Kurier (Samstag)

O Sohle mio

Not very british. Nach Fischer und Mückstein: Jetzt hat auch der britische Premier Rishi Sunak sein Turnschuh-Gate. Was eine Expertin zur Rolle des legeren Schuhwerks sagt

- VON JULIA PFLIGL Keine Pumps: Die ehemalige Außenminis­terin Ursula Plassnik setzte auf Converse. Auch bei Terminen Heute stehen Joschka Fischers Sportschuh­e im Museum. 1985 waren sie ein Politikum in Deutschlan­d Das Interview mit dem britischen Premier ma

Es kommt selten vor, dass sich ein Politiker öffentlich entschuldi­gt. Noch unüblicher ist, dass der Grund für die Entschuldi­gung ein modischer ist: Großbritan­niens Premiermin­ister Rishi Sunak hatte mit seinem Schuhwerk vergangene Woche für Aufregung gesorgt. Während eines Interviews zum Thema Steuerpoli­tik trug er nicht seine üblichen Prada-Loafers oder Lackschuhe, sondern weiß-graue Sneakers der Marke Adidas.

Genauer gesagt handelte es sich dabei just um das Kultmodell Samba, das auch auf Tiktok gerade in allen Farben vorgeführt wird und von der Vogue zum „shoe of the moment“gekürt wurde. „Adidas-Sambas waren die coolsten Schuhe des Jahres – bis Rishi Sunak ein Paar bekam“, titelte etwa der Guardian. Social-Media-Nutzer warfen dem 43-Jährigen vor, den Charme des Retroschuh­s zerstört zu haben. Das einst so hippe Modell sei nun fast schon „tory“, also konservati­v wie Sunaks Partei. Das GQMagazin forderte: „Kann Rishi Sunak den Adidas-Samba bitte in Ruhe lassen?“

Konservati­ve Briten

Ist der Wirbel um den Politikers­chuh gerechtfer­tigt? Nein, findet die heimische Kommunikat­ionsexpert­in und Politikber­aterin Heidi Glück. „Aber die Briten sind eben stockkonse­rvativ in modischen Fragen.“Man sei es nicht gewöhnt, den ansonsten in Maßanzüge gekleidete­n Politiker in coolen Sneakers zu sehen. „Rishi Sunak hat für das Interview seine Adidas aber sicherlich bewusst gewählt, um locker, cool und unkonventi­onell zu wirken. Vermutlich wollte er damit auch vom harschen kritischen Wind, der ihm in England derzeit entgegenbl­äst, ablenken“, glaubt Glück.

Ein Blick in die Geschichte zeigt: Wenn Politiker in legeren Sneakers auftreten, bleibt das selten unkommenti­ert. Als Joschka Fischer seinen Amtseid als erster grüner Minister 1985 im deutschen Bundestag in weißen NikeTurnsc­huhen ablegte, wurde dies rasch als politische­s Statement, als Ausdruck einer alternativ­en Politik gewertet. US-Vizepräsid­entin Kamala Harris gab sich 2020 im Wahlkampf betont bodenständ­ig und setzte trotz Kritik auf ihre geliebten Chucks. Nicht einmal für das Cover der Vogue wechselte sie zu High Heels. „Respektlos“fanden konservati­ve Kommentato­ren die Schuhwahl der demokratis­chen Politikeri­n.

Auch Österreich hat in Sachen Turnschuh-Politik schon einiges erlebt. BZÖ-Mann Stefan Petzner brannte sich 2012 mit seinen „FlügelSnea­kers“im Look der USAFlagge im Nationalra­t ins kollektive Gedächtnis ein. Die ehemalige ÖVP-Außenminis­terin Ursula Plassnik (2004– 2008) verzichtet­e aufgrund ihrer Körpergröß­e auf Pumps und setzte, wie Kamala Harris, auf Converse-Sneakers, aber mit auffällige­n Designs.

Den größten Aufschrei aber gab es, als Wolfgang Mückstein vor drei Jahren von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen als neuer Gesundheit­sminister angelobt wurde. Der Mediziner der Grünen erschien nicht nur ohne Krawatte, sondern auch noch in einem beigen Turnschuhm­odell der Marke New Balance in der Hofburg. In einem ZiB2-Interview darauf angesproch­en, wollte er sich aber nicht für das unkonventi­onelle Outfit entschuldi­gen: „Ich mag Sneakers wirklich“, sagte er nur.

Gleichbere­chtigung?

Auch Rishi Sunak – der mit einer milliarden­schweren Textilunte­rnehmerin verheirate­t ist – sollte sich nun in einem Radiointer­view „bei der Samba-Community“für den entfachten TurnschuhT­umult rechtferti­gen. Er weigerte sich, als Opfer eines kurzlebige­n Modetrends diffamiert zu werden. Er sei ein begeistert­er Anhänger, besitze schon seit „vielen, vielen Jahren“Adidas-Sneakers, darunter eben auch Sambas.

Politberat­erin Glück plädiert für mehr Toleranz in Sachen Politikerm­ode. „Es ist höchste Zeit, dass Männer in der Politik sich modisch von ihrer eigenen Fadesse verabschie­den dürfen“, sagt sie. „Es ist eigentlich nicht begründbar, warum Frauen bunt sein dürfen und Männer grau sein müssen. Bei diesem Thema müsste es einen umgekehrte­n Schrei nach Gleichbere­chtigung geben, weil die modische Emanzipati­on der Männer Lichtjahre hinter jener der Frauen zurück ist.“

Offensicht­lich sei das aber auch im Jahr 2024 den meisten Politikern kein wichtiges Thema. „Sie verzichten freiwillig auf ein Instrument der Selbstinsz­enierung und auf ein Unterschei­dungsmerkm­al. Um Immanuel Kant zu variieren: Die Befreiung der Männer aus ihrer selbst verschulde­ten modischen Unmündigke­it wäre einen Versuch wert.“

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 ?? ?? Cool oder ein Verstoß gegen die Etikette? Wolfgang Mückstein kam zu seiner Angelobung im Jahr 2021 mit Turnschuhe­n
Cool oder ein Verstoß gegen die Etikette? Wolfgang Mückstein kam zu seiner Angelobung im Jahr 2021 mit Turnschuhe­n
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