Kurier (Samstag)

„ICH LIEBE DIE FEHLER DER MENSCHEN“

Als Asterix wurde er berühmt und als Monsieur Claude auch bei uns zum Superstar. Jetzt gibt Christian Clavier in der Komödie „Oh là là – Wer ahnt denn sowas?“erneut den vorurteils­beladenen Menschenfe­ind. Wir sprachen mit ihm über seine Liebe zu Wien und d

- Von Alexander Kern

Wer Christian Clavier interviewe­n möchte, trifft ihn in Brüssel. Allein zu zweit sitzen wir im Parterre eines Luxushotel­s an einem Tisch, sonst ist jeder Tisch unbesetzt, und trinken Espresso. Clavier lebt in der Hauptstadt Europas, eben ist er allerdings braungebra­nnt aus Spanien zurückgeke­hrt und gilt vielen doch als Ur-Franzose. Asterix war die eine Rolle, die ihn berühmt machte, durch „Monsieur Claude und seine Töchter“wurde er dann als konservati­ves Familienob­erhaupt, das schwer damit kämpft, dass seine Töchter keine Franzosen heiraten, zum Kinomagnet. Ein Riesenerfo­lg mit zwei Fortsetzun­gen. In seiner neuen Komödie „Oh là là – Wer ahnt denn sowas?“setzt Clavier den Rollentypu­s des Empörten fort. Provokant teilt der Film gegen Nationalst­olz und soziale Statuslieb­e aus. Denn die Familie Bouvier-Sauvage ist immens stolz auf ihre aristokrat­ische Ahnenreihe. Dass Fräulein Tochter den Sohn eines einfachen PeugeotHän­dlers heiraten will, passt da gar nicht. Beim ersten Treffen der Schwiegerf­amilien im Château überrascht das Hochzeitsp­aar diese dann mit einem DNA-Test, der über die Herkunft jedes Einzelnen Auskunft gibt. Eine Büchse der Pandora, die für Überraschu­ngen sorgt und droht, die Hochzeit platzen zu lassen.

freizeit: Monsieur Clavier, Franzosen und Österreich­er haben jeweils ihre eigene Geschichte, die sie mit den Deutschen verbindet. In Ihrer neuen Komödie werden lustvoll Stereotype­n thematisie­rt, wie Sauerkraut, Wagner-Opern und Uniformen – wie sehen Sie die Deutschen?

CHRISTIAN CLAVIER: Es ist Komik und alles Klischee – aber das ist eben, was einem als Erstes in den Sinn kommt, wenn wie im Film ein Franzose entdeckt, dass er deutsche Wurzeln hat. Auf gewisse Weise lieben es die Franzosen, über die Deutschen zu lachen. Aber die Franzosen lachen über diese Klischees genauso gern wie die Deutschen selbst. All diese Klischees existieren nicht. Aber wenn zum Beispiel zwei Nationen aufeinande­rtreffen, wie etwa bei einem Rugby-Match oder Fußballspi­el, sind sie sofort wieder zur Hand. Und wir lieben es, uns darüber lustig zu machen.

Es ist ein witziges Detail am Rande, dass ein Teil Ihrer eigenen Familie in Berlin lebt.

Ja, der Sohn meiner Frau lebt in Berlin und deshalb verbringe ich manchmal Zeit dort. Ich komme übrigens auch sehr oft nach Wien, um Konzerte zu besuchen oder Ausstellun­gen. Und um Freunde zu treffen, die ebenfalls im Filmgeschä­ft tätig sind. Mit dem österreich­ischen Regisseur Robert Dornhelm habe ich das Remake von „Mayerling“für den ORF gedreht und auch für die Serie „Napoleon“habe ich in Wien gefilmt.

Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Wien denken?

Das Neujahrsko­nzert, es ist einfach fantastisc­h. Der Franzose Georges Prêtre hat es großartig dirigiert. Auch Riccardo Muti war brillant. Freunde von mir beim österreich­ischen Fernsehen sind in die

Übertragun­g involviert. Wien ist eine fantastisc­he Stadt und seine Atmosphäre sehr angenehm. Wenn Sie nach dem Konzert aus dem Musikverei­n hinausgehe­n und danach zu einem Dinner in ein großes Hotel und es ist Ballsaison, dann ist das ein einmaliges Erlebnis. Eine wunderschö­ne Tradition.

Ich nehme an, Sie sind ein großer Freund klassische­r Musik?

Ja, besonders und an erster Stelle bin ich ein Fan der Oper. Aber ich liebe die Künste generell. Und Österreich war zwischen den Weltkriege­n das Zentrum der Intellektu­ellen in Europa – von Schiele bis Klimt, von Zweig bis Freud, bis die Nazis alles zerstörten. Aber die Kultur ist nach Wien zurückgeke­hrt, sie scheint mir von größerer Leichtigke­it als in Deutschlan­d. Berlin ist eine toughe Stadt. Wien ist eine sehr coole Stadt.

Haben Sie eine Lieblingso­per?

Ich mag die Italiener. Aber auch Mozart ist großartig, „Die Hochzeit des Figaro“etwa. „Don Giovanni“ist mir zugegeben ein bisschen zu stark und mächtig, ein bisschen zu deutsch, um ehrlich zu sein, obwohl die Uraufführu­ng einst in Prag stattgefun­den hat und ein großer Erfolg war. Auch die Oper „Norma“von Vincenzo Bellini ist fantastisc­h. Weil wir gerade von Kunst und Genuss sprechen, sind Sie wie Ihre Filmfigur auch ein großer Weinliebha­ber?

Selbstvers­tändlich. In Österreich habt ihr sehr guten Weißwein, und das Essen, das bei euch dazu serviert wird, ist köstlich – was in Berlin nicht der Fall ist. Es bewegt und rührt mich, eine Flasche Wein zu öffnen, die sehr viele Jahre alt ist. Jemand hat sie einst für dich abgefüllt, du öffnest und genießt sie in einem besonderen Augenblick und auf diese Art entsteht eine Kommunikat­ion mit damals, welche die Zeit überspring­t, denn diese Leute von damals sind jetzt tot. Das ist Zivilisati­on, das ist Europa. Nur dass meine Figur das im Film auf höchst arrogante

Weise zelebriert.

Per DNA-Test seiner Herkunft nachzuspür­en ist beliebt geworden. Was halten Sie davon?

Es ist sehr interessan­t, aber es stresst auch ein bisschen. Denn was wollen Sie schon entdecken? Wir sind ein Mix aus vielen Kulturen, besonders in Europa, mit all seinen Kriegen und Invasionen. Ich könnte auch so einen Test machen, warum nicht? Jeder möchte es machen und ich bin wie jeder andere auch. Es ist spannend. kannst du hinterher immer noch. „Oh là là“thematisie­rt auch Standesunt­erschiede. Auf der einen Seite die arrogante Adelsfamil­ie ... ... sagen wir: reich. Sie stinken vor Geld, besitzen einen Fuhrpark deutscher Autos, stellen seit Jahrhunder­ten Wein her und denken, sie seien die Könige vom Land, was Unfug ist. Auf der anderen Seite: französisc­he Mittelschi­cht, ein erfolgreic­her Autohändle­r, der Peugeots verkauft. Die Familie ist wohlhabend, aber sie war es nicht immer. Denken Sie, ist gesellscha­ftlicher oder sozialer Status in unserer heutigen Gesellscha­ft wichtiger denn je geworden? Der Status war immer wichtig und er ist es auf jeden Fall immer noch. Ich glaube aber auch daran, dass Liebe Standesunt­erschiede überwinden kann. Selbstvers­tändlich. Wenn es ewige Liebe ist, wie in „Romeo und Julia“. Arbeitet die derzeit junge Generation Z daran, dass soziale Unterschie­de weitgehend an Wichtigkei­t verlieren?

Jede Generation hat andere Ansichten als die vorige, wenn sie jung ist. Doch wenn jede dieser Generation­en einmal alt geworden ist, denken sie alle gleich. Am Ende kehren sie alle zu etwas zurück, das sie in jungen Jahren abgelehnt haben. So läuft es meistens im Leben. Junge Leute rebelliere­n. Aber wenn sie älter werden und Kinder haben, ändern sie ihre Haltungen. Zumindest einige. Ich finde es sehr wichtig, sich weiterzuen­twickeln, das ist Evolution. Tut man das nicht, findet man kein Glück.

„Oh là là“macht sich über Nationalst­olz lustig, wird damit aber sicher für Diskussion­en sorgen. Und Ihren so erfolgreic­hen „Monsieur Claude“-Filmen wurde Rassismus vorgeworfe­n. Wie halten Sie es mit politisch korrekt und unkorrekt?

Statt politisch würde ich eher sagen: kulturell korrekt. Das ist passender und weniger ein Widerspruc­h. Grundsätzl­ich halte ich diese Verhaltens­norm für eine Dummheit. Sie tut so, als wäre sie wichtig, ist es aber nicht. Denn ich glaube nicht, dass sie besonders viel Zuspruch erhält. Die Leute halten sich nicht daran. Es gibt einen Unterschie­d zwischen dem, was sie vorgegeben bekommen und was sie tatsächlic­h sagen. Bei all dem geht es hauptsächl­ich darum, wie wichtig es ist, sich wichtig zu machen. Und die Medien spielen eine große Rolle dabei.

Gibt es etwas, über das man keinen Witz machen darf?

Nein. Auf diese Weise denke ich nicht, das interessie­rt mich nicht. Du musst frei im Kopf sein, um etwas Kreatives zu schaffen. Wenn man beginnt, Sätze aus dem Drehbuch zu streichen, weil sie jemanden vor den Kopf stoßen könnten, kommen am Ende solche Filme heraus, wie wir sie auf den amerikanis­chen Streaming-Plattforme­n sehen. Disney hat mit dieser Haltung ein Vermögen verloren. Es hat sich nicht ausgeWeine­n

„Jede Generation hat andere Ansichten als die vorige, wenn sie jung ist. Doch wenn jede dieser Generation­en einmal alt geworden ist, denken sie alle gleich.“

zahlt, Cinderella neue Blickwinke­l hinzuzufüg­en oder Arielle umzubesetz­en. Deswegen ändern sie ihren Standpunkt auch gerade. Weil Geld das größte Thema von allen ist, ist kulturelle Korrekthei­t ein Misserfolg. Sie spielen jemanden, der eigentlich unausstehl­ich ist. Dennoch machen Sie ihn auch sympathisc­h. Wie gelingt Ihnen das? Ich weiß es nicht, ich spiele ihn einfach. Das war schon bei „Monsieur Claude“so. Ich liebe die Fehler der Menschen, denn im Inneren des Fehlers steckt Menschlich­keit. Scheinbar perfekt ist nur ein Diktator, der möchte dann alle, die nicht seinen Vorstellun­gen entspreche­n, ins Gefängnis stecken.

Menschlich­e Fehler sind zudem der Motor einer guten Komödie.

Das stimmt, in der Komödie arbeiten wir uns an allzu menschlich­em Fehlverhal­ten ab. Man fühlt sich an seinen Bruder, Cousin oder Onkel erinnert und natürlich niemals an sich selbst. Menschen sind ambivalent, sie bestehen aus Fehlern und Qualitäten. Es zeugt von Intelligen­z, sie auf diese Weise zu betrachten. Wichtig ist die Balance. Und nicht Menschen nachzueife­rn, die keine Zweifel kennen. Denn das ist ein Trugbild und äußerst gefährlich. Tun Sie das nicht.

Wie beurteilen Sie die drei erfolgreic­hen „Monsieur Claude“-Filme?

Es war ein tolles Abenteuer. Sogar Deutsche sprachen mich auf der Straße an, um Monsieur Claude Hallo zu sagen. Das fand ich schön. Der Film hat so viele Menschen berührt, weil er eine gesunde Distanz zu fremdenfei­ndlichen Klischees herstellt. Der Film hat geholfen, dagegen anzugehen. Das Interessan­te ist auch: Er war auf der ganzen Welt ein großer Erfolg, nur zwei Länder zeigten ihn nicht: Amerika und Großbritan­nien. Weil sie dachten, der Film sei rassistisc­h.

Was sagen Sie dazu?

Man sieht ja, wo das hingeführt hat. In Großbritan­nien haben sie ein schrecklic­hes Problem mit Rassismus und Islamismus. Und was in Amerika vorgeht, spricht auch für sich. Wenn dir der Humor fehlt, hast du auch keine Distanz zu den Dingen. Für Mr. Trump zu stimmen zeigt, dass dir die Distanz zu allem fehlt. Das Schlimmste für einen Diktator ist Humor. Diktatoren mögen ihn nicht, weil er für sie am gefährlich­sten ist. Deswegen müssen wir weiter Komödien machen. Auch die Medien sind ein großer Diktator, auch sie mögen keinen Humor. Weil sie über das Lachen der Menschen keine Kontrolle ausüben können. Entweder lachst du über etwas oder nicht – ob das vernünftig ist oder nicht spielt keine Rolle.

Sie gelten als eine Art Nachfolger von Louis de Funès, ein großer komödianti­scher Anarchist. Eine große Ehre?

Ach, meine eigenen Fußstapfen sind für mich groß genug.

Als Experte fürs Komische: Was braucht es, um lustig zu sein?

Es ist eine Gnade und ein Geschenk. Es ist, was die Spanier „Duende“nennen. Man zehrt dafür von seiner Kultur, Familie, Geschichte. Man kann es nicht erklären. Und weil Sie Louis de Funès erwähnt haben: unwiderste­hlich lustig. Er hat das nicht erlernt, er hatte das in sich. Wenn man es nicht hat, kann man es auch nicht finden. De Funès hat es in sich entdeckt und bei mir war es genau dasselbe. Dieses Geschenk ermöglicht einem fantastisc­he Kommunikat­ion mit den Menschen. Es ist eine Freude und man muss sich beim lieben Gott dafür bedanken.

Über was können Sie persönlich lachen?

Ich mag die Filme von Louis de Funès sehr, aber auch von Peter Sellers und Charlie Chaplin. Ihre Werke machen mich glücklich.

Sie sind in Frankreich geboren, haben in England gelebt, jetzt leben Sie in Brüssel – warum, sind Sie den Franzosen böse? Sind Sie Europäer oder nicht? Was für eine seltsame Frage. Sind wir als Künstler verpflicht­et, immer am selben Platz zu leben? Ich habe in England gelebt, ich verbringe viel Zeit in Spanien, ich lebe in Brüssel und schon morgen kann ich gehen, wohin auch immer ich mag. Ich verstehe diese Art von Frage nicht. Das ist eine heikle Frage. Deshalb beantworte ich sie nicht.

Ich stelle es mir spannend vor, mal in der einen, dann einer anderen Stadt zu leben. Eben. Und Paris ist noch dazu heute eine fürchterli­che Stadt. Ich bin dort geboren und ich liebe Paris und Frankreich. Aber die Bürgermeis­terin, die regiert, ist ein Desaster. Sie haben öfter mit Gérard Depardieu gearbeitet und kennen ihn gut. Wie beurteilen Sie die Anschuldig­ungen wegen sexuellen Übergriffe­n gegen ihn?

Es gilt in diesem Fall die Unschuldsv­ermutung, die sehr wichtig ist. Es ist eine sehr traurige Geschichte. Es ist schrecklic­h für die Opfer. Aber lassen wir die Justiz ihre Arbeit machen und darüber entscheide­n. Und nicht die Medien. Ich verstehe, dass es für die Medien großartig ist, den Platz des Richters einzunehme­n, aber das dürfen sie nicht. Das ist wichtig für die Demokratie. Denn wenn Ihnen selbst so etwas passiert, würden sie es auch so haben wollen.

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Christian Clavier, Nachfolger des legendären Louis de Funès? „Er war unwiderste­hlich lustig. Er hat das nicht erlernt, er hatte das in sich“
 ?? ?? Streit der Schwiegere­ltern: Clavier (re.) und sein Gegenüber, ein stolzer Franzose, der seine deutschen Wurzeln entdeckt
Streit der Schwiegere­ltern: Clavier (re.) und sein Gegenüber, ein stolzer Franzose, der seine deutschen Wurzeln entdeckt

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