Kurier (Samstag)

Wer im Klimawande­l aufgestieg­en ist

30 Grad Anfang April, der März als zehnter Temperatur-Rekordmona­t in Folge, Klimawande­l als Herausford­erung. Früher entschied die Art, wie Völker mit Klimawidri­gkeiten umgingen, über Aufstieg oder Fall

- TEXT SUSANNE MAUTHNER-WEBER |NFOGRAF|K MANUELA EBER

Man stelle sich vor: Der große Eroberer Dschingis Khan hätte den Klimawande­l nicht als Verbündete­n gehabt. Nie hätte er ein Gebiet unterjoche­n können, das die Imperien der großen Eroberer Alexander und Napoleon weit in den Schatten stellte. So erzählen es Historiker: Anfang des 13. Jahrhunder­ts kam der große Regen über die von den Mongolen bewohnten Steppen, das Gras wuchs, die Weidefläch­en dehnten sich aus und konnten viel stärker für die Pferdezuch­t genutzt werden. Und Pferde waren so etwas wie die Ferraris der vorindustr­iellen Ära – sie ermögliche­n Dschingis Khan mit seiner Goldenen Horde, schnell zu expandiere­n und weit entfernte Länder vom Gelben bis zum Schwarzen Meer zu erobern.

500 Jahre später passierte in Europa Ähnliches: Feuchte Sommer, kalte Winter, dazu eine dramatisch­e Frequenz von Katastroph­en. Am Höhepunkt der Kleinen Eiszeit zu Beginn des 17. Jahrhunder­ts geraten viele Regionen Europas in Turbulenze­n. Nur die kleinen Niederland­e nicht. Sie erleben ihr frostiges goldenes Zeitalter. „Sie konnten die Herausford­erungen des Klimawande­ls besser bewältigen als andere größere und scheinbar mächtige Reiche, weil sie vorher gelernt hatten, mit widrigen Umständen umzugehen“, sagt der Historiker Johannes Preiser-Kapeller von der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften, der untersucht hat, wie der Klimawande­l das Schicksal von Imperien beeinfluss­te.

Aufsteiger Niederland­e

Die Niederland­e stiegen in der Krise auf, weil bereits Strukturen vorhanden waren, die es ihnen erlaubten, f lexibler zu reagieren. Sie haben während der mittelalte­rlichen Warmzeit (einer klimatisch günstigen Zeit zwischen 950 und 1250) mithilfe von Deichen Land trockengel­egt. „Gleichzeit­ig haben sie aber immer mit der Bedrohung durch das Meer gelebt und ein System der Katastroph­envorbeugu­ng entwickelt“, erzählt der Historiker. Alle halfen zusammen, um die Dämme in Schuss zu halten, was den sozialen Zusammenha­lt stärkte.

Als das Klima unfreundli­cher wurde und die Wale sich immer weiter in den Ozean hinaus zurückzoge­n, konnten nur die Niederländ­er der Beute aufgrund fortschrit­tlicher nautischer Kenntnisse folgen und die Walfang so am Laufen halten. Sie stiegen zu einer globalen Macht auf und begründete­n mit der Eroberung des heutigen Indonesien ein Kolonialre­ich.

Lange galt: Wenn das Klima schlechter wird, gehen Reiche zugrunde. Wenn es trocken und stabil ist, blühen sie auf, die Bevölkerun­gszahlen steigen. Genauere Untersuchu­ngen zeigen jedoch, dass Klimaverän­derungen in der Vergangenh­eit selten so unmittelba­re und eindeutige gesellscha­ftliche Folgen hatten. Alles ist viel komplexer. Was sich beobachten lässt:Oftbrechen,wenndiekli­matischen Bedingunge­n schwierige­r werden, komplexe staatliche Gebilde zusammen, und Gemeinscha­ften, die weniger anspruchsv­oll sind, profitiere­n.

Aufsteiger Slawen

So geschehen zu Beginn der spätantike­n Kleinen Eiszeit im 6. Jahrhunder­t n. Chr.: „Die damalige Supermacht im Mittelmeer­raum geriet in eine Krise – auf Missernten folgten Pest-Epidemien. Das Oströmisch­eReichwarn­ichtmehr in der Lage, die Donaugrenz­e zu verteidige­n. Das nutzten slawische Gruppen. Einfach organisier­t, brachten sie eine neue Landwirtsc­haft mit, die es ihnen erlaubte, Böden zu bearbeiten, die weniger ertragreic­h waren.“Ihre Gesellscha­ft war weit weniger auf eine hocheffizi­ente elaboriert­e Landwirtsc­haft angewiesen, wie sie auf den römischen Latifundie­n mit den Monokultur­en betrieben wurde. Keine große Verwaltung und Armee, die mitversorg­t werden musste. Die Römer konnten in einer Zeit des Klimawande­ls nicht schnell genug auf die schlechter werdenden Bedingunge­n reagieren.

Letztlich komme es immer darauf an, wie Klimawande­l, Missernten und Krankheite­n von der Gesellscha­ft verarbeite­t werden. Der entscheide­nde Punkt, so Historiker Preiser-Kapeller: „Gelingt es der Gemeinscha­ft, den Zusammenha­lt zu stärken?“

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria