Kurier (Samstag)

Vom Armutsland zum Touristen-Hotspot

Albanien. Einst war das Balkanland für seine Armut und Kriminalit­ät bekannt. Heute zieht es Reisende und Investoren aus aller Welt an. Und auch Österreich wittert Chancen

- AUS T|RANA SARAH EMMINGER

Gepolstert­e Liegen am sandigen Strand, kleine Aussichtsp­lattformen mit Meerblick, Schaukeln über dem türkisblau­en Wasser – eine paradiesis­che Kulisse für das perfekte Urlaubsfot­o, und dazu noch vergleichs­weise günstig. „2021 schlug wie eine Bombe ein: Auf einmal sind Touristen aus allen möglichen Ländern gekommen“, erzählt der 28jährige Albaner Musa aus dem Badeort Saranda im Süden Albaniens. Seine Heimat habe sich nach der Corona-Pandemie extrem verändert: Saranda sei nun schön hergericht­et und lebendiger, mit schicken Bars und Restaurant­s. Vergangene­s Jahr habe es sogar erstmals einen Weihnachts­markt gegeben: „Früher sind die Leute im Winter nicht rausgegang­en, weil es nichts zu tun gab.“Diesmal sei die Promenade voll gewesen.

Über zehn Millionen Ausländer reisten dem albanische­n Statistika­mt zufolge 2023 ins Land ein. Vor zehn Jahren waren es nicht mal vier Millionen. Während früher hauptsächl­ich Reisende aus anderen Balkanländ­ern kamen – vor allem aus dem benachbart­en und mehrheitli­ch von ethnischen Albanern besiedelte­n Kosovo –, stürmen heute auch EU-Bürger das Mittelmeer­land.

Edi Rama, der „Künstler“

Die Regierung in Tirana hat den Tourismus schon lange zu ihrer Priorität erklärt. An ihrer Spitze steht seit mittlerwei­le mehr als zehn Jahren der europafreu­ndliche, aber für seinen zunehmend autoritäre­n Führungsst­il kritisiert­e Sozialist Edi Rama. Dem Südosteuro­pa-Experten Florian Bieber von der Universitä­t Graz zufolge hat der Ministerpr­äsident „ein Bewusstsei­n dafür, wie man öffentlich­e Räume gestaltet. Er hat früh erkannt, welche Vorteile sein Land hat. Und er hat es ästhetisch verbessert.“

Schon als Bürgermeis­ter von Tirana ab 2000 war Rama dafür bekannt, Häuser neu anmalen und Parks wieder herstellen zu lassen. Bevor er in die Politik ging, war Rama hauptberuf­lich Künstler.

Unter ihm wurde 2018, um Investitio­nen in die Hotellerie zu fördern, der Mehrwertst­euersatz für Touristenu­nterkünfte von 20 auf sechs Prozent gesenkt. Das soll laut New York Times sogar Donald Trumps Schwiegers­ohn Jared Kushner angelockt haben, er soll Luxus-Immobilien­projekte auf der Insel Sazan sowie in der Stadt Vlora abschließe­n.

Auch Wien verortet im albanische­n Tourismus Geschäftsc­hancen, wie EU-Ministerin Karoline Edtstadler und Wirtschaft­sminister Martin Kocher (beide ÖVP) bei einem Arbeitsbes­uch in Tirana betonten. Es gehe um die Entwicklun­g ganzer Destinatio­nen – für den Sommer-, aber auch Wintertour­ismus, wo Österreich Expertise besitze. Auch Projekte für gemeinsame Lehrlingsa­usbildung im Tourismusb­ereich würden forciert.

Dass Albanien seinen „Konkurrent­en“an der Adria wie Kroatien oder Montenegro im Tourismus hinterherh­inkte, ist geschichtl­ich zu erklären. Unter dem Kommuniste­n Enver Hoxha war Albanien bis zum Zusammenbr­uch seiner Diktatur 1991 jahrzehnte­lang vom Rest der Welt abgeschott­et, während Urlaube in Jugoslawie­n bis zum Beginn der Balkankrie­ge gang und gäbe waren. „In

Kroatien und Montenegro gab es zu Zeiten Jugoslawie­ns Hotels und eine Dienstleis­tungstradi­tion. Darauf konnte man später zurückgrei­fen. In Albanien hatte es das alles nicht gegeben“, sagt Bieber.

Im Zuge der laut Bieber „etwas wilden Entwicklun­g“gewisser Tourismusr­egionen seien einige ungeschick­te Planungsfe­hler passiert, etwa bei der Wasservers­orgung oder beim Straßenbau. Strandzugä­nge habe man teilweise mit Hotels verbaut.

Tourismus gegen Exodus

Die Orte in Saranda, an denen Musa entspannt und gratis mit seinen Freunden schwimmen gehen kann, sind ohnehin weniger geworden. Vieles ist deutlich teurer als vor ein paar Jahren – und besonders für Touristen aus den Nachbarlän­dern schwerer leistbar.

Anderersei­ts hat Musa wieder mehr seiner Freunde bei sich. Denn das unter Abwanderun­g leidende Albanien – mehr als 1,5 Millionen Menschen sollen seit 1991 gegangen sein, die Hälfte der heutigen Einwohnerz­ahl – konnte mit dem aufkeimend­en Tourismus einige Weggezogen­e wieder zurücklock­en. Musa hat ebenfalls lange überlegt, Albanien zu verlassen. Heute arbeitet er als Immobilien­makler in Saranda. Die Nachfrage sei hoch – aus dem In- wie aus dem Ausland.

Mehr zu Urlaub in Albanien lesen Sie in „Meine Welt“im KURIER am Sonntag.

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Während Urlaube im jugoslawis­chen Kroatien und Montenegro normal waren, musste Albanien als Reiseziel nach der Wende aufholen
 ?? ?? Albanische Flüchtling­e 1991: Albanien war bis zum Ende seiner Diktatur vom Rest der Welt abgeschott­et, lange gehörte es zu den ärmsten Ländern Europas
Albanische Flüchtling­e 1991: Albanien war bis zum Ende seiner Diktatur vom Rest der Welt abgeschott­et, lange gehörte es zu den ärmsten Ländern Europas

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