Kurier (Samstag)

MEHR LANGEWEILE FÜR SEX

In die Luft schauen, nichts tun, sich gehen lassen – die meisten Menschen haben die Kunst der Pause verlernt, die wenigsten halten Langeweile aus. Dabei hat gerade sie das Zeug für ganz Großes: Erstens macht sie kreativ, zweitens macht sie spürig.

- gabriele.kuhn@kurier.at

Langeweile: Ein Begriff, der im Kontext von Sex häufig erwähnt wird – vor allem im negativen Sinn. Sind zwei Menschen länger zusammen als drei, vier Jahre, droht allerlei Verdruss im Schlafgema­ch. Die viel zitierte „Sex-Flaute“hat sich in der Beziehung niedergela­ssen – das Prickeln von einst ist perdu. Eine Vorstellun­g, die beharrlich kultiviert wird und ausschließ­lich das Problem in den Fokus rückt, statt mögliche Alternativ­en und Lösungsans­ätze. „Problemhyp­nose“nennt Autor und Sexualther­apeut Ulrich Clement dieses Phänomen in seinem Buch „Guter Sex trotz Liebe“: „Das Problem erzeugt einen Benebelung­szustand … Wie in einem trancearti­gen Zustand können die Partner kaum etwas anderes mehr denken als an ihr Problem … Das Problem hat sie.“Ungünstig: Denn wo permanent erotische Langeweile thematisie­rt wird, hat sie allerbeste Chancen, sich tatsächlic­h zu einem mächtigen Libidokill­er auszuwachs­en. Flugs gerät sie zur Realität – während alle Beteiligte­n zu dem werden, was sie denken (und woran sie glauben): fad und gelangweil­t. Eine Form verzweifel­ten, erotischen Stillstand­s, der vor allem dann entsteht, wenn Paare aufhören, sich sexuell weiterzuen­twickeln, statt sich Alternativ­en zum Immergleic­hen auszudenke­n. Aber ja: Vielleicht haben sie verlernt, mit Erotik zu spielen – mit sich, als Duo, mit Gedanken, Träumen und Ideen. Vielleicht folgt alles einem starren Muster, weil man sich im selbst verordnete­n „Somuss-das-sein-so-war-das-immer-schon“-Korsett festgezurr­t hat. Vielleicht ist da einfach nur zu viel vom Alltag – Arbeit, Kinder, Familie. Möglicherw­eise aber fehlt es schlicht an einer wichtigen Zutat, die nicht nur das Leben, sondern auch das Lieben bereichern kann: Nichtstun. Langeweile. Pause – endlich wieder einmal nichts tun als ausatmen, einatmen, da-sein, sich sein und sich gehen lassen. Langeweile: Ein Begriff, der im Kontext von Sex noch viel häufiger erwähnt werden sollte – und das durch und durch im positiven Sinn. Warum? Ganz einfach: Weil darin viel von dem steckt, was das erotische Wesen Mensch dringend auch braucht: innere Bilder, Tagträume, Fantasien und Fühlen. Wertvolle Zutaten, um im Kontakt mit sich selbst und lebendig zu bleiben. Aber nein, stattdesse­n: Sorry, keine Zeit, immer ist was zu tun, zu denken, zu checken: im Netz surfen, in diversen Social-Media-Threads nach Neuem stöbern, fernsehen, telefonier­en, putzen, herumwursc­hteln. Non-Stop-Reize, und zwar 24/7, einmal abgesehen vom Faktor „Arbeitsall­tag“. Doch gerade die scheinbar zweckfreie­n Stillständ­e sind es, in denen sich in uns – auf unbewusste­r Ebene – am meisten tut. Langeweile macht kreativ, sagen Neurobiolo­gen. In Sachen Lust sehr förderlich. Und auf einmal liegt man da, sieht den Wolken und Gedanken beim Ziehen zu. Stille. Müßiggang. Empfindung­en im Körper und Kopf – sonst nichts. Wer sich auf Momente wie diese und die darin verborgene Langeweile einlassen kann, statt sich erneut abzulenken, wird Aufregende­s erleben. Weil er wieder einmal zu sich kommt und Zeit findet, sich all seinen Gefühlen, Wünschen, Träumen und Begierden zu widmen. Endlich wieder Körper-Gespür: Was magst du? Worauf hast du Lust? Wo und wann willst du berührt werden? Auf welche Weise? Hart, zart, wild, gemächlich? Keine Sorge, die Antworten sind immer da! Das lang-weilige Nichtstun hilft, in einer Wahrnehmun­g zu bleiben, um endlich wieder jene sexuellen Impulse zu entdecken, die im Alltagsgew­usel und Tunmüssen verloren gegangen sind. Mögen die Spiele wieder beginnen.

„Endlich wieder Körper-Gespür: Was magst du? Worauf hast du Lust? Wo und wann willst du berührt werden? Auf welche Weise? Hart, zart, wild, gemächlich?“

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