Sauber, sicher, digital – und autoritär
30 Jahre nach dem Völkermord gilt Ruanda als attraktives Investitionsland und Hotspot für„ digitaleNo maden “. Der Preis, so Kritiker: ein Langzeit herrscher
„Es ist mein erstes Mal in Kigali, ich bin schockverliebt“, schwärmt eine Youtuberin. Die junge Frau filmt sich auf ihrem Weg durch die Hauptstadt, ins Fitnessstudio, dann ins Café. Im Hintergrund begrünte, saubere Straßen, die bunten Wände von Bars und Restaurants. „Hier gibt es schnelles W-Lan und an jedem Tisch Steckdosen“, sagt sie. Ihr Video nennt sie „Ein Tag im Leben eines Digital Nomad in Kigali“.
Digitale Nomaden, Selbstständige oder Arbeitnehmer, die fast ausschließlich digitale Dienstleistungen anbieten, und dafür an keinen Ort gebunden sind – sie gehören zu jener Zielgruppe, um die das kleine Ruanda (etwa so groß wie Niederösterreich und das Burgenland zusammen) seit einiger Zeit stark wirbt.
Drei Jahrzehnte nach dem grausamsten Kapitel der Geschichte des Landes, dem Völkermord 1994 an Hunderttausenden ethnischen Tutsi, gilt Ruanda als ostafrikanisches „Vorzeigeland“: Einwegplastiksackerl sind verboten, die Kriminalitätsrate ist gering, Korruption gibt es kaum. In vielen Staatsunternehmen und Behörden gilt eine Geschlechterparität, im Parlament sind sogar 61 Prozent der Abgeordneten Frauen. Reisende lockt das Land mit Öko-Tourismus und GorillaTrekking. „Ruanda hat nach dem Genozid nicht von null, sondern aus dem Minusbereich gestartet“, verdeutlicht ein Mann aus Kigali die Entwicklung seines Landes.
Strafzettel per SMS
Beispielhaft wird häufig die Digitalisierung genannt, die in Ruanda wie in so vielen afrikanischen Staaten teilweise fortgeschrittener ist als in manchen Teilen Europas: Gesundheitsberatung, Testergebnisse, Dokumente werden am Smartphone ausgestellt, unbürokratisch und ohne Wartezeit. „Sogar der Strafzettel fürs zu schnell Fahren kam wenige Minuten, nachdem ich geblitzt wurde, per SMS“, erzählt die Länderdirektorin der NGO Care in Ruanda. Der KURIER trifft die gebürtige Nordafrikanerin während eines Arbeitsbesuchs in Wien. „Die Regierung hat viel investiert in die digitale Transformation, den Ausbau
des Gesundheitssystems, dass Schulen nah und leicht zu erreichen sind. Das festigt das Vertrauen von Investoren und Hilfsorganisationen.“
Trotz des Fortschritts gibt es nach wie vor großen Bedarf an Entwicklungshilfe: Mit 13,7 Millionen Menschen gehört Ruanda zu den am dichtesten besiedelten Regionen Afrikas, über 38 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Der Weltbank zufolge haben 70 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zum Internet. Klimawandelbedingte Extremwetterereignisse wie Starkregen oder Dürre machen der Bevölkerung – mehr als zwei Drittel der Familien leben von Landwirtschaft – zu schaffen.
„Unsere Projekte bieten Kleinbauern, vornehmlich Frauen, Schulungen, um klimaresistente Landwirtschaft zu betreiben. Wir sorgen für faire Zugänge zu Finanzierungsmethoden. Von uns erhalten die Menschen kein Geld direkt. Sie investieren ihre eigenen Ersparnisse in sich selbst gesetzte Ziele. Dadurch stehen die Menschen selbst mehr hinter dem Projekt“, sagt die Länderdirektorin. Über einer Million Menschen helfe Care derzeit.
Was die Länderdirektorin kritisiert: „Hier wurde in den letzten Jahrzehnten so viel Entwicklung geschaffen. International wird das viel zu wenig beachtet.“
Autoritärer Machthaber
Wenn über Ruanda gesprochen wird, dann meist aufgrund des umstrittenen Asylabkommens mit Großbritannien oder wegen des LangzeitMachthabers Paul Kagame, der seit dem Genozid regiert.
Kritiker sehen ihn als den Preis, den die Bevölkerung für den enormen Fortschritt
in so kurzer Zeit zahlen musste. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Verfolgung von Regierungskritikern und Journalisten, bekannte Oppositionspolitiker wurden von der Parlamentund Präsidentenwahl im Juli ausgeschlossen. Das in Aussicht gestellte Asylabkommen mit Großbritannien wird von Kagame vorrangig als „Finanzspritze“für Ruandas Entwicklung gesehen: 440 Millionen Euro plus 175.000 Euro pro aufgenommenen Flüchtling stellt Großbritannien in Aussicht.
Die Pläne, die Kagame für sein Land in naher Zukunft hat, sind ambitioniert: Bis 2035 will Ruanda zu einem Land mit mittlerem Einkommen aufsteigen, bis 2050 ein Land mit hohem Einkommen werden. Dabei hilft jede staatliche oder private Auslandsinvestition, jeder Tourist – und jeder „digitaler Nomade“.