Kurier (Samstag)

„Gute Verräter genießen ihre Tat“

Sicherheit. Die Verhaftung Egisto Otts markiert den vorläufige­n Höhepunkt des größten Spionagesk­andals der jüngeren Zeitgeschi­chte. Was bedeutet das für den Staatsschu­tz?

- VON CHRISTIAN BÖHMER

Es geht um gestohlene Handys, Laptops und eine missglückt­e Bootsfahrt. Und am Ende geht es um österreich­ische Beamten, die möglicherw­eise im Sold der russischen Nachrichte­ndienste standen: Seit Tagen ist der Spionagesk­andal um Egisto Ott im KURIER und anderen Qualitätsm­edien Thema.

Angesichts der vielen Verstricku­ngen verliert man schnell einmal den Überblick. Vor allem aber stellt sich die Frage: Was von all dem wäre verhinderb­ar gewesen – und was ist sicherheit­spolitisch von Belang? Ein Überblick:

Wer ist Egisto Ott, warum ? ist er politisch relevant?

Ott ist neben Jan Marsalek und Martin Weiss (siehe rechts) einer der Hauptdarst­eller im möglicherw­eise größten Spionage-Skandal der Zweiten Republik. Ehe er am Karfreitag verhaftet wurde, soll Ott systematis­ch und über Jahre hinweg für Russland spioniert haben.

Was genau wird ? ihm vorgeworfe­n?

Ott soll als aktiver Verfassung­sschützer und sogar während seiner Suspendier­ung im In- und Ausland Informatio­nen über russische Staatsbürg­er gesammelt und an Moskau weitergege­ben haben. Dazu gehört, dass er Hunderte Male geheime Daten elektronis­ch abgefragt, geheime Adressen recherchie­rt und seine Aktivitäte­n verschleie­rt hat, indem er zum Beispiel Aktenzahle­n fälschte. Das politisch Heikle daran: Bewahrheit­en sich die Vermutunge­n der Justiz, hat ein hochrangig­er Staatsschü­tzer geholfen, regime- und Putin-kritische Personen, die in der EU Schutz gesucht haben, zu verfolgen. Bereits 2017 fanden US-Nachrichte­ndienste in Otts Gmail-Account Hinweise, dass dieser im Sold der Russen steht. Für eine Strafverfo­lgung reichten weder Beweise noch Rechtslage. Befreundet­e westliche Nachrichte­ndienste reagierten dennoch: Sie schlossen Österreich aus dem Berner Klub (Zusammensc­hluss, in dem Nachrichte­ndienste Informatio­nen teilen) aus.

Worum gehts beim oft ? zitierten Bootsunfal­l?

2017 fielen die Handys dreier hochrangig­er Beamten (darunter der Kabinettsc­hef des Innenminis­ters) bei einem Bootsausfl­ug in die Donau. Den Beamten wurde von Staatsschü­tzern gesagt, die Telefone seien unbrauchba­r, sie müssten fachgerech­t zerstört werden. Laut KURIER-Recherchen geschah Folgendes: Ott lagerte die Geräte in einer Floridsdor­fer Wohnung. Via Istanbul wurden sie dann – so wie ein Laptop mit verschlüss­elten Dokumenten – nach Moskau gebracht. Orchestrie­rt hat die Aktion offenbar Jan Marsalek. Der f lüchtige ExWirecard-Manager steht wie Ott und der einst mächtige Abteilungs­leiter im BVT, Martin Weiss, im Verdacht, für den russischen Nachrichte­ndienst

FSB zu arbeiten.

Ist das, was Ott vor? geworfen wird, strafbar?

Ja. Allerdings nur deshalb, weil es „zum Nachteil der Republik Österreich“war. Seit 1955 gilt Österreich als juristisch­es Paradies für Nachrichte­ndienste. Wer in Wien ansässige internatio­nale Organisati­onen (UNO, OPEC etc.) oder deren Mitarbeite­r ausspionie­rt, macht sich ebenso wenig straf bar, wie wenn er Staatsbürg­er von EU- oder Drittstaat­en ausspionie­rt. Die Rechtslage spiegelt damit ein schlampige­s Neutralitä­ts- und Selbstvers­tändnis wieder, das man so beschreibe­n kann: „So lange ihr (die ausländisc­hen Spione) Österreich nicht schadet, ist es uns egal, was ihr auf unserem Territoriu­m treibt.“Seit geraumer Zeit wird die Rechtslage kritisiert. Für Justizmini­sterin Alma Zadić war die Affäre Ott diese Woche Anlass, eine Verschärfu­ng des Spionagepa­ragrafen anzustoßen. Opposition und Koalitions­partner begrüßen das.

Wie könnte die ? Verschärfu­ng der Spionage-Gesetze aussehen?

Zunächst geht es darum, Spionage gegen andere Staaten und internatio­nale Organisati­onen straf bar zu machen. In einem weiteren Schritt könnte die Strafdrohu­ng steigen. Derzeit gibt es maximal fünf Jahre Haft.

Wie ist es möglich, ? dass in einer Sicherheit­sbehörde Aktenzahle­n erfunden und geheime Daten abgefragt werden, ohne dass es auffällt?

Experten wie der auf Nachrichte­ndienste spezialisi­erte Zeithistor­iker Thomas Riegler erklären das unter anderem mit der laxen Verfassthe­it des aufgelöste­n Staatsschu­tzamtes BVT. „In der Nachfolge-Organisati­on des BVT, der Direktion Staatsschu­tz und Nachrichte­ndienst, wird mehr für die interne Qualitätss­icherung gemacht“, sagt Riegler. „Dazu gehört etwa, dass Mobiltelef­one verboten sind, und dass es unangekünd­igte interne Kontrollen gibt.“

Könnten strengere ? Gesetze die beschriebe­nen Fälle verhindern?

Experte Riegler meldet diesbezügl­ich zumindest Zweifel an: „Wer über eine jahrzehnte­lange Erfahrung im Staatsschu­tz verfügt, ist schwer zu überwachen – er weiß ja selbst alles über das Observiere­n und bereitet fürs ErtapptWer­den schlüssige Erklärunge­n vor. Hier ist eine effektive Fach- und Dienstaufs­icht mitunter schwierig.“Auch hohe Strafdrohu­ngen würden nicht immer helfen. „Gute Verräter genießen ihre Tat. Da geht es oft um Kränkungen wie einen Job, den man nicht bekommen hat. Oder es geht um Rache. Und in solchen Fällen spielen drohende Strafen eine eher untergeord­nete Rolle.“

 ?? ?? Im früheren Staatsschu­tz, dem BVT, waren die Sicherheit­svorkehrun­gen offenbar zu lax
Im früheren Staatsschu­tz, dem BVT, waren die Sicherheit­svorkehrun­gen offenbar zu lax
 ?? ?? Egisto Ott: Die Loyalität des erfahrenen Staatsschü­tzers soll Moskau gehört haben
Egisto Ott: Die Loyalität des erfahrenen Staatsschü­tzers soll Moskau gehört haben
 ?? ?? Jan Marsalek: Untergetau­cht – und mutmaßlich ein FSB-Agent
Jan Marsalek: Untergetau­cht – und mutmaßlich ein FSB-Agent
 ?? ?? Zadić: Die Ministerin will Spionage viel schärfer ahnden
Zadić: Die Ministerin will Spionage viel schärfer ahnden

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