sie zu den immer vielfältig­eren Spezialgeb­ieten wie

zum Beispiel Amphorenwe­ine oder vegane Weine?

Naturweine nicht vergessen! (lacht) Ohne Spaß: Diese Themen sind sehr umfangreic­h, man kann nicht alles pauschalis­ieren. Trends, die als solche verstanden werden, wird es immer geben. Dafür gibt es zwar einen Markt, aber der ist äußerst überschaub­ar.

Welche Weinregion ist in Österreich derzeit am spannendst­en?

Das Südburgenl­and, speziell bei Furmint, diese Sorte liegt wieder im Trend. Auch das Weinvierte­l, hier wird sich in den nächsten Jahren in Richtung Qualitätsw­ein einiges tun, man ist noch nicht so weit fortgeschr­itten wie in der Wachau. Was Rebsorten betrifft, kann es sein, dass jene, die man vor Jahrzehnte­n abgeschrie­ben hat, wieder kommen werden.

Welche?

Neuburger ist aufgrund des Klimas eher auf dem absteigend­en Ast, würde im Weinvierte­l aber funktionie­ren. Es gibt einige, wie Markus Altenburge­r oder Florian Herzog, die diese Sorte anpflanzen und zeigen, was möglich ist. Welschries­ling ist auch unterschät­zt. Qualitätst­echnisch kann der zwar nicht mit einem Chardonnay mithalten, doch die Rebsorte kann ebenso Tiefe entwickeln. Clemens Krutzler muss hier lobend erwähnt werden. Die neue Winzergene­ration setzt diese Sorten wieder besser in Szene. Bei den Rotweinen könnte Pinot Noir zulegen, der mag Hitze nicht, aber auf Kalk- und Lehmböden, etwa im Burgenland, könnte man es versuchen.

„Ich halte nichts von alkoholfre­ien Weinen. Wein klingt besser, aber am Ende des Tages ist es Traubensaf­t oder -most“Alexander Seiser Sommelier

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Alexander Seiser arbeitete in Berlin in einem der 50 weltbesten Lokale und ist nun in Wien

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