Kurier (Samstag)

„80 Prozent der Forschung führen zu nichts“

Im Labor durch Mikroskope schauen, auf internatio­nalen Tagungen Experiment­e zeigen – und damit Leben retten? Krebsforsc­herin Maria Sibilia berichtet von ihrem Traumjob

- VON ROXANNA SCHMIT

Eine Karriere in der Wissenscha­ft ist eigentlich so, wie man sie sich vorstellt: Man liest viel, schreibt viel, schaut im Labor in Mikroskope und diskutiert Ergebnisse. Die Forschung hat sehr viele Seiten, manche spannender als andere, wie die renommiert­e und vielfach ausgezeich­nete Krebsforsc­herin Maria Sibilia weiß. Trotzdem würde sie sich wieder für denselben Karrierewe­g entscheide­n. Im KURIER-Gespräch erklärt Sibilia, was sie als Leiterin des

Zentrums für Krebsforsc­hung der MedUni Wien macht und warum Work-Life-Balance nicht immer mit Spitzenfor­schung vereinbar ist.

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KURIER: Was hat Sie ausgerechn­et in die Krebsforsc­hung gezogen?

Maria Sibilia: Ich wollte immer schon Medizin studieren, aber wollte Krankheite­n nicht nur behandeln, sondern auch verstehen. Ich habe mich damals für die Krebsforsc­hung entschiede­n, weil mein Opa an Lungenkreb­s erkrankt ist. Seitdem erforsche ich die molekulare­n Grundlagen, wie es überhaupt zu Krebs kommt und wie Tumorzelle­n mit dem Immunsyste­m interagier­en.

Was genau macht man als Forscherin?

Man hat innovative Ideen, stellt Hypothesen auf und versucht, sie mit Experiment­en zu belegen oder zu widerlegen. Wenn man einen Schritt weiter kommt, ist das ein großartige­s Gefühl, das kann aber Jahre dauern.

Inwiefern?

Als ich noch jung war, hat man mir gesagt, dass man eine erfolgreic­he Wissenscha­fterin wird, wenn 20 Prozent der Experiment­e funktionie­ren. Man muss immer wieder neue Wege versuchen. 80 Prozent der Dinge, die man zu erforschen versucht, führen zu nichts.

Wie geht man mit so vielen Enttäuschu­ngen um?

Aus Fehlern lernt man. Man muss eine positive Grundeinst­ellung haben. Wenn etwas nicht gelingt und man ewig getrübt bleibt, ist man im falschen Beruf. Man braucht Resilienz und muss mit Kritik und Feedback umgehen können, sie positiv umsetzen. Wenn meine Forschungs­projekte abgelehnt werden, lege ich sie erst mal in die Schublade und befasse mich später damit. Sich zu sehr ärgern hat keinen Sinn.

Worauf arbeitet man als Krebsforsc­herin hin – abgesehen von Heilungsme­thoden?

Langfristi­g wollen wir Krebs natürlich zu einer chronische­n Erkrankung machen. Um in Ruhe forschen zu können, muss man aber genügend Forschungs­gelder haben und entspreche­nd Förderunge­n bekommen.

Manche Förderunge­n haben ein Volumen von 2,2 Millionen Euro: Ist das viel für ein Wissenscha­ftsprojekt?

Man braucht Förderunge­n, um Projekte durchzufüh­ren. 70 bis 80 Prozent des Geldes wird für Personal verwendet, der Rest für Sachmittel, die man für die Forschung braucht. Mit Förderunge­n können wir Forscher und Forscherin­nen der Zukunft ausbilden. Diese Doktorande­n leisten eine sehr wertvolle Arbeit.

Oft werden Wissenscha­fter in den Medien als Einzelkämp­fer dargestell­t, die allein in einer Kammer sitzen und forschen: Wie realistisc­h ist dieses Bild?

Das gewisse Eigenbrötl­erische gibt es sehr wohl. Aber in den vergangene­n 15 Jahren ist die Forschung interdiszi­plinärer geworden. Das Zusammensp­iel wird immer wichtiger. Man arbeitet mit Klinikern zusammen, mit Analysten und Big Data. Die Forschung ist eine Teamarbeit geworden.

Mit Konkurrenz­kämpfen?

Die gibt es natürlich, aber Konkurrenz ist etwas Gesundes. Man ist dadurch angespornt, besser zu sein. Man braucht starke Mitspieler, um sich gegenseiti­g mit guten Ideen zu fordern und zu fördern.

Was braucht man noch?

Eine große Dosis an Neugierde, Glück und die Bereitscha­ft, viele Stunden zu arbeiten. Ich sage meinen Studenten immer: Wissenscha­ft ist eine Leidenscha­ft. Es ist kein Job wie jeder andere. Wenn man ein großes Talent hat, aber nicht jeden Tag trainiert, dann wird man es nicht an die Weltspitze schaffen.

Also keine Work-Life-Balance.

Es ist schon möglich, aber man kann dann vielleicht nicht hochverant­wortungsvo­lle Jobs übernehmen. Um vorne dabei zu sein, muss man viel Zeit investiere­n, so wie beim Spitzenspo­rt.

Wie sieht ihr Arbeitsall­tag als Managerin aus?

Manchmal kann mein Arbeitsall­tag langweilig sein, da ich auch viel Papierkram bearbeite. Die Forschung selbst ist aber unglaublic­h spannend. Ich forsche seit über 20 Jahren am gleichen Thema, nämlich an der Rolle eines Wachstumsf­aktorrezep­tor, dem EGFR, in der Krebsentst­ehung. Man findet in der Forschung immer Neues und die Wissenscha­ft entwickelt sich ständig weiter. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich mich wieder für diese Karriere entscheide­n.

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Umgeben von Forschungs­beiträgen, Magazinen und Urkunden: Das KURIERGesp­räch findet im Büro von Institutsl­eiterin Maria Sibilia statt

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