CHAOS deluxe

Das fehlte gerade noch: Der Fortpflanz wird 30 und reist aus Berlin an. Ich muss bei Freunden um Asyl ansuchen, weil meine Wohnung zur Partyzentrale umfunktioniert wird. Ich habe ihr ein T-Shirt gekauft mit der Ansage „Ich werde oft mit einem Erwachsenen verwechselt, aber nur wegen meines Alters.“Die Tätowierungen auf ihrem linken Arm sehen aus wie aus einem Malkurs für nicht ganz ausgeschlafene Siebenjährige: Pizzaschnittchen, eine Gitarre, das Wort „Ja eh“, alles so putzig infantil. Deswegen heißt sie bei mir jetzt nur mehr Infantin. Wenn ich sie darauf hinweise, dass sie einen Lifestyle wie eine 22-jährige Anthropologie-Studentin mit Nasenringen und Schlagzeug in der Garage führt, kommt nur eine „Mutter, sei nicht so delu...“(Abk.: von „delusional“). In Spießeranto übersetzt: „Krieg dich wieder auf die Spur, Alte.“Sie verdreht die Augen, wenn ich runterrattere, was ich in diesem Alter schon alles erledigt hatte: Fortpflanzung gecheckt, ein Jahrzehnt die Feder in diversen Redaktionsstuben geschwungen, zwei Lebensversicherungen auf den Putz geworfen, jahrelange Feuerproben des zwischengeschlechtlichen Miteinanders absolviert, nachts auf den Tischen getanzt. Und: Nach solchen Nächten mit einer Gesichtsverfassung, als ob mir ein Traktor mehrfach drübergerollt wäre, mit zusammengeschlagenen Haken am nächsten Tag im Office angetreten. Sie sieht mich jetzt mit dieser Ich-hab-noch-immer-alles-vor-mir-Arroganz an: „Wahnsinn! Das sind vielleicht verlockende Aussichten! Kapierst du jetzt endlich, warum ich ständig eine Verlängerung in der Abteilung Fortgeschrittene Kindheit beantrage?“Dennoch zeigt sie leichte Ansätze zu mehr Seriosität: „Mein nächster Boyfriend sollte, wenn irgendwie möglich, keine Matratze am Boden in einer WG in Neukölln haben, sondern ein echtes Bett im Eigentum in Charlottenburg. In dieser Hinsicht entwickle ich mich gerne weiter. Bist du nicht stolz auf mich?!“Urevollmega, Hasi.