Musik in Kinderohren
Heilsame Klänge. In einer Musiktherapie können sich Kinder Gehör verschaffen und Gefühlen Ausdruck verleihen. Vielen bleibt sie wegen fehlender finanzieller Zuschüsse aber verwehrt
Neonatologen machten kürzlich in einem New Yorker Spital eine spannende Beobachtung: Spielte man Säuglingen Melodien von Mozart vor, schienen sie den Pieks einer Nadel zur Blutabnahme weniger schmerzhaft zu empfinden.
Eva Unterhofer überrascht das nicht. „Es muss gar nicht unbedingt Mozart sein – Musik hat per se eine Wirkung“, erklärt die Musiktherapeutin, die sich auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen spezialisiert hat. Bei Frühchen gehe es in erster Linie darum, „sie mit wohltuenden Klängen zu umhüllen, die das Brummen des Brutkastens abmildern und eine entspanntere Atmosphäre erschaffen“. Dass das Stresserleben der Kleinsten so erfolgreich gesenkt werden kann, demonstrieren Studien: Herz- und Atemfrequenz sinken, die Sauerstoffsättigung steigt. Positive Effekte gibt es auch auf das zu Beginn des Lebens so wichtige Saug- und Trinkverhalten.
Feuerwerk im Hirn
Die Mechanismen dahinter sind komplex, weiß Unterhofer. „Im Gehirn gibt es nicht ein Musikzentrum.“Erklingt Musik, werde vielmehr „eine Art Feuerwerk“in verschiedensten Arealen ausgelöst. Neben auditiven Bereichen sprechen sprachliche, motorische und sogar visuelle Zentren auf Töne an. „Und natürlich reagieren jene, die unsere Emotionen steuern. Was die Hormonausschüttung bedingt.“Davon profitieren nicht nur Frühgeborene: Musiktherapeutinnen und -therapeuten arbeiten in Entwicklungsambulatorien, RehaZentren, kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen, auf Kinderkrebsstationen und vereinzelt auch an Schulen. Die Therapieform nutzt Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen oder ADHS, aber auch jenen mit Störungen des Sozialverhaltens, anderen psychischen Leiden oder Behinderungen.
Die Nachfrage steigt auch im niedergelassenen Bereich, weiß Unterhofer: „In der freien Praxis gibt es inzwischen eine enorme Nachfrage. Die Kolleginnen und Kollegen sind fast überlaufen.“Musiktherapie ist ein gesetzlich anerkannter GesundDas heitsberuf, wie Physiotherapie oder Psychotherapie auch. Eine Bezuschussung durch die Krankenkasse gibt es nicht. Das erschwert die Versorgung. „Viele Familien würden gerne unsere Leistungen in Anspruch nehmen, können es finanziell aber nicht stemmen.“
Dialog über Töne
Wie kann man sich eine Musiktherapie konkret vorstellen? „Im Therapieraum stehen in der Regel viele Instrumente, die leicht spielbar sind.“Kleinere Kinder müsse man meist gar nicht auffordern, diese auszuprobieren, sagt Unterhofer: „Sie stürmen rein und packen sie voller Neugier an.“Die Prozesse, die in diesem Moment angestoßen werden, werden von den Therapeuten begleitet und durch Übungen gestützt. Kinder, egal ob Kleinkind oder Teenager, sollen sich als selbstwirksam erleben und Ausdrucksweisen für ihr Innenleben finden.
„Welches Potenzial Musik bietet, lässt sich besonders eindrücklich in der Arbeit mit Kindern beobachten, die nicht sprechen können“, schildert Unterhofer. „Wenn über Musik ein Dialog entsteht, ist das immer ein Gänsehaut-Moment.“In der Arbeit mit Jugendlichen sei Musik oft ein unverfänglicher Eisbrecher, „über den man ins Gespräch kommt“. Auch abseits der Krankenbehandlung hat Musik viele Vorteile: „Sie fördert die Sprachentwicklung und Konzentration, ist identitätsstiftend und stärkt die Bindung zu den Eltern.“Unterhofer ermutigt Mütter und Väter, gemeinsam mit ihrem Nachwuchs Musik zu erleben: „Am besten nicht viel darüber nachdenken, sondern einfach drauflossingen, -tanzen und -musizieren.“
Für die Zukunft wünscht sich Unterhofer, dass Musiktherapie mehr Familien zugänglich wird. „Denn sie ist ein wunderbares Werkzeug, um dem, was in uns passiert, Ausdruck zu verleihen.“