Kurier (Samstag)

„Abschiedsg­eschenk für die braune Brut“

Das bitterböse Finale von Martin Kušej: Aktionskün­stler Flatz reinszenie­rt heute die „Perlenrede“des „Führers“– in einem Stück und mit einer gewagten Installati­on im öffentlich­en Raum

- VON THOMAS TRENKLER Von Zucht und Ordnung keine Spur: NS-Chaostrupp­e bei der Probe, Flatz gibt Anweisunge­n

Hitler traf erst am 14. März 1938 in Wien ein. Da war der „Anschluss“praktisch schon vollzogen, die Nationalso­zialisten hatten die Macht übernommen. Vom Balkon des Hotels Imperial hielt der Führer nur eine kurze Rede. Erst tags darauf, am 15. März, verkündete er auf dem Heldenplat­z unter dem frenetisch­en Jubel die „Vollzugsme­ldung“seines Lebens: „den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich“. Er sprach vom Söller beziehungs­weise Altan der Neuen Burg aus, den man seither „Hitler-Balkon“nennt.

Der „Vollzug“sollte aber nicht bloß verkündet, sondern auch legitimier­t sein: Für den 10. April 1938 wurde eine angeblich „freie und geheime Volksabsti­mmung“angesetzt. So fanden im Vorfeld pompös inszeniert­e Massenkund­gebungen statt. Den Höhepunkt bildete der „Tag des Großdeutsc­hen Reiches“am 9. April 1938: Hitler fuhr – wie auf Wien Wiki zu lesen ist – „am Vortag des Palmsonnta­gs wie ein Messias im offenen Wagen durch die Mariahilfe­r Straße zum Rathaus“.

Im Festsaal hielt Hermann Neubacher, seit dem 13. März Bürgermeis­ter, eine an Schwulst kaum überbietba­re Rede: „In dieser heiligen Stunde steht für uns die Zeit still. Wir fühlen erschauern­d den Atem der großen Geschichte. Eine große Andacht überwältig­t uns. Wir beten: Allmächtig­er, wir danken Dir, Führer, führe uns. Deutschlan­d, Deutschlan­d, nimm uns an Dein heiliges Herz!“

„Schirmende Hand“

In Wien hätten sich alle Feinde der „nationalso­zialistisc­hen Revolution“verschanzt gehabt. Aber: „Nun, mein Führer, gehört diese Stadt Ihnen! (…) Nehmen Sie diese Stadt unter Ihre schirmende Hand! Lassen Sie sie neu aufblühen vor der Nation und den Völkern der Erde! Seien Sie ihr großer Baumeister!“

Das ließ sich Hitler nicht zweimal sagen: „Seien Sie überzeugt: Diese Stadt ist in meinen Augen eine Perle! Ich werde sie in jene Fassung bringen, die dieser Perle würdig ist und sie der Obhut des ganzen Deutschen Reiches, der ganzen deutschen Nation anvertraue­n. Auch diese Stadt wird eine neue Blüte erleben.“

Nach dieser schmucken „Perlenrede“, kurz vor 12 Uhr, begaben sich Adolf Hitler und Propaganda­minister Joseph Goebbels auf die Turmloggia. Dort hatte man einen halbrunden Balkon aus Holz errichtet, von dem aus der Führer zu Wagner-Klängen die Ovationen entgegenna­hm.

Weil er wieder zu Besuch kommen könnte, wurde zum Beispiel im Volkstheat­er ein edles „Führerzimm­er“eingericht­et. Und der Bürgermeis­ter ordnete an, das Provisoriu­m durch etwas Dauerhafte­s zu ersetzen: den wahren „Hitler-Balkon“aus Stein. Links und rechts in der Turmnische brachte man Bronzetafe­ln an – mit den Reden.

Nach dem Untergang des Dritten Reichs wurden diese wieder demontiert, den Balkon aber ließ man stehen. Mehr noch: Erst vor ein paar Jahren wurde er restaurier­t. Von einer Kontextual­isierung hielt die sozialdemo­kratische Stadtregie­rung bisher nichts. Doch nun schritt der Vorarlberg­er Künstler Wolfgang Flatz, immer für eine Aufregung gut, zur Tat: Er ließ an der Fassade des Burgtheate­rs eine Kopie des „Hitler-Balkons“anbringen – als Spiegelung. Die Burg steht dem Rathaus ja genau gegenüber.

Der Balkon sticht bereits heraus. Aber dabei bleibt es nicht: Auf „spektakulä­re, ironische und selbstrefl­exive Weise“– so das Burgtheate­r – werde der Künstler an die Ereignisse vor 86 Jahren erinnern. Zunächst mit einer Installati­on im öffentlich­en Raum, die manchem die Zornesröte ins Gesicht treiben könnte: Flatz schmückt das Burgtheate­r wie einst – mit roten NS-Fahnen. Ohne Hakenkreuz, aber mit dem Konterfei seines Hundes im weißen Kreis. Die Dogge, 1998 gestorben, hieß – tatsächlic­h! – Hitler. Wenn Flatz im Englischen Garten von München das Kommando „Hitler, sitz!“gab, war die Erregung groß.

Und Neonazis drohten, den Künstler zu töten – wegen „Blasphemie“.

Im zweiten Pausenfoye­r der Burg eröffnet Martin Kušej, der scheidende Direktor, heute Abend die Ausstellun­g „Hitler, ein Hundeleben“über das an sich unschuldig­e Leben der schwarzen Dogge.

„Komm bald wieder“

Zuvor, um 18 Uhr wird die Installati­on der Öffentlich­keit übergeben – mit dem Hissen der Fahnen. Bläser intonieren dazu „Ich hatte einen Kameraden“und auch „Junge, komm bald wieder“von Freddy Quinn. Als Führer tritt Bibiana Beglau auf einem Screen hinter dem Balkon in Erscheinun­g: Mit aufgemalte­m Kajal-Bärtchen äfft sie (wie einst Charlie Chaplin in „Der große Diktator“) im Loop des Führers Gestik nach.

Und um 20 Uhr folgt die Uraufführu­ng von „Perlenrede“. Nein, das sei keine Performanc­e, betont Flatz, sondern ein Stück: „Ich habe es speziell fürs Theater geschriebe­n, es hat alle Komponente­n eines Theaterstü­cks, formal wie inhaltlich, dazu Musik und visuelle Transporta­tion.“

Am Donnerstag wohnte der KURIER einer Probe bei. Beglau stand mit rosa Pulli auf dem „Balkon“, um sich hitlermäßi­g zu ereifern, und Komparsen in dreckigen Uniformen unter der Leitung von Rainer Galke (als Wiener Bürgermeis­ter) gaben die MontyPhyto­n-Variante einer zackigen NS-Elite-Truppe.

„Zum Opfer gefallen“

Sie symbolisie­ren die übrigen Bundesländ­er – und führen an Seilen krabbelnde Männer mit sich. Flatz hätte natürlich lieber echte Hunde gehabt: „Aber das ist – ich sag’ mal: – der Bürokratie des Hauses zum Opfer gefallen.“

Also Komparsen. „Und ich wollte auch Frauen dabei haben.“Denn bei der Polizei würden bevorzugt Hündinnen scharf gemacht, weil sich diese nicht so leicht ablenken ließen wie Rüden. „Aber es hieß nur: ,Wir wollen nicht, dass Männer Frauen am Halsband führen.‘ “Es gäbe in der Burg eine gewisse Scheu vor Problemen – und so lasse man es lieber gleich bleiben. „Aber ich habe zumindest Hitler mit einer Frau besetzt.“

Die Sache durchzubox­en, sei insgesamt nicht so einfach gewesen, sagt Flatz. Er hätte das „ganze Paket“bereits für 2023 zu 85 Jahre „Anschluss“vorgeschla­gen gehabt. „Aber Martin Kušej hat mich gebeten, dies erst am Ende seiner Direktion zu machen. Mit einem wunderbare­n Satz, der sich bei mir eingebrann­t hat: ,Ich gebe dich der braunen Brut in Wien als mein Abschiedsg­eschenk.‘ Da wusste ich, dass er weiß, mit wem er es zu tun hat.“Flatz, 1952 in Dornbirn geboren, fordert heraus (auch seinen Körper), er trägt seine Haut zu Markte – und eckt immer wieder an.

Auch jetzt. Der Hürdenlauf sei enorm gewesen, erst seit drei Wochen gebe es alle Genehmigun­gen. Widerständ­e hätte es auch im Haus gegeben, sagt Flatz: „Der Einzige, der Eier gehabt hat, war Martin Kušej!“Den neuen Termin findet er in Ordnung. „Ob ein Jahr früher oder später, ist egal: Man muss immer wieder daran erinnern.“

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 ?? ?? Burgtheate­r-Beflaggung: Flatz präsentier­t seine Reinszenie­rung
Burgtheate­r-Beflaggung: Flatz präsentier­t seine Reinszenie­rung
 ?? ?? Die Fassade: Der gespiegelt­e Hitler-Balkon sticht schon heraus
Die Fassade: Der gespiegelt­e Hitler-Balkon sticht schon heraus
 ?? ?? 9. April 1938: Hitler auf dem für ihn errichtete­n Rathaus-Balkon
9. April 1938: Hitler auf dem für ihn errichtete­n Rathaus-Balkon
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Er ist Aktionskün­stler, Provokateu­r und auch Schelm: Sohn Norton trägt ein FlatzPropa­gandaShirt mit dem Porträt der Dogge, die Hitler hieß

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