Kurier (Samstag)

Der Mann, der den Diebstahl unserer Daten verhindert­e

Microsoft-Mitarbeite­r verhindert­e Cyberangri­ff historisch­en Ausmaßes

- VON JOHANNES ARENDS

Das Internet feiert einen neuen Helden. Andres Freund, ein deutscher Software-Entwickler bei Microsoft, hat mit einer zufälligen Entdeckung wahrschein­lich einen der größten Datendiebs­tähle aller Zeiten verhindert – und es damit in nur einer Woche zu weltweitem Ruhm gebracht. „Mit seiner Neugierde und seinem handwerkli­chen Geschick konnte er uns allen helfen“, lobte MicrosoftC­EO Satya Nadella auf X. Die New York Times titelte gar: „Hat ein Typ es gerade geschafft, einen gewaltigen Cyberangri­ff aufzuhalte­n?“

Um zu verstehen, was Freund getan hat, müssen zunächst ein paar Hintergrün­de geklärt werden. Das Internet ist zweifellos eine der größten Errungensc­haften unserer Zeit, ein Großteil der modernen Technologi­e nutzt dessen Infrastruk­tur. Die wird aber nicht von großen Konzernen gewartet, sondern gleicht eher einem Flickentep­pich. Ein Großteil der Prozesse im Internet basiert auf sogenannte­r Open-Source-Software – also Programmen, deren Code für jeden online abrufbar ist. Tausende Freiwillig­e in aller Welt arbeiten daran, diese Programme aktuell zu halten und ihre Fehler auszumerze­n.

Andres Freund ist einer dieser Freiwillig­en. Nach einem Besuch bei seiner Familie in Deutschlan­d Ende März vertrieb er sich am Flughafen, wie so oft, die Zeit damit, ein paar Verbesseru­ngen am Linux-Betriebssy­stem durchzufüh­ren – ein OpenSource-Betriebssy­stem, auf dem fast alle Server weltweit basieren, egal ob Banken oder Regierunge­n. Dabei stieß er auf etwas Ungewöhnli­ches.

Ein Programm namens SSH, das immer zum Einsatz kommt, wenn sich jemand extern in ein Computersy­stem einloggt, verbraucht­e „eine erhebliche Menge an Arbeitsspe­icher“, wie Freund auf erklärt. Das heißt: Sein Laptop musste sich für einen eigentlich einfachen Prozess ziemlich anstrengen. Freund ging der Sache auf die Spur und entdeckte, dass jemand Zeilen in den Code geschriebe­n hatte, die es ermögliche­n, auf die Daten aller SSH-Nutzer zuzugreife­n – also fast aller Internetnu­tzer weltweit.

Ein unglaublic­her Zufallsfun­d, der ohne Freunds Erfahrung und Intuition nicht möglich gewesen wäre. Die New York Times verglich ihn mit „einem Bäcker, der an einem frisch

Xgebackene­n Brot riecht, merkt, dass etwas nicht stimmt, und dadurch aufdeckt, dass jemand die globale Hefeproduk­tion manipulier­t hat“.

Generalsch­lüssel für alle PCs

Freund machte seine Entdeckung öffentlich, informiert­e andere Freiwillig­e. Gemeinsam entfernten sie die Code-Zeilen und verhindert­en, dass sie der Welt im nächsten Linux-Update ausgespiel­t wurden. „Das hätte die effektivst­e Hintertür sein können, die jemals jemand in ein Betriebssy­stem eingepflan­zt hat“, schrieb der US-Sicherheit­sexperte Alex Stamos auf X. Wer auch immer dahinterst­eckte, hätte fast „einen Generalsch­lüssel für Hunderte Millionen Computer in aller Welt“geschaffen.

Inzwischen ist klar, dass der versuchte Cyberangri­ff von einem Programmie­rer mit dem Pseudonym „Jia Tan“eingebaut wurde. Eigentlich basiert die Welt der freiwillig­en Programmie­rer auf einer strengen Hierarchie, um solche Missbrauch­sfälle zu verhindern. Nur, wer regelmäßig Verbesseru­ngsvorschl­äge macht, darf irgendwann selbst am Code herumdokte­rn. „Jia Tan“erarbeitet­e sich über Jahre das Vertrauen der etablierte­n Gemeinscha­ft, bis er seine Chance gekommen sah. Seine Veränderun­gen habe er so präzise verschleie­rt, dass einige Experten davon ausgehen, dass eine Hackergrup­pe mit immensen Ressourcen dahinterst­ecken muss, wie sie nur staatliche Akteure aufstellen können.

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Ein klischeeha­ftes Symbolbild eines Hackers

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