Die Macht der Lesenden
Der kriselnde Buchmarkt greift erleichtert auf die Marketing-Maschinerie der Buch-Community von Tiktok zurück. Nun ist auch ein eigenes Magazin für diese neue Lust am Lesen erschienen
Kaum eine Buchhandlung kommt mehr ohne sie aus: die Tische, auf denen sich Bücher mit Glitzercover stapeln. Meistens sind sie umringt von jungen Menschen. Junge Menschen in einer Buchhandlung? Welche geheimnisvolle Magie ist da am Werk? Ganz einfach: Booktok.
Booktok ist eine Community auf der Videoplattform Tiktok, in der sich Bücherfreunde austauschen. Das können kurze Videos sein, in denen man Bücher zu einem Thema vorstellt: „Drei historische Bücher, die mich komplett umgehaut haben“zum Beispiel, oder „Drei Bücher, wenn man mal so richtig weinen will“. Oder man erzählt einfach, welches Buch man zuletzt gelesen hat.
Der Buchmarkt hat schon länger auf die erstaunliche Macht dieser kleinen Spots reagiert. Piper hat einen eigenen Unterverlag namens Everlove, Loewe hat sich mit dem Zweig Intense auf Liebesromane spezialisiert. Bei der Frankfurter Buchmesse gab es im Vorjahr eine Kooperation mit Tiktok, es wurden Booktok-Awards vergeben.
Eigene Regeln
Auch Max Freudenschuß, Geschäftsführer des Magazins Buchkultur ist der Boom bei der Frankfurter Buchmesse aufgefallen. „Die jungen Menschen zahlen dort 30 Euro Eintritt, stehen ewig Schlange und kaufen eine Menge Bücher.“Ihn fasziniert das: „Das ist eine völlig neue junge Buchkultur, mit eigenen Regeln und eigenen Wichtigkeiten.“Diesen Trend zu ignorieren, hätte er als überheblich empfunden. Deshalb hat Buchkultur nun – rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse – eine Spezialausgabe für Boktok-Fans herausgebracht.
In der haben Booktokerinnen (es gibt praktisch nur weibliche) Rezensionen geschrieben. Die Vorauswahl der Bücher hat die Redaktion getroffen – um einem Kritikpunkt, der Influencer grundsätzlich betrifft, zuvorzukommen: möglicher versteckter Werbung durch Deals mit Herstellern.
Außerdem erzählen die Tiktok-Buchfans in „Celebrating Book Love“, das ab sofort bei Thalia aufliegt und der April-Ausgabe von Buchkultur beigelegt wird, über das, was sie machen und zeigen – auch ein gern gesehenes Booktok-Feature – ihre Bücherregale.
Bianca Movileanu ist eine der Booktokerinnen, die in diesem Magazin zu finden sind. Für manche Booktok-Kolleginnen mag der Umstieg von der Handykamera zur Schriftlichkeit eine Herausforderung gewesen sein. Nicht für sie: die 27-jährige Grazerin schreibt selbst Bücher, die sie dann auf Booktok
bewirbt. Sie hat die Community 2022 für sich entdeckt, als sie ihr erstes Buch geschrieben hat. „Man spricht auf Booktok mit anderen Lesenden auf Augenhöhe, findet ganz schnell ,seine’ Leute mit den gleichen Interessen. Das sind Videos, die nahbar sind, wo vielleicht jemand im Bademantel vor seinem Bücherregal steht. Wo man sich mit den Personen verbunden fühlt“, erklärt sie. Max Freudenschuß ergänzt: „Es geht nicht um eine Kritikerinstanz, sondern um einen Austausch: Was löst das Buch in mir aus, welche Gefühle habe ich, woran erinnert es mich, was hat es mit meinem Leben zu tun.“
In der Booktok-Gemeinschaft spielt die haptische Ausstattung von Büchern eine große Rolle. Und es sind einzelne Genres, die besonders beliebt sind. New Adult Literatur – sie erzählt Geschichten von Protagonisten zwischen 18 und 29 Jahren – , Liebesromane, Fantasy oder die Mischung aus beiden letzteren: Romantasy.
Dann eben Englisch
Solche Bücher schreibt Movileanu als Bianca Mov – im Selfpublishing, dank Booktok-Marketing kann sie davon „zu 99 Prozent“leben. Aber Booktok hat auch ihre Arbeitsweise verändert: Ihren ersten Roman hat sie noch auf Deutsch geschrieben. Damals hatte sie noch nicht besonders viele Follower: „Ich habe so eine Reihe Videos mit Buchideen gemacht – auf Englisch. Die gingen dann viral, über Nacht hatte ich eine Riesenflut an neuen Followern. Da haben mir Tausende Menschen mitgeteilt, dass sie so ein Buch gerne lesen würden.“Also schrieb sie ihre weiteren Bücher auf Englisch und erweiterte ihre Zielgruppe.
Ob auch Buchkultur seine Zielgruppe erweitern kann? Immerhin haben die eingeladenen Rezensentinnen bis zu 50.000 Follower: „Das können wir mit unserem Nischenprodukt für Vielleser nur in Ausnahmefällen erreichen“, sagt Freudenschuß. Im Frühjahr 2025 wird es jedenfalls ein weiteres Sonderheft geben.
Bianca Movileanu hat ihre Zielgruppe übrigens auch anders erweitert: „Mittlerweile gehe ich im ,echten Leben’ in Buchhandlungen zu Leuten, die ein Buch ansehen, das ich gut fand, und bestärke sie, es zu kaufen.“