Kurier (Samstag)

ÜBER leben

- Guido Tartarotti guido.tartarotti@kurier.at

Als ich mit meiner damaligen Freundin zum ersten Mal gemeinsam das Burgtheate­r besuchte, waren wir eine ganze Woche zusammen und besorgnise­rregend verliebt.

Es ging uns dabei nicht unbedingt um Sex, es reichte uns, einander anzuschaue­n. Ich konnte mir auch kein schöneres Bild vorstellen – sie war das entzückend­ste Mädchen der Welt. Zum Besuch des Burgtheate­rs erschien sie elegant wie eine Lady. Ich wollte mithalten und trug, um bei ihr Eindruck zu schinden, mein bestes Sakko. Was ich nicht gleich bemerkte, war: Das Sakko war übersät von Mottenlöch­ern. Sie bemerkte das sofort, sagte aber unter Aufbietung aller Kraft nichts – was ich ihr bis heute hoch anrechne.

Als wir den Ring überquerte­n, wollte ich reflexarti­g den Arm um sie legen. Da fiel mir ein: Wir waren hier zum ersten Mal gemeinsam in der Öffentlich­keit, wer weiß, ob ihr das Recht ist?

Also fragte ich, beinahe schüchtern: Darf ich den Arm um dich legen? Sie strahlte dieses unvergleic­hbare Lächeln und sagte: Warum soll mich das stören?

Also legte ich den Arm um sie, spürte, wie sich ihre Hüfte an meine Hand schmiegte – und im selben Augenblick durchflute­te mich ein überwältig­endes Gefühl des Stolzes. Stolz darüber, dass diese fantastisc­he Frau meine Hand für würdig hielt, an ihrer Hüfte zu liegen. Es war kein dreckiges Gefühl, sondern ein sehr unschuldig­es und zartes. Noch heute weiß ich, wie glücklich ich in diesem Moment war.

Dieser Moment ist lange her, aber immer noch finde ich: Es gibt kein besseres Gefühl, als wenn eine Frau und ein Mann zum ersten Mal in der Öffentlich­keit die Arme umeinander legen. Für dieses Gefühl lohnt es sich, morgens aufzustehe­n.

Alles, was danach kommt, ist wunderschö­n, aber dennoch nicht vergleichb­ar: Eine Hand, eine Hüfte – und jede Menge Mottenlöch­er. Mehr braucht der Mensch nicht.

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