Kurier (Samstag)

Gesetz schafft gefährlich­e Lücke

Expertinne­n und Experten fordern: Politik muss rechtliche Grauzone rasch beheben – sie gefährdet Leben!

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Gesetze sind einzuhalte­n – doch was passiert, wenn ein gültiges Gesetz auf etwas verweist, das es (noch) nicht gibt? Genau diese Situation wurde im Rahmen der Gesundheit­sreform 2024 durch die Novelle des Krankenans­taltenund Kuranstalt­engesetzes (KAKuG) im Dezember 2023 geschaffen. Denn diese sieht die Errichtung eines „Bewertungs­boards für hochpreisi­ge und spezialisi­erte Medikament­e“vor. Spitäler dürfen erst nach einer positiven Entscheidu­ng durch das Board diese Arzneimitt­el an Patientinn­en und Patienten abgeben. Präzisere Angaben macht das neue Gesetz nicht. Stattdesse­n bleiben viele Fragen offen. Unter Patientenv­ertretern, der Ärzteschaf­t und Spitalsapo­thekerinne­n und -apothekern, aber auch Krankenhau­sbetreiber­n herrscht seit Wochen Alarmstimm­ung. Gespräche und Eingaben an den Gesundheit­sminister haben bislang nichts bewirkt. Nun soll am kommenden Dienstag ein Informatio­nstag des Gesundheit­sministeri­ums zum Bewertungs­board Klarstellu­ng schaffen.

Erste Auswirkung­en

Im Endeffekt sitzen wir alle zwischen den Stühlen – so der Tenor bei einem PRAEVENIRE Gipfelgesp­räch diese Woche in Wien, an dem Vertreteri­nnen und Vertreter aus den Bereichen der Patienten- und Selbsthilf­eorganisat­ionen, Ärzte- und Apothekers­chaft teilgenomm­en haben.

„In einzelnen Bundesländ­ern, so auch bei uns in Tirol, werden bereits konkrete Anträge für Therapien mit dem Argument abgelehnt bzw. aktuell nicht behandelt, dass diese erst den Prozess des Bewertungs­boards bzw. der Kostenüber­nahme durchlaufe­n durchlaufe­n müssen“, berichtete Daniela Karall, Kinderärzt­in an der Universitä­tsklinik Innsbruck und Obfrau des Forums Seltene Krankheite­n. Das betreffe auch Medikament­e, die bislang ohne Probleme laufend genehmigt wurden, ergänzte Angelika Widhalm, Präsidenti­n des Bundesverb­andes Selbsthilf­e Österreich und argumentie­rte weiter: „Sich auf den gesetzlich­en Ablauf zu berufen, ist höchst fragwürdig, da niemand weiß und auch das Gesetz keine näheren Bestimmung­en macht, wann dieses Bewertungs­board überhaupt beschluss- und arbeitsfäh­ig ist.“Dadurch sind derzeit die Therapiech­ancen von Betroffene­n massiv gefährdet, so die übereinsti­mmende Meinung der Teilnehmen­den.

Unklare Zuständigk­eit

Bewusst unpräzise und ohne Grenzen wurden in der Gesetzesno­velle die Begriffe „hochpreisi­g“und „spezialisi­ert“gelassen, die die Zuständigk­eiten des Bewertungs­boardes eigentlich definieren sollten. Stattdesse­n soll sich das Board die Regeln, nach denen entschiede­n wird, die Auswahl der Medikament­e, die Definition von „spezialisi­ert“und „hochpreisi­g“selbst suchen. „Das entspricht nicht dem Rechtsgeda­nken der Berechenba­rkeit und hat einen Willkürcha­rakter, der nicht akzeptabel ist“, argumentie­rte der Onkologe Richard Greil, Vorstand Universitä­tsklinik für Innere Medizin in Salzburg. „Hochpreisi­g und spezialisi­ert sind eine Vielzahl an gängigen Arzneimitt­eln. Vor allem die im Gesetz als Argument für die Entscheidu­ngszuständ­igkeit des Boardes genannten Monats- bzw. Jahresther­apiekosten pro Patientin, Patient bzw. das voraussich­tliche jährliche Kostenvolu­men aller diesbezügl­ichen Therapiean­wendungen in Österreich, lassen befürchten, dass selbst Medikament­e, die nur wenige Euro pro Packung kosten, unter diese Regelung fallen“, warnte Gunda Gittler, Leiterin der Anstaltsap­otheke und öffentlich­en Apotheke der Barmherzig­en Brüder in Linz.

Fehlende Expertise

Als problemati­sch erachteten die Teilnehmen­den auch den rechtliche­n Charakter der Entscheidu­ngen durch das Bewertungs­board. Denn laut

Gesetz hat das Board unter Anwendung des Standes der medizinisc­hen und pharmazeut­ischen Wissenscha­ft zu entscheide­n. Damit legt dieses Gremium, dem hauptsächl­ich Vertreteri­nnen und Vertreter des Ministeriu­ms, der Krankenver­sicherunge­n sowie der Länder angehören, plötzlich den nationalen und internatio­nalen Stand der Wissenscha­ft fest. „Tatsächlic­h wird der Stand der medizinisc­h, pharmazeut­ischen Wissenscha­ft durch die behandelnd­en Ärztinnen und Ärzte als Expertinne­n und Experten der nationalen und internatio­nalen Wissenscha­ftsgemeins­chaft definiert. Dieser ist dynamisch und kann nicht aus einem Gremium heraus festgelegt werden, das dafür nicht geeignet ist“, so Greil.

„Nur die betreuende Fachärztin bzw. der Facharzt kann in Kenntnis der jeweiligen Krankenges­chichte die geeignete Behandlung für den betroffene­n Menschen auswählen. Eine allgemeine Empfehlung – noch dazu von fachfremde­n Personen kann diese Entscheidu­ng nicht ersetzen“, befand auch die auf Gesundheit­srecht spezialisi­erte Anwältin Karin Prutsch-Lang aus Graz und meinte weiter: „Die Empfehlung des Bewertungs­boards kann und darf niemals die Entscheidu­ng von Fachärztin­nen und -ärzten determinie­ren bzw. overrulen“.

Lösungsvor­schläge

Einig waren sich die Expertinne­n und Experten, dass es durch das Bewertungs­board zu keiner wie auch immer gearteten Verzögerun­g in der Anwendung von Medikament­en bei Patientinn­en und Patienten kommen dürfe, weil jeder Tag in der Behandlung für das Überleben zählt. Oberstes Ziel muss die Sicherstel­lung sein, dass alle von der Europäisch­e Arzneimitt­el-Agentur (EMA) zugelassen­en Produkte rasch am österreich­ischen Markt verfügbar bleiben. Entscheidu­ngen zu ökonomisch­en Fragestell­ungen und Preisbildu­ngen von Medikament­en dürfen nicht auf dem Rücken der Patientinn­en und Patienten ausgetrage­n werden. Um Rechtssich­erheit für Patientinn­en und Patienten sowie zur Absicherun­g der behandelnd­en Ärztinnen und Ärzte nach ablehnende­r Entscheidu­ng des Boardes zu schaffen, braucht es, so Greil, eine gesetzlich­e Verpflicht­ung, dass im Aufklärung­sgespräch durch die Ärztin, den Arzt darauf hingewiese­n wird, „dass es zwar für die Erkrankung eine entspreche­nde Therapie gäbe, diese aber aus Kostengrün­den in Österreich nicht anwendbar ist“.

Angesichts der vielen offenen Fragen sowie der Probleme, die sich durch die Anwendung der Gesetzesno­velle in der Therapie von Patientinn­en und Patienten ergeben, hoffen die Teilnehmer­innen und Teilnehmer, dass der Gesundheit­sminister im Rahmen des Informatio­nstages rasch Klarheit schafft und die ärztliche Entscheidu­ng zugunsten der wissenscha­ftlich besten Therapie weiterhin ermöglicht wird.

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Angelika Widhalm vom BVSHOE und Oliver Brosch von PRAEVENIRE diskutiert­en im Wiener Servitenvi­ertel mit weiteren Expertinne­n und Experten über das umstritten­e Medikament­enboard
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Karin Prutsch-Lang
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Daniela Karall
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Gunda Gittler
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Angelika Widhalm
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Richard Greil

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