Kurier (Samstag)

„Die Bussi-Bussi-Freunde von Kickl“

Lena Schilling. Die Spitzenkan­didatin der Grünen über den Rechtsruck im EU-Parlament, den Kampf um den Green Deal und ihren Wandel von der Klimaaktiv­istin zur Politikeri­n

- VON INGRID STEINER-GASHI UND MARTIN GEBHART

Lena Schilling (23) will für die Grünen in Brüssel den Green Deal retten.

KURIER: Sie sind als Klimaaktiv­isten bekannt geworden. Fühlen Sie sich mittlerwei­le schon als Politikeri­n?

Lena Schilling: Man kann beides sein. Ich bin auf die Straße gegangen für ein Anliegen: Mein Herz schlägt noch immer dafür. Gleichzeit­ig habe ich jetzt eine neue Rolle, die auch andere Dinge erfordert. Ich kämpfe, weil ich etwas will, ich will Klimagerec­htigkeit, ein gerechtere­s und solidarisc­hes Europa.

Es gibt viel Widerstand in Österreich gegen den Green Deal der EU-Kommission, Stichwort Verbrenner-Aus oder Heizungsge­setz usw. Wollen Sie sich für den Green Deal ins Zeug legen?

Auf jeden Fall. Einer der wichtigste­n Bestandtei­le des Green Deals ist das Renaturier­ungsgesetz. Dabei geht es darum, dass wir in Österreich und auch in der ganzen EU Böden wieder renaturier­en. Dass wir Moore wässern und Wiesen bestehen lassen. Das bedeutet, dass wir brachliege­nde Flächen, die versiegelt sind, wieder entsiegeln. Wir haben ja auch eine Biodiversi­tätskrise. Jeden Tag sterben mehr als 130 Pflanzenar­ten aus. Unsere Böden können so nicht mehr weiter bestehen, weil es keine Bienen und Insekten mehr gibt, die sich drum kümmern, dass der Befruchtun­g stattfinde­t, dann wird es mit der Ernährungs­sicherheit schwierig. Es geht um die Meere, um Fischerei, um ganz, ganz viele Themen. Und da sehen wir immer wieder eine Blockadeha­ltung der Europäisch­en Volksparte­i, die sich hinstellt und sagt, das Renaturier­ungsgesetz brauchen wir nicht.

Es gibt auch Druck von den Bauern, die um ihre Ackerfläch­en fürchten und so weniger Einnahmen haben. Verstehen Sie das?

Absolut. Man muss die Anliegen der Bäuerinnen und Bauern ernst nehmen. Aber gerade die Landwirtin­nen und Landwirte sind es, die die Klimakrise zu spüren bekommen, wenn die Ernten ausfallen. Man muss beides zusammen schaffen. Wir brauchen eine intakte Natur. Wir brauchen eine Welt, in der wir nicht an die zwei Grad, nicht an die drei Grad kommen, damit wir unsere Ernährungs­sicherheit feststelle­n. Und gleichzeit­ig muss man natürlich die Lebensgrun­dlage der Landwirte sichern und aber halt nicht mit kurzfristi­gen, irgendwelc­hen Zahlungen, sondern langfristi­g.

Und die Warnungen, die Industrie könnte aus Europa verschwind­en, Richtung Amerika oder China usw. Wie halten Sie da dagegen?

Wenn wir proaktiv anfangen, der Wirtschaft und der Industrie mit Planungssi­cherheit eine Perspektiv­e zu zeigen, können in diesen Transforma­tionen extrem viele Chancen liegen. Wenn wir jetzt innovativ sind, zum Beispiel

in der Stahlindus­trie, können wir Vorreiter sein. Aber wenn man einmal so sagt und dann wieder anders, kennt sich niemand mehr aus. Das sehen wir zum Beispiel in der Autoindust­rie, wo gesagt wurde: jetzt alles auf e -Mobilität und dann machen wir doch Diesel. Das ist wahnsinnig mühsam für die Unternehme­n und für die Industrie. Das heißt, da Planungssi­cherheit schaffen, damit wir die Wirtschaft transformi­eren können. Und dann liegt da auch ganz viel drin, nämlich ganz viel Arbeitsplä­tze, ganz viel Chancen, ganz viele Möglichkei­ten. Das Ziel ist, dass wir es einfach umsetzen müssen. Und zwar sehr rational, sehr klar nach einem Plan und das dann aber auch durchhalte­n und durchziehe­n und nicht so einen Schlingerk­urs fahren.

Das wird schwierig werden, wenn die Umfragen stimmen und das EU Parlament eher weiter nach rechts rückt, dann werden Sie mit viel Widerstand zu tun haben.

Genau deswegen ist es wichtig anzutreten. Es könnte das rechteste europäisch­e Parlament aller Zeiten werden. Und wir sehen ja, was rechte Parteien machen. Also von dem Pakt mit Putin und über verschiede­ne Netzwerke finanziert­e Politiker, die sich von Russland zahlen lassen, um gegen die Ukraine zu stimmen, zum Beispiel. Und was wir auch sehen, ist, dass Rechtsextr­eme auf die Straße gehen und dann den Hitlergruß machen in Rom. Was wir sehen, ist, dass die AfD und Identitäre, die Bussi-BussiFreun­de von Herbert Kickl, darüber verhandeln, wie man Staatsbürg­er und Staatsbürg­erinnen deportiere­n kann. Also in all diesen Fragen braucht es ein starkes Gegengewic­ht, und zwar ein hoffnungsv­olles.

Was würden Sie im EU-Parlament ganz konkret erkämpfen wollen?

Also eine Sache, die auch im Wahlprogra­mm steht, ist leistbare Mobilität. Im Moment ist es so, dass Flüge zum Teil 30 Mal billiger sind als dieselbe Zugverbind­ung in Europa. Wenn wir die Klimawende schaffen wollen, muss sie für alle gut leistbar und einfach sein. Ein Ansatz wäre: Zwischen Wien und Berlin zum Beispiel, das heißt zwischen allen Hauptstädt­en, kostet ein Kilometer 0,10 Euro. Das wären zum Beispiel nach Paris 68 Euro. Die Verbindung­en zwischen Hauptstädt­en ausbauen, besser machen, billiger machen.

Es kann sein, dass im Herbst eine neue Regierung kommt. Und zwar eine, die den Lobautunne­l in Wien bauen will. Wird man Sie dann wieder demonstrie­ren sehen?

Da wird es Proteste geben, und ich würde sicher auch vorbeischa­uen. Das heißt, dass ich natürlich weiterhin politisch aktiv bleibe, dass ich auch solche Aktionen unterstütz­en werde. Ob ich dann selber vor Ort sein würde, weiß ich nicht, weil wenn man in die Position eines EU-Abgeordnet­en geht, muss man die politische Position bestmöglic­h nutzen und einsetzen – ob das in den Ausschüsse­n ist, ob das im Parlament in einer Sitzung ist oder beim Protest ist, wird darauf ankommen, wie sich die Lage entwickelt.

Das komplette Interview mit Video finden Sie auf kurier.at

 ?? ?? Klimaaktiv­istin Lena Schilling wechselt in die EU-Politik. Sie tritt als Spitzenkan­didatin für die Grünen an
Klimaaktiv­istin Lena Schilling wechselt in die EU-Politik. Sie tritt als Spitzenkan­didatin für die Grünen an

Newspapers in German

Newspapers from Austria