O Sohle mio
Not very british. Nach Fischer und Mückstein: Jetzt hat auch der britische Premier Rishi Sunak sein Turnschuh-Gate. Was eine Expertin zur Rolle des legeren Schuhwerks sagt
Es kommt selten vor, dass sich ein Politiker öffentlich entschuldigt. Noch unüblicher ist, dass der Grund für die Entschuldigung ein modischer ist: Großbritanniens Premierminister Rishi Sunak hatte mit seinem Schuhwerk vergangene Woche für Aufregung gesorgt. Während eines Interviews zum Thema Steuerpolitik trug er nicht seine üblichen Prada-Loafers oder Lackschuhe, sondern weiß-graue Sneakers der Marke Adidas.
Genauer gesagt handelte es sich dabei just um das Kultmodell Samba, das auch auf Tiktok gerade in allen Farben vorgeführt wird und von der Vogue zum „shoe of the moment“gekürt wurde. „Adidas-Sambas waren die coolsten Schuhe des Jahres – bis Rishi Sunak ein Paar bekam“, titelte etwa der Guardian. Social-Media-Nutzer warfen dem 43-Jährigen vor, den Charme des Retroschuhs zerstört zu haben. Das einst so hippe Modell sei nun fast schon „tory“, also konservativ wie Sunaks Partei. Das GQMagazin forderte: „Kann Rishi Sunak den Adidas-Samba bitte in Ruhe lassen?“
Konservative Briten
Ist der Wirbel um den Politikerschuh gerechtfertigt? Nein, findet die heimische Kommunikationsexpertin und Politikberaterin Heidi Glück. „Aber die Briten sind eben stockkonservativ in modischen Fragen.“Man sei es nicht gewöhnt, den ansonsten in Maßanzüge gekleideten Politiker in coolen Sneakers zu sehen. „Rishi Sunak hat für das Interview seine Adidas aber sicherlich bewusst gewählt, um locker, cool und unkonventionell zu wirken. Vermutlich wollte er damit auch vom harschen kritischen Wind, der ihm in England derzeit entgegenbläst, ablenken“, glaubt Glück.
Ein Blick in die Geschichte zeigt: Wenn Politiker in legeren Sneakers auftreten, bleibt das selten unkommentiert. Als Joschka Fischer seinen Amtseid als erster grüner Minister 1985 im deutschen Bundestag in weißen NikeTurnschuhen ablegte, wurde dies rasch als politisches Statement, als Ausdruck einer alternativen Politik gewertet. US-Vizepräsidentin Kamala Harris gab sich 2020 im Wahlkampf betont bodenständig und setzte trotz Kritik auf ihre geliebten Chucks. Nicht einmal für das Cover der Vogue wechselte sie zu High Heels. „Respektlos“fanden konservative Kommentatoren die Schuhwahl der demokratischen Politikerin.
Auch Österreich hat in Sachen Turnschuh-Politik schon einiges erlebt. BZÖ-Mann Stefan Petzner brannte sich 2012 mit seinen „FlügelSneakers“im Look der USAFlagge im Nationalrat ins kollektive Gedächtnis ein. Die ehemalige ÖVP-Außenministerin Ursula Plassnik (2004– 2008) verzichtete aufgrund ihrer Körpergröße auf Pumps und setzte, wie Kamala Harris, auf Converse-Sneakers, aber mit auffälligen Designs.
Den größten Aufschrei aber gab es, als Wolfgang Mückstein vor drei Jahren von Bundespräsident Alexander Van der Bellen als neuer Gesundheitsminister angelobt wurde. Der Mediziner der Grünen erschien nicht nur ohne Krawatte, sondern auch noch in einem beigen Turnschuhmodell der Marke New Balance in der Hofburg. In einem ZiB2-Interview darauf angesprochen, wollte er sich aber nicht für das unkonventionelle Outfit entschuldigen: „Ich mag Sneakers wirklich“, sagte er nur.
Gleichberechtigung?
Auch Rishi Sunak – der mit einer milliardenschweren Textilunternehmerin verheiratet ist – sollte sich nun in einem Radiointerview „bei der Samba-Community“für den entfachten TurnschuhTumult rechtfertigen. Er weigerte sich, als Opfer eines kurzlebigen Modetrends diffamiert zu werden. Er sei ein begeisterter Anhänger, besitze schon seit „vielen, vielen Jahren“Adidas-Sneakers, darunter eben auch Sambas.
Politberaterin Glück plädiert für mehr Toleranz in Sachen Politikermode. „Es ist höchste Zeit, dass Männer in der Politik sich modisch von ihrer eigenen Fadesse verabschieden dürfen“, sagt sie. „Es ist eigentlich nicht begründbar, warum Frauen bunt sein dürfen und Männer grau sein müssen. Bei diesem Thema müsste es einen umgekehrten Schrei nach Gleichberechtigung geben, weil die modische Emanzipation der Männer Lichtjahre hinter jener der Frauen zurück ist.“
Offensichtlich sei das aber auch im Jahr 2024 den meisten Politikern kein wichtiges Thema. „Sie verzichten freiwillig auf ein Instrument der Selbstinszenierung und auf ein Unterscheidungsmerkmal. Um Immanuel Kant zu variieren: Die Befreiung der Männer aus ihrer selbst verschuldeten modischen Unmündigkeit wäre einen Versuch wert.“