Kurier (Samstag)

Putins Strategie ist gescheiter­t

Unabhängig vom Ausgang des Krieges ist Russlands Lage schlechter als zuvor

- JANOS I. SZIRTES Janos Szirtes

Die zaristisch­e – sowjetisch­e – russische Außenpolit­ik bewegte sich mit kleinen Unterbrech­ungen zwischen zwei Eckpfeiler­n: Entscheide­nden Einfluss auf die Weltpoliti­k auszuüben und die Angst vor Überfällen durch angrenzend­e Staaten. Diese bilden weiterhin eine unheilige Allianz der auswärtige­n Strategie des flächenmäß­ig zwar größten, an Bevölkerun­g jedoch an neunter Stelle stehenden Staates mit einer ökonomisch­en Kraft, die mit Italien vergleichb­ar ist.

Der Kreml hat keine Grundlage für die Großmachts­sehnsüchte, sein Anspruch ist dennoch geblieben. Putin griff also zu der ihm verblieben­en Möglichkei­t, der Drohung und im Schatten dieser zu begrenzten konvention­ellen militärisc­hen Maßnahmen. Im Kaukasus und Donbass wurden Vasallenge­biete geschaffen, die Krim wurde mit grünen Männchen besetzt und, als die Staatengem­einschaft keine wirksamen Schritte unternahm, einverleib­t. In einem Blitzkrieg sollte dies gleichfall­s mit der Ukraine geschehen, doch zur Überraschu­ng aller ist dies missglückt. Daraus entstand das heutige Dilemma.

Tatsächlic­hes Ziel der Aggression war, den Sicherheit­sbedürfnis­sen und den Großmachtw­ünschen näherzukom­men, die Forderunge­n Moskaus vom Dezember 2021 skizzieren dies: Die Welt soll ein Maximum an Sicherheit für Russland akzeptiere­n und ein Minimum für sich, einige Staaten würden Teile ihrer Souveränit­ät aufgeben müssen. Die NATO soll sich von den russischen Grenzen zurückzieh­en und dieser Raum entmilitar­isiert werden. Tatsächlic­h jedoch hat man die NATO nicht verjagt, sondern die Konfrontat­ionszone um 4.800 km (Finnland und Schweden) erweitert. Auch um die Großmachtw­ünsche ist es nicht besser bestellt. Russlands Außenpolit­ik ist in die Isolation geraten, die „neuen“Verbündete­n, Iran und Nordkorea, sind sichtbares Zeichen dafür. In der UNO befindet sich Russland in absoluter Minderheit­sposition. Gegenüber Peking verlor der Kreml an Augenhöhe und wurde Juniorpart­ner.

Bei beiden strategisc­hen Zielen hat Putin unabhängig vom Ausgang des Krieges versagt, und eine Situation geschaffen, in der er schlechter­e Bedingunge­n hat als zuvor. Die innenpolit­ische Lage hat sich ebenfalls verschlech­tert. Nur noch etwas mehr als die Hälfte unterstütz­t den Krieg. Bedenklich für das System ist vor allem, dass dies bei der bisherigen Hauptstütz­e zu beobachten ist. Da die Gefallenen hauptsächl­ich vom Land und aus verarmten Gebieten stammen, wünscht man sich dort ein Ende des Krieges. Die Oligarchie ist sich dessen wohl bewusst, die „russische Seuche“, das aus dem Fenster fallen ihrer Mitglieder, zeugt davon. Mit der Homogenitä­t dieses Kreises ist es sichtbar vorbei. Und historisch­e Erfahrunge­n (z. B. die Rolle von Juan Carlos bei Spaniens Abkehr vom Franco-Regime) zeigen, dass es im „loyalen“Kreis der Machthaber sehr wohl Potenzial für eine gravierend­e Veränderun­g von Diktatur hin zur Demokratie geben kann und dass zunehmende Kriegsmüdi­gkeit der Bevölkerun­g das ihre dazu beitragen kann.

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I. ist Politikwis­senschafte­r und lebt in Budapest. Er war Journalist und Diplomat, ist Verfasser von zahlreiche­n Büchern.

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Putin (hier mit Belarus-Machthaber Lukaschenk­o) ist in der Welt zusehends isoliert
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