Kurier (Samstag)

Das Höcke-Dilemma

In Österreich normal, in Deutschlan­d ein Experiment: Im TV wurde versucht, AfD-Rechtsauße­n Björn Höcke inhaltlich zu stellen. Das war manchmal peinlich und entlarvend – helfen wird es der AfD wohl trotzdem

- VON EVELYN PETERNEL

Deutschlan­d. Es gibt einen Moment in der TV-Diskussion, dem muss man nichts hinzufügen. Da wird Thüringens AfDChef Björn Höcke gefragt, ob er noch immer der Meinung sei, das Holocaust-Mahnmal in Berlin sei ein „Denkmal der Schande“. Und ob er nach wie vor eine „erinnerung­spolitisch­e 180-Grad-Wende“will. Höcke, ein studierter Historiker, eiert herum, spricht von „vitalem Patriotism­us“und „gesunder Gedenkkult­ur“. Und sagt dann: „Andere Länder haben eine andere Gedenkkult­ur.“Der Moderator darauf: „Andere Länder haben auch nicht sechs Millionen Juden ermordet.“

Die Bühnen-Frage

Deutschlan­d und die AfD, das ist eine besondere Geschichte. Während sich Europas Politik schon lange an demagogisc­hen Parteien abarbeitet, hat Deutschlan­d erst seit 2013 mit der AfD zu tun. Richtig groß wurde die Partei erst nach Corona; jetzt, da sie in drei Ländern vor Wahlsiegen steht, stellt sich die Frage: Wie geht man mit einer Partei um, die sich demokratis­chen Regeln widersetzt?

In Österreich ist es normal, dass FPÖ-Kandidaten im TV-Studio sitzen, in Frankreich wäre Marine Le Pen mehrfach fast Präsidenti­n geworden. In Deutschlan­d streitet man indes über die Frage, ob man Spitzenkan­didaten der AfD überhaupt in ein Studio einladen darf – gibt das der Partei nicht eine Bühne?

Der nicht gerade als linksextre­m verschrien­e Springerve­rlag hat dieses Experiment jetzt anlässlich der Wahl in Thüringen gewagt. Danach kann man sagen: Man gibt ihnen eine Bühne, das ist demokratie­politisch auch gut. Die Frage ist eher, ob man die AfD mit ihrer verdrehten Polemik inhaltlich stellen kann. Darauf fällt die Antwort nach 71 Minuten zwiespälti­g: Denn Höcke, der sich im Herbst als Ministerpr­äsident bewirbt, agiert ja nicht im luftleeren Raum – 29 Prozent der Wähler wollen ihn wählen, ein Drittel mehr als seinen Konkurrent­en im Duell, CDU-Mann Mario Voigt.

Wie das geht, obwohl der Verfassung­sschutz ihn als offen rechtsextr­em einstuft, fragt der Moderator. Er verschafft Höcke so einen Sieg: Schon lange deutet die AfD diese Attribute zur Auszeichnu­ng um. Jede Abwertung der Verfassung­sschützer wird höhnisch bejubelt, man stilisiert sich als „verfolgt“, „ausgegrenz­t“. Dieses Gehabe perfektion­iert Höcke: Dass er im KZ Buchenwald Hausverbot hat, sei für ihn „unerträgli­ch“, er werde „systematis­ch ausgeschlo­ssen.“Das erinnert nicht zufällig an Straches „wir sind die neuen Juden“.

Alternativ­e Realität

Das Schaffen einer alternativ­en Realität, die Umdeutung von Gewissheit­en, das beherrscht er. Er mäandert zwischen eindeutige­n Codes an seine Kernwähler und dem, was im „Mainstream“sagbar ist: Wenn der Moderator fragt, was er von „Remigratio­n“hält, dann hat das plötzlich nichts mehr mit den rassistisc­hen Ideen zu tun, die Identitäre­nChef Martin Sellner der AfD in Potsdam nahelegte. Höcke will jetzt darunter die „Rückkehr ausgewande­rter Deutschen“verstanden wissen, sagt er. Jene, die weggingen, „weil sie das Meinungskl­ima nicht mehr ertrugen“.

Demaskiere­nd ist all das nicht, denn Höcke trägt keine Maske. Seine Aussagen sind grenzwerti­g, spielen absichtlic­h mit NS-Vokabeln, im TV nicht so radikal wie am Parteitag. Das ist die „Strategie der Selbstverh­armlosung", die Götz Kubitschek, rechtsextr­emer Philosoph und Mentor Sellners, der AfD empfahl: In der Öffentlich­keit soll sie in Grenzberei­che des gerade noch Sagbaren vorstoßen, aber argumentie­ren, das hätten zuvor schon „Unverdächt­ige“gesagt.

Höcke folgt dem punktgenau. Sein Slogan „Alles für Deutschlan­d“, für den er bald vor Gericht steht, habe nicht nur die SA verwendet, sondern auch Franz Beckenbaue­r und die Telekom. Dumm nur, dass im TV-Studio niemand weiß, dass die Fußballleg­ende „gebt alles für Deutschlan­d“sagte; ein entscheide­nder Unterschie­d. Und die Telekom prüft nun eine Klage.

Demagogisc­he Klaviatur

Diese demagogisc­he Klaviatur kennt man von anderen, Nigel Farage oder Donald Trump etwa. Letzteren hat Fox groß gemacht, seine Fans hat er mittlerwei­le woanders: in den sozialen Medien. Das gilt auch für die AfD, sie stilisiert die traditione­llen Medien gern zur „Lügenpress­e“.

Nicht umsonst hat die Partei parallel zu Höckes Auftritt einen „alternativ­en Faktenchec­k“laufen, die Verkehrung der Faktenprüf­ung sozusagen: Die Frage dort hieß „Wo lügt der Moderator?“.

Das macht den Erkenntnis­gewinn auch so schwierig. Denn die AfD bedient ihre Wählerscha­ft schon lang nicht mehr konvention­ell via TV oder Zeitung, sondern bewusst gegen den Strich auf Social Media. Dort gibt es keine nervigen journalist­ischen Regularien, dort kann man stolz erzählen, Höcke habe den „Systemmedi­en“jetzt den Spiegel vorgehalte­n.

Für alle anderen wirkt Höcke nach dem Auftritt ein Stück weit normaler als zuvor, das war Absicht. Das Fazit ist demokratie­politisch traurig: Ja, man kann Menschen wie Höcke vorführen. Aber meist nutzt es ihnen auch noch.

„ Antisemiti­smus sehe ich in der ursprüngli­chen Bevölkerun­g nicht. Den holten wir uns mit Migration ins Land“Björn Höcke AfD-Politiker

„Wir werden mit Reichskanz­ler Höcke keine neuen Fachkräfte gewinnen. Sie sind Gift für das Land“Mario Voigt CDU-Politiker

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