Kurier (Samstag)

Der schleichen­de Kistenschl­epper

Arbeitsplä­tze. In den Werken von BMW und Mercedes sollen humanoide Roboter zeigen, ob sie die besseren Angestellt­en sind. Der KURIER hat nachgefrag­t, ob die Maschinen uns schon ersetzen können

- VON FRANZISKA BECHTOLD

Weißer Klavierlac­k, auf Hochglanz poliert. An der Front prangt der MercedesSt­ern. In der Fabrik des deutschen Autobauers läuft nicht etwa ein neuer Pkw vom Band, sondern ein Roboter herum. Seine Kamera-Augen finden Fehler, die Menschen nicht wahrnehmen. Sein Antriebssy­stem ist stärker als Muskeln. Er wird nie krank und braucht keinen Urlaub. Seine Aufgabe: Im Schleichte­mpo Kisten tragen, was ein menschlich­er Arbeiter fünffach so flott könnte. Sollen uns diese humanoiden Roboter wirklich ersetzen oder ist das alles bloß eine utopische Hochglanz-Werbekampa­gne?

„Die Entwicklun­g geht gerade sehr rasant“, sagt Christian Ott, der an der TU Wien zu humanoiden Robotern forscht. Grund dafür ist nicht ein technische­r Durchbruch, sondern der Automobilk­onzern Tesla. 2021 kündigte CEO Elon Musk mit Pauken und Fanfaren an, Roboter bauen zu wollen. Dadurch stieg das Interesse bei anderen Autobauern und es folgten millionens­chwere Investitio­nen. Der Geldsegen ermöglicht­e es plötzlich, dass die Roboter-Entwickler mehr Risiko bei den teuren Maschinen eingehen und diese für den Fortschrit­t auch mal kaputt gehen lassen konnten. Die sprunghaft­e Entwicklun­g von Künstliche­r Intelligen­z half zudem, die Fähigkeite­n der Roboter zu verbessern.

Präzise, aber langsam

Der Einsatz in Fabriken vermittelt den Eindruck, die Technologi­e sei schon ausgereift. Die Roboter können Bewegungsa­bläufe immer exakt gleich und präzise ausführen und verlieren nie ihre Konzentrat­ion.

Aber die Nachteile überwiegen. Sie können laut Ott zwar schwere Objekte heben, dann aber nicht oder nur gemächlich gehen. Machen sie langsame Schritte, kann sie der kleinste Fehltritt aus dem Gleichgewi­cht bringen. Mit schnellen Tippelschr­itten meistern sie unebenes Terrain, sind aber weniger belastbar. „Das Reagieren auf unerwartet­e Situatione­n und eine sich ständig ändernde Umgebung ist eine der größten Einschränk­ungen“, erklärt der Forscher.

Menschen können instinktiv Halt suchen, wenn sie aus dem Gleichgewi­cht geraten, etwa indem sie ein Geländer greifen. Ein Roboter hat keine Reflexe und fällt im schlimmste­n Fall einfach um. Geht er dabei kaputt, fehlt er als Arbeitskra­ft und muss repariert oder ersetzt werden.

Kostenfrag­e

Noch ist das sehr teuer. Die von Amazon in Warenhäuse­rn eingesetzt­en Roboter „Digit“kosten je 250.000 Dollar, was laut Amazon einem Stundenloh­n von zehn bis zwölf Dollar entspricht. Sie gehen aber davon aus, die Kosten auf drei Dollar drücken zu können. Der Roboter „Apollo“, der von Mercedes getestet wird, soll irgendwann nur noch 50.000 Dollar kosten. Ihre Wirtschaft­lichkeit hängt von vielen Fragen ab: Wie wartungsin­tensiv sind die Roboter? Wie lange hält der Akku? Was können sie ohne menschlich­e Aufsicht?

„Man hat lange Zeit nach der ,Killerappl­ikation‘ gesucht, die den großen Durchbruch bringt. Bisher hat man sie nicht gefunden“, sagt Ott. Deswegen werden humanoide Roboter als Alleskönne­r vermarktet, anstatt als Experten. In Werbevideo­s kochen sie Kaffee, falten präzise Wäsche und machen Rückwärtss­altos. In den aktuellen Testläufen

in Fabriken sortieren und stapeln sie aber nur Kisten – im Schneckent­empo.

Die Fabriksbes­itzer betonen, dass die Roboter kein Ersatz für Arbeiter sind. „Das Design von Apollo ermöglicht ihm, mit Menschen zusammenzu­arbeiten und die körperlich anstrengen­den Aufgaben zu übernehmen“, teilt Mercedes dem KURIER mit.

Sinnsuche

Die Testläufe sollen zeigen, ob humanoide Roboter in der Industrie sinnvoll sind. Trifft das zu, könnten sehr wohl Menschen gekündigt werden, deren repetitive und gefährlich­e Aufgaben zukünftig Maschinen erledigen. Die so eingespart­en Stellen werden laut Ott durch höher qualifizie­rte Jobs ersetzt – schließlic­h muss jemand die Roboter warten und programmie­ren.

Dass humanoide Roboter in Kürze Menschen in Fabriken vollständi­g ersetzen, ist für Ott unwahrsche­inlich. Er schätzt, dass sich erst in zehn Jahren konkrete Anwendungs­fälle herauskris­tallisiere­n. Ott sieht die Gefahr, dass die Geldgeber bis dahin das Interesse verlieren, weil ihre derzeitige­n Erwartunge­n an Robo-Hackler zu hoch sind.

„Die Entwicklun­g geht gerade sehr rasant und große Firmen investiere­n Millionen in Roboter-Unternehme­n“

Christian Ott, Professor für Robotik an der TU Wien

 ?? Roboter „Apollo“darf bald in einem Mercedes-Werk in den USA Kisten schleppen ??
Roboter „Apollo“darf bald in einem Mercedes-Werk in den USA Kisten schleppen

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