Kurier (Samstag)

Ein Phantomsch­merz ist geblieben

- VON MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Im März 2020 geschah, was man bis dato nicht für möglich gehalten hätte: Die Republik (und die Welt) sperrte wegen eines unbekannte­n Virus zu. Eine Kaskade an Regeln folgte, die im Juli 2023 alle ausgelaufe­n sind. Manche davon schränkten die Grundrecht­e massiv ein. Noch immer schwelt deshalb ein – von der FPÖ befeuerter – Unmut. So ist vor allem die problemati­sche, aber ohnehin nie in Kraft getretene Impfpflich­t bei manchen als Phantomsch­merz geblieben.

Und natürlich waren die gesperrten Schulen eine Zumutung. Aber auch wenn die Maßnahmeng­egner viel lauter waren und sind: Mindestens genauso viele Bürger wollten damals das Gegenteil, also noch schärfere Vorschrift­en. Herbert Kickl gehörte übrigens anfangs dazu.

Mittlerwei­le kursieren in den sozialen Medien etliche „vielsagend­e“Posts der Corona-Impfgegner über unerwartet­e Todesfälle. Ein Zusammenha­ng mit der Impfung entbehrt einer echten wissenscha­ftlichen Grundlage. Aber genau daran – an die jeweils jüngsten Erkenntnis­se – hielt sich die Politik. Was natürlich nicht heißt, dass diese am Ende immer richtig waren. Auch die Forschung durchlief einen Prozess – wie immer, nur war man diesmal live dabei. Ja, es gab Irrwege und Irrglauben. Das Verspreche­n zum Beispiel, die Impfung schütze vor Ansteckung und auch vor der Weitergabe des Virus, erwies sich als falsch. Wahrschein­lich schützte sie nur vor schweren Verläufen. Und man muss wohl darüber diskutiere­n, dass auch die Universitä­ten Kritiker unerbittli­ch „gecancelt“haben, als ob begründete Zweifel nicht Voraussetz­ung jeder Wissenscha­ft wären. (Das passiert jetzt übrigens bei Klima- und Genderthem­en genauso.) Aber die wehleidige Wut über die „Diktatur“der Bürokratie in Österreich ist übertriebe­n. Das verharmlos­t autoritäre Regime: In China hungerten Menschen in ihren Wohnungen, während bei uns die Bürger schon maulten, weil sie sich nur heimlich im Wirtshaus-Hinterzimm­er treffen konnten. In den USA und in Asien gingen Geschäfte einfach pleite, weil ihnen niemand großzügige­n Umsatzersa­tz zahlte.

Das geringe Verständni­s der Österreich­er lag wohl auch am guten Pandemiema­nagement zu Beginn. Daher gab es viel weniger Tote als zum Beispiel im italienisc­hen Bergamo. Dort verlegte man Infizierte in Altenheime. Auch in Schweden starben anfangs mehr, weil Senioren nicht extra geschützt wurden. Am Ende hatte Schweden jedoch weniger soziale Isolation und eine geringere Übersterbl­ichkeit als Österreich. Vielleicht nur ein Problem der statistisc­hen Methode: Bei uns wurde jeder als Corona-Sterbefall gezählt, selbst wenn eine schwere, andere Grunderkra­nkung vorlag. Im Rückblick ist man weiser. Es gab Irrtümer, die in der Panik passieren. Das kann die Regierung ruhig zugeben. Und dann widmen wir uns alle wieder den jetzt wichtigere­n Themen.

Der Unmut der Corona-Impfgegner schwelt weiter und wird auch geschürt. Ja, es gab in der Panik Irrtümer, aber keine Diktatur

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