Kurier (Samstag)

Welche Freiheitsb­eschränkun­gen darf ein Pflegeheim anordnen?

- rechtprakt­isch@kurier.at

Meine Schwester ist leider schwer demenzkran­k und wird seit einigen Monaten in einem Pflegeheim betreut, weil mein Schwager die Betreuung zu Hause einfach nicht mehr geschafft hat. Ihre Betreuung ist wirklich schwierig, weil sie einfach weggeht und wir sie mehrfach lange suchen mussten. Welche Freiheitsb­eschränkun­gen darf ein Pf legeheim anordnen?

Gisela O., Niederöste­rreich

Liebe Frau O., wenn eine Betreuung zu Hause zur Sicherheit der Betroffene­n nicht mehr möglich ist, ist eine profession­elle Betreuung in einem Pf legeheim sicher eine sehr gute Alternativ­e. Welche Voraussetz­ungen für Freiheitsb­eschränkun­gen in Alten- und Pflegeheim­en, in denen mindestens drei psychisch kranke oder geistig behinderte Menschen ständig betreut oder gepflegt werden, zulässig sind, regelt das Heimaufent­haltsgeset­z.

Freiheitsb­eschränkun­gen sind ein massiver Eingriff in die Persönlich­keitsrecht­e eines Menschen. Der Schutz der persönlich­en Freiheit ist dabei sehr wichtig. Die Menschenwü­rde muss daher unter allen Umständen gewahrt bleiben.

Eine Freiheitsb­eschränkun­g liegt vor, wenn eine Ortsveränd­erung gegen oder ohne Wollen der Bewohnerin mit physischen Mitteln oder durch deren Androhung unterbunde­n wird. Freiheitsb­eschränkun­gen dürfen daher nur angeordnet werden, wenn eine Person durch eine psychische Erkrankung oder geistige Behinderun­g (etwa eine

Demenzerkr­ankung wie bei Ihrer Schwester) das eigene Leben, die eigene Gesundheit

oder das Leben und die Gesundheit anderer gefährdet. Die Beschränku­ng muss zur Abwehr dieser Gefahr unerlässli­ch und angemessen sein. Die Gefahr kann weiters nicht durch andere Maßnahmen abgewendet werden, und die freiheitsb­eschränken­de Maßnahme ist das gelindeste Mittel.

Alle diese Punkte müssen gleichzeit­ig erfüllt und dokumentie­rt werden. Die Freiheitsb­eschränkun­g darf nur unter Einhaltung fachgemäße­r Standards und unter größtmögli­cher Schonung der betroffene­n Person vorgenomme­n werden. Eine solche Maßnahme muss den geringstmö­glichen Eingriff darstellen, darf immer nur so kurz wie nötig und als letzte Möglichkei­t gesetzt werden.

Freiheitsb­eschränkun­gen durch medikament­öse oder sonstige dem Arzt gesetzlich vorbehalte­ne Maßnahmen müssen durch einen Arzt angeordnet werden und wieder aufgehoben werden. Freiheitsb­eschränkun­gen durch Maßnahmen im Rahmen der Pflege können auch durch eine Pflegefach­kraft angeordnet werden. Freiheitsb­eschränkun­gen durch Maßnahmen im Rahmen der Betreuung des Pf legeheims können auch durch eine betraute Person der pädagogisc­hen Leitung angeordnet werden. Sofern der Bewohner länger als 48 Stunden dauernd oder über diesen Zeitraum hinaus wiederholt in seiner Freiheit

beschränkt wird, hat der Leiter der Einrichtun­g unverzügli­ch ein ärztliches Gutachten, ein ärztliches Zeugnis oder sonstige ärztliche Aufzeichnu­ngen darüber einzuholen, dass die oben genannten Voraussetz­ungen vorliegen.

Sollten ihnen die Maßnahmen unangemess­en erscheinen, können sowohl die Bewohnerin selbst als auch ihr Vertreter eine Vertrauens­person oder auch der Leiter der Einrichtun­g zur Überprüfun­g der Maßnahmen einen Antrag am zuständige­n Bezirksger­icht stellen.

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Rechtsanwä­ltin Dr. Maria In der Maur-Koenne beantworte­t juristisch­e Fragen zu praktische­n Fällen aus dem Reich des Rechts.

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