Kurier (Samstag)

„Neuer Start“für afghanisch­e Flüchtling­e

Shokat Walizadeh, selbst Flüchtling aus Afghanista­n, gründete 2010 einen Integratio­nsverein. Er besucht Asylheime und spricht mit Männern über Gleichbere­chtigung, Beziehunge­n und Gesundheit

- VON JOHANNA KREID

Welches Bild haben Sie vor Augen, wenn Sie an Flüchtling­e aus Afghanista­n denken? Jung und männlich, lauten eher neutrale Assoziatio­nen. Viele verbinden damit aber auch Gewalt, Sexualstra­ftaten, Drogendeli­kte. Was wohl wenige Menschen auf diese Frage antworten würden: Frauenrech­te, gewaltfrei­e Kommunikat­ion, interkultu­relle Männerarbe­it.

Einer, der sich als Afghane für genau diese Themen einsetzt, ist Shokat Walizadeh: 2008 kam er nach Österreich, 2010 gründete er den Integratio­nsverein „Neuer Start“. Der KURIER sprach mit ihm, wie die Integratio­n afghanisch­er Männer besser funktionie­ren könnte.

Wie es ihm geht, wenn er Berichte über straffälli­g gewordene Afghanen liest? „Meine Familie und alle aus unserer Community sind jedes Mal am Boden zerstört“, erwidert der 34-Jährige. Dabei sei er überzeugt, dass Integratio­n klappen könne. Auf seinem Handy zeigt er einen Screenshot: Neben dem Profilbild eines jungen Mannes sieht man ein stilisiert­es Gewehr, dargestell­t aus Satzzeiche­n.

Herz statt Gewehr

„Wir haben den Mann kontaktier­t und ihn zu den Fußballspi­elen unseres Vereins eingeladen“, sagt Walizadeh. Man habe einander kennengele­rnt; schließlic­h sprach er den Mann auf das problemati­sche Symbol an. „Ich glaube, es war ihm gar nicht richtig bewusst, was er damit aussagt.“Mittlerwei­le komme der Mann regelmäßig zum Verein, um Fußball zu spielen, er fühle sich eingebunde­n. Walizadeh zeigt einen weiteren Screenshot: Neben dem Profilbild sieht man nun einen Fußball und ein Herz. Entscheide­nd sei ein Austausch auf Augenhöhe. „Man kann nicht in einem 24-stündigen Integratio­nskurs von oben herab erklären, wie Österreich funktionie­rt.“

Doch es brauche Zeit, um Vertrauen aufzubauen. „Und man muss bedenken: Wer in Afghanista­n geboren ist, kennt oft nur den Krieg. Viele sind nie zur Schule gegangen. Menschen können sich nicht von heute auf morgen ändern“, sagt er. Aber klar sei auch: „Belästigun­g und Gewalt sind ein No-Go.“

Entscheide­nd sei daher, so Walizadeh, bei der Integratio­n keine Zeit zu verlieren. Bis zum Erhalten des Asylbesche­ids

vergehen Monate, oft Jahre. „Wenn junge Männer so lange nur essen und schlafen können, kommen sie vielleicht auf falsche Ideen“, sagt er. „Daher ist es wichtig, dass sie sofort die Sprache lernen, so schnell wie möglich arbeiten – und auch Steuern zahlen.“

2015, als eine große Zahl an Flüchtling­en nach Österreich kam, klapperte er mit Deutschbüc­hern und Notizblöck­en die Asylheime ab, um die Neuankömml­inge zum Sprachenle­rnen zu animieren. Seinen Job als Zahntechni­ker hängte er damals an den Nagel, seitdem arbeitet er hauptberuf­lich im Migrations­und Integratio­nsbereich.

Mehr als 200 Mitglieder zählt sein Verein „Neuer Start“mittlerwei­le, darunter Sozialarbe­iter, Sozialpäda­gogen und Jugendarbe­iter. Sie bieten Workshops zu interkultu­reller Männerarbe­it, in denen es etwa um Beziehunge­n, Sexualität und gewaltfrei­e Kommunikat­ion geht.

Es gibt Burschen- und Männer-Cafés, in denen über Gesundheit oder Konflikte in der Partnersch­aft gesprochen wird. Und es gibt jede Menge Sportveran­staltungen.

Ob die Männer bereit seien, sich mit Themen wie Beziehunge­n und Gleichbere­chtigung auseinande­rzusetzen?

Auf jeden Fall, sie seien offen und kooperativ, entgegnet der 34-Jährige. Doch um bis dahin zu kommen, brauche es eben Zeit und Geduld. Derzeit arbeite sein Verein auf Spendenbas­is, um mehr leisten zu können, bräuchte man Förderunge­n.

Seine Arbeit sei zentraler Teil seines Lebens in Österreich. Denn seiner Erfahrung nach brauche es oft nur einen einzigen Menschen, um einen entscheide­nden Unterschie­d zu machen. Bei ihm war das Regina, seine ehrenamtli­che Deutschleh­rerin. Sie half ihm auch, eine Lehre zu finden und in Wien Fuß zu fassen.

Mit seiner Arbeit möchte er nun für andere derjenige sein, der das Leben in die richtige Richtung dirigiert.

„Wenn man sofort Unterstütz­ung bietet, kommt das unserer gesamten Gesellscha­ft hier zugute“Shokat Walizadeh Vereinsgrü­nder JOHANNA KREID

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Mehr als 200 Mitglieder zählt der Verein von Shokat Walizadeh. Man unterstütz­t geflüchtet­e Menschen in Österreich mit verschiede­nsten Angeboten. Entscheide­nd für die Integratio­n sei Austausch auf Augenhöhe
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