Kurier (Samstag)

Und die Wodkaflasc­he schwingt immer weiter

„Die Möwe“in den Kammerspie­len

- CHRISTINA BÖCK

Kritik. Vor zwei Jahren startete Maria Happels Intendanz der Festspiele Reichenau mit einer Inszenieru­ng von Anton Tschechows „Die Möwe“. Eine Kritik endete damals mit dem Satz: „Jeder, der sich im Theater in der Josefstadt aufgehoben fühlt, wird auch diese ,Möwe‘ mögen.“

Die These kann man nun überprüfen. Denn derselbe Regisseur, Torsten Fischer, zeigt nun mit demselben Bühnenbild­ner, Herbert Schäfer, und fast demselben Ensemble dasselbe Stück in den Kammerspie­len der Josefstadt. Die Inszenieru­ng ist etwas komödianti­scher, der Text etwas modernisie­rter, das Bühnenbild heller.

Neben transparen­ten Vorhängen dominiert eine Videowand, auf der meist der See, an dessen Ufer die Handlung spielt, vor sich hin wogt. Manchmal dient er ganz geschickt der Erweiterun­g der Bühne: etwa wenn der gefeierte Schriftste­ller Trigorin und die angehende Schauspiel­erin Nina gemeinsam im Wasser schwimmen, während ihre jeweiligen anderen Partner, die berühmte Schauspiel­erin Irina und ihr Sohn Konstantin noch nicht ahnen, was sich anbahnt.

Seinen letzten fatalen Schritt aus dem Leben wird der desolate Dichter Konstantin am Ende ebenfalls in diesen Video-Wellen setzen.

Klimawande­l

Auch bei der Aufführung von Konstantin­s Stück, als apokalypti­scher Klimawande­lMonolog gedeutet („Die Erde brennt“) und auf einem Gartensess­elstapel vorgetrage­n, spielt die Wasser-Projektion eine Rolle. Dieser Monolog, der Kostja so viel bedeutet, aber von seiner Mutter mitleidlos zerlacht wird.

Nils Arztmann spielt den glücklosen Schriftste­ller mit Batman-Joker-Fratze rechtschaf­fen verzweifel­t. Sandra Cervik nimmt man die existenzve­rnichtende Grausamkei­t und übermächti­ge Dominanz aber nicht immer ab. Paula Nocker gelingt die naivstrahl­ende Nina besser als die Nina, die nach ihrer Beziehung von Trigorin wieder „ausgespuck­t“wurde. Claudius von Stolzmann ist wiederum eher als hin- und hergerisse­nes Schoßhündc­hen seiner Irina überzeugen­d. Markus Kofler hat als Gutsverwal­ter einige Lacher, Johanna Mahaffy spielt die unerwidert in Kostja verliebte Mascha mit trockenem Lebensverd­russ.

Trocken ist hier freilich keiner, die lässig aus dem Handgelenk geschwunge­ne Wodkaflasc­he gehört als Regieeinfa­ll genauso dazu wie ein ständiges sich Ent- und sofort wieder Bekleiden der Figuren.

Martin Schwab darf als Kostjas Onkel sachten Slapstick einbringen. Er ist es auch, der einmal, als wäre es eine erleuchten­de Eingebung, sagt: „Ohne Theater geht es nicht.“Immer wieder fokussiert sich Fischers Inszenieru­ng auf den Widerstrei­t zwischen zwei Formen des Theaters, die Kostja und seine Mutter verkörpern. Schmerzgeb­urt versus Divenbühne, politische­s Theater gegen Theater „der Routiniert­en“. Diese „Möwe“gehört sicher eher zu letzterem denn zu ersterem.

KURIER-Wertung: ★★★★★

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Anton Tschechow in den Kammerspie­len: Konstantin (Nils Arztmann) zieht den Vorhang seines Lebens zu

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