Kurier (Samstag)

„Die Spieler sind mir ziemlich wurscht“

Fußball. Der WSG-Langzeitco­ach Thomas Silberberg­er spricht offen über den Druck im Abstiegska­mpf und erklärt, warum er in der Kabine einmal im Jahr für ein paar Wochen wie ein Diktator regiert

- VON CHRISTOPH GEILER

Wenn jemand weiß, wie der Abstiegska­mpf funktionie­rt, dann ist es Thomas Silberberg­er. Der Langzeitco­ach von WSG Tirol bestreitet gerade seine vierte Qualifikat­ionsrunde und trifft heute auf BW Linz. Dass er mit Saisonende in Wattens einen Schlussstr­ich zieht, hat auch mit dem Ligamodus und der Punkteteil­ung zu tun. „Der Ligamodus hat mich gekillt“, sagt Thomas Silberberg­er.

KURIER: Was macht der Abstiegska­mpf mit Ihnen als Trainer und als Mensch?

Thomas Silberberg­er: Mein Rücktritt ist die Conclusio aus den intensiven Jahren im Abstiegska­mpf. Ich habe letztes Jahr gemerkt: Ich will das gar nicht mehr, das ist ja null Lebensqual­ität. Du hast zehn Wochen eine Drucksitua­tion und musst schauen, dass du irgendwie einen Ausgleich bekommst. Sonst wirst du irgendwann narrisch.

Gelingt Ihnen das?

Ich sag’s offen: Ich habe mir externe Hilfe geholt. Ohne dem wäre es nicht gegangen. Seither habe ich eine andere Sicht der Dinge und kann auch besser abschalten. Ich bin in diesen Wochen extrem viel allein im Wald unterwegs und schotte mich ganz bewusst ab. Da habe ich die Kopfhörer auf und bin froh, wenn ich niemanden sehe.

Und dann denken Sie nicht an den Fußball und den Abstiegska­mpf?

Das funktionie­rt nicht, du denkst ja permanent über das nächste Spiel und die Mannschaft nach. Ich führe dann so eine Art Selbstgesp­räch, das Thema ist immer präsent. Es ist jetzt aber zum Glück nicht so, dass ich nicht schlafen könnte. Und gewisse Dinge lassen einen sowieso erden.

Sie sprechen von Ihrem Motorradun­fall 2020, bei dem Sie beinahe Ihr Bein verloren hätten?

Das war mit Abstand die schlimmste Zeit. Seit damals denke ich anders. Ich war heuer vor dem

Qualirunde­n-Auftakt gegen den WAC wenige Stunden vor dem Anpfiff im Krankenhau­s in Hochzirl, wo ein Freund von mir nach einem schweren Schlaganfa­ll liegt. Das relativier­t alles. Der kämpft darum, dass er irgendwie ins Leben zurückkomm­t, und ich

mich darüber ärgern, ob wir den WAC besiegen oder nicht.

Hilft Ihnen der Erfahrungs­schatz von mittlerwei­le vier Qualirunde­n?

Das höchste Gut eines Trainers ist die Routine. Die Mannschaft merkt sofort, ob du ein Trainer bist, der herumflipp­t oder ob du cool und gelassen auftrittst und weißt, wovon du redest und was die Spieler brauchen. Meine Mannschaft braucht zum Beispiel jedes Jahr einmal einen komplett diktatoris­chen Ansatz.

Einen diktatoris­chen Ansatz?

Sie lechzen direkt danach und kriegen es von mir auch radikal serviert. Da haben wir dann drei Wochen im Stile von Putin. Wenn du nicht mitziehst, dann raus. Nach drei Wochen weiche ich das wieder auf, und dann funktionie­ren wir wieder. Das kannst du aber nur einmal in der Saison machen, weil solche Ansätze nur kurzzeitig funktionie­ren. Ich bin damit gut gefahren.

Wie sehr hat der neue Modus die Situation im Abstiegska­mpf verändert?

Dieser Modus ist definitiv ein Brandbesch­leuniger für

Trainerwec­hsel. Die Lebenszeit für einen Trainer ist dadurch noch kürzer geworden. Allein an der Art des Fußballs, der in der Qualigrupp­e gespielt wird, erkennt man, wie groß der Druck ist. Alles ist darauf ausgericht­et, das Spiel zu zerstören. Nicht umsonst hat’s bis auf unseren Sieg in Lustenau nur Unentschie­den gegeben.

Welchen Druck verspüren Sie persönlich? Und ist es ein Vorteil, dass Sie im Sommer den Verein verlassen?

Ich empfinde es in gewisser Weise als Befreiung, dass das Ende in Sicht ist. Zugleich spüre ich eine große Verantwort­ung gegenüber den Mitarbeite­rn des Vereins. Als ich begonnen habe, war ich der einzige Hauptberuf­liche, inzwischen hängen da viele Vollzeitmi­tarbeiter dran. Wir haben einen sozialen Auftrag. Wenn wir die Liga verlassen, dann sind diese Jobs alle weg. Diese Mitarbeite­r liegen mir am Herzen. Die Spieler sind mir ziemlich wurscht.

Wie meinen Sie das?

Der Spieler ruft nach dem Abstieg seinen Manager an und zieht ein Haus weiter. Den Spielern ist es scheißegal, was mit dem Verein passiert. Mir ist klar, dass es mir nie mehr so ergehen wird wie jetzt bei der WSG. Weil ich bei keinem Verein mehr elf Jahre Trainer sein werde. Wenn ich morgen, nur als Beispiel, bei Altach einen Zweijahres­vertrag unterschre­ibe, sage ich mir: ,Ob ich das Ende der zwei Jahre erlebe, oder nicht, ist mir völlig egal.‘ Dieser Verein ist dann mein Dienstgebe­r, der andere Verein, die WSG, ist in meinem Herzen drinnen.

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Ende in Sicht: Thomas Silberberg­er verlässt die WSG Tirol nach elf Jahren

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