„Die Spieler sind mir ziemlich wurscht“
Fußball. Der WSG-Langzeitcoach Thomas Silberberger spricht offen über den Druck im Abstiegskampf und erklärt, warum er in der Kabine einmal im Jahr für ein paar Wochen wie ein Diktator regiert
Wenn jemand weiß, wie der Abstiegskampf funktioniert, dann ist es Thomas Silberberger. Der Langzeitcoach von WSG Tirol bestreitet gerade seine vierte Qualifikationsrunde und trifft heute auf BW Linz. Dass er mit Saisonende in Wattens einen Schlussstrich zieht, hat auch mit dem Ligamodus und der Punkteteilung zu tun. „Der Ligamodus hat mich gekillt“, sagt Thomas Silberberger.
KURIER: Was macht der Abstiegskampf mit Ihnen als Trainer und als Mensch?
Thomas Silberberger: Mein Rücktritt ist die Conclusio aus den intensiven Jahren im Abstiegskampf. Ich habe letztes Jahr gemerkt: Ich will das gar nicht mehr, das ist ja null Lebensqualität. Du hast zehn Wochen eine Drucksituation und musst schauen, dass du irgendwie einen Ausgleich bekommst. Sonst wirst du irgendwann narrisch.
Gelingt Ihnen das?
Ich sag’s offen: Ich habe mir externe Hilfe geholt. Ohne dem wäre es nicht gegangen. Seither habe ich eine andere Sicht der Dinge und kann auch besser abschalten. Ich bin in diesen Wochen extrem viel allein im Wald unterwegs und schotte mich ganz bewusst ab. Da habe ich die Kopfhörer auf und bin froh, wenn ich niemanden sehe.
Und dann denken Sie nicht an den Fußball und den Abstiegskampf?
Das funktioniert nicht, du denkst ja permanent über das nächste Spiel und die Mannschaft nach. Ich führe dann so eine Art Selbstgespräch, das Thema ist immer präsent. Es ist jetzt aber zum Glück nicht so, dass ich nicht schlafen könnte. Und gewisse Dinge lassen einen sowieso erden.
Sie sprechen von Ihrem Motorradunfall 2020, bei dem Sie beinahe Ihr Bein verloren hätten?
Das war mit Abstand die schlimmste Zeit. Seit damals denke ich anders. Ich war heuer vor dem
Qualirunden-Auftakt gegen den WAC wenige Stunden vor dem Anpfiff im Krankenhaus in Hochzirl, wo ein Freund von mir nach einem schweren Schlaganfall liegt. Das relativiert alles. Der kämpft darum, dass er irgendwie ins Leben zurückkommt, und ich
mich darüber ärgern, ob wir den WAC besiegen oder nicht.
Hilft Ihnen der Erfahrungsschatz von mittlerweile vier Qualirunden?
Das höchste Gut eines Trainers ist die Routine. Die Mannschaft merkt sofort, ob du ein Trainer bist, der herumflippt oder ob du cool und gelassen auftrittst und weißt, wovon du redest und was die Spieler brauchen. Meine Mannschaft braucht zum Beispiel jedes Jahr einmal einen komplett diktatorischen Ansatz.
Einen diktatorischen Ansatz?
Sie lechzen direkt danach und kriegen es von mir auch radikal serviert. Da haben wir dann drei Wochen im Stile von Putin. Wenn du nicht mitziehst, dann raus. Nach drei Wochen weiche ich das wieder auf, und dann funktionieren wir wieder. Das kannst du aber nur einmal in der Saison machen, weil solche Ansätze nur kurzzeitig funktionieren. Ich bin damit gut gefahren.
Wie sehr hat der neue Modus die Situation im Abstiegskampf verändert?
Dieser Modus ist definitiv ein Brandbeschleuniger für
Trainerwechsel. Die Lebenszeit für einen Trainer ist dadurch noch kürzer geworden. Allein an der Art des Fußballs, der in der Qualigruppe gespielt wird, erkennt man, wie groß der Druck ist. Alles ist darauf ausgerichtet, das Spiel zu zerstören. Nicht umsonst hat’s bis auf unseren Sieg in Lustenau nur Unentschieden gegeben.
Welchen Druck verspüren Sie persönlich? Und ist es ein Vorteil, dass Sie im Sommer den Verein verlassen?
Ich empfinde es in gewisser Weise als Befreiung, dass das Ende in Sicht ist. Zugleich spüre ich eine große Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern des Vereins. Als ich begonnen habe, war ich der einzige Hauptberufliche, inzwischen hängen da viele Vollzeitmitarbeiter dran. Wir haben einen sozialen Auftrag. Wenn wir die Liga verlassen, dann sind diese Jobs alle weg. Diese Mitarbeiter liegen mir am Herzen. Die Spieler sind mir ziemlich wurscht.
Wie meinen Sie das?
Der Spieler ruft nach dem Abstieg seinen Manager an und zieht ein Haus weiter. Den Spielern ist es scheißegal, was mit dem Verein passiert. Mir ist klar, dass es mir nie mehr so ergehen wird wie jetzt bei der WSG. Weil ich bei keinem Verein mehr elf Jahre Trainer sein werde. Wenn ich morgen, nur als Beispiel, bei Altach einen Zweijahresvertrag unterschreibe, sage ich mir: ,Ob ich das Ende der zwei Jahre erlebe, oder nicht, ist mir völlig egal.‘ Dieser Verein ist dann mein Dienstgeber, der andere Verein, die WSG, ist in meinem Herzen drinnen.