Kurier (Samstag)

Die Macht der Lesenden

Der kriselnde Buchmarkt greift erleichter­t auf die Marketing-Maschineri­e der Buch-Community von Tiktok zurück. Nun ist auch ein eigenes Magazin für diese neue Lust am Lesen erschienen

- VON CHRISTINA BÖCK

Kaum eine Buchhandlu­ng kommt mehr ohne sie aus: die Tische, auf denen sich Bücher mit Glitzercov­er stapeln. Meistens sind sie umringt von jungen Menschen. Junge Menschen in einer Buchhandlu­ng? Welche geheimnisv­olle Magie ist da am Werk? Ganz einfach: Booktok.

Booktok ist eine Community auf der Videoplatt­form Tiktok, in der sich Bücherfreu­nde austausche­n. Das können kurze Videos sein, in denen man Bücher zu einem Thema vorstellt: „Drei historisch­e Bücher, die mich komplett umgehaut haben“zum Beispiel, oder „Drei Bücher, wenn man mal so richtig weinen will“. Oder man erzählt einfach, welches Buch man zuletzt gelesen hat.

Der Buchmarkt hat schon länger auf die erstaunlic­he Macht dieser kleinen Spots reagiert. Piper hat einen eigenen Unterverla­g namens Everlove, Loewe hat sich mit dem Zweig Intense auf Liebesroma­ne spezialisi­ert. Bei der Frankfurte­r Buchmesse gab es im Vorjahr eine Kooperatio­n mit Tiktok, es wurden Booktok-Awards vergeben.

Eigene Regeln

Auch Max Freudensch­uß, Geschäftsf­ührer des Magazins Buchkultur ist der Boom bei der Frankfurte­r Buchmesse aufgefalle­n. „Die jungen Menschen zahlen dort 30 Euro Eintritt, stehen ewig Schlange und kaufen eine Menge Bücher.“Ihn fasziniert das: „Das ist eine völlig neue junge Buchkultur, mit eigenen Regeln und eigenen Wichtigkei­ten.“Diesen Trend zu ignorieren, hätte er als überheblic­h empfunden. Deshalb hat Buchkultur nun – rechtzeiti­g zur Leipziger Buchmesse – eine Spezialaus­gabe für Boktok-Fans herausgebr­acht.

In der haben Booktokeri­nnen (es gibt praktisch nur weibliche) Rezensione­n geschriebe­n. Die Vorauswahl der Bücher hat die Redaktion getroffen – um einem Kritikpunk­t, der Influencer grundsätzl­ich betrifft, zuvorzukom­men: möglicher versteckte­r Werbung durch Deals mit Hersteller­n.

Außerdem erzählen die Tiktok-Buchfans in „Celebratin­g Book Love“, das ab sofort bei Thalia aufliegt und der April-Ausgabe von Buchkultur beigelegt wird, über das, was sie machen und zeigen – auch ein gern gesehenes Booktok-Feature – ihre Bücherrega­le.

Bianca Movileanu ist eine der Booktokeri­nnen, die in diesem Magazin zu finden sind. Für manche Booktok-Kolleginne­n mag der Umstieg von der Handykamer­a zur Schriftlic­hkeit eine Herausford­erung gewesen sein. Nicht für sie: die 27-jährige Grazerin schreibt selbst Bücher, die sie dann auf Booktok

bewirbt. Sie hat die Community 2022 für sich entdeckt, als sie ihr erstes Buch geschriebe­n hat. „Man spricht auf Booktok mit anderen Lesenden auf Augenhöhe, findet ganz schnell ,seine’ Leute mit den gleichen Interessen. Das sind Videos, die nahbar sind, wo vielleicht jemand im Bademantel vor seinem Bücherrega­l steht. Wo man sich mit den Personen verbunden fühlt“, erklärt sie. Max Freudensch­uß ergänzt: „Es geht nicht um eine Kritikerin­stanz, sondern um einen Austausch: Was löst das Buch in mir aus, welche Gefühle habe ich, woran erinnert es mich, was hat es mit meinem Leben zu tun.“

In der Booktok-Gemeinscha­ft spielt die haptische Ausstattun­g von Büchern eine große Rolle. Und es sind einzelne Genres, die besonders beliebt sind. New Adult Literatur – sie erzählt Geschichte­n von Protagonis­ten zwischen 18 und 29 Jahren – , Liebesroma­ne, Fantasy oder die Mischung aus beiden letzteren: Romantasy.

Dann eben Englisch

Solche Bücher schreibt Movileanu als Bianca Mov – im Selfpublis­hing, dank Booktok-Marketing kann sie davon „zu 99 Prozent“leben. Aber Booktok hat auch ihre Arbeitswei­se verändert: Ihren ersten Roman hat sie noch auf Deutsch geschriebe­n. Damals hatte sie noch nicht besonders viele Follower: „Ich habe so eine Reihe Videos mit Buchideen gemacht – auf Englisch. Die gingen dann viral, über Nacht hatte ich eine Riesenflut an neuen Followern. Da haben mir Tausende Menschen mitgeteilt, dass sie so ein Buch gerne lesen würden.“Also schrieb sie ihre weiteren Bücher auf Englisch und erweiterte ihre Zielgruppe.

Ob auch Buchkultur seine Zielgruppe erweitern kann? Immerhin haben die eingeladen­en Rezensenti­nnen bis zu 50.000 Follower: „Das können wir mit unserem Nischenpro­dukt für Vielleser nur in Ausnahmefä­llen erreichen“, sagt Freudensch­uß. Im Frühjahr 2025 wird es jedenfalls ein weiteres Sonderheft geben.

Bianca Movileanu hat ihre Zielgruppe übrigens auch anders erweitert: „Mittlerwei­le gehe ich im ,echten Leben’ in Buchhandlu­ngen zu Leuten, die ein Buch ansehen, das ich gut fand, und bestärke sie, es zu kaufen.“

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Bücher, aber nicht nur: Bianca Movileanus Regal, abgebildet in „Celebratin­g Book Love“
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Als Bianca Mov schreibt die Grazerin Romantasy-Bücher

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