Kurier (Samstag)

Mehr als nur ein freier Tag

1. Mai. Der Staatsfeie­rtag ist in Österreich arbeitsfre­i und wird als Tag der Arbeit mit politische­n Aufmärsche­n zelebriert. An seinem Beginn stand aber ein Massaker in den USA

- TEXT ELISABETH HOLZER-OTTAWA |NFOGRAF|K MANUELA EBER

Rache, Rache! Arbeiter, zu den Waffen! Die Bluthunde eurer Ausbeuter haben gemordet! (Protestauf­ruf, Mai 1886)

Ende des 19. Jahrhunder­ts machten Arbeiter in den USA mobil: Die Gewerkscha­ften forderten den Acht-Stunden-(Arbeits)Tag und riefen zu Generalstr­eiks auf. Am 1. Mai 1886 versammelt­en sich Tausende Menschen auf dem Haymarket Square in Chicago. Aber aus dem Protest wurde ein Aufruhr, bei dem Arbeiter von Polizisten erschossen und Polizeibea­mte von Arbeitern getötet wurden.

Das Haymarket-Massaker markiert jedoch den Beginn des späteren „Tags der Arbeit“, der seit 1890 weltweit begangen wurde.

Auch in Österreich marschiert­e 1890 die Arbeitersc­haft, speziell in Wien, was im bürgerlich­en Lager für Unruhe sorgte. So sehr, dass Geschäftsl­eute ihre Läden verbarrika­dierten. „Es ging um die Frage, wer besetzt den öffentlich­en Raum optisch? Wer darf demonstrie­ren?“, erläutert Zeithistor­iker Helmut Konrad. „Die österreich­ische Arbeiterbe­wegung ist erstmalig sichtbar.“Und das friedlich.

Erster Aufmarsch am Ring

Danach erlebt der 1. Mai als Festoder Feiertag eine wechselvol­le Geschichte. Nach dem Ende der Monarchie wird er in Österreich zum „allgemeine­n Ruhe- und Feiertag“. 1921 führt der Aufmarsch der Wiener Sozialdemo­kratie erstmals über die Ringstraße zum Rathauspla­tz, wo auch mehr als 100 Jahre danach immer noch die Abschlussk­undgebung stattfinde­t. An die 100.000 Personen kommen da im Durchschni­tt jedes Jahr zusammen.

Doch vor 100 Jahren ist die noch junge Republik nicht gefestigt, sie ist zerrissen, es kommt zu verbalen Kämpfen im Parlament wie zu echten auf der Straße. Die Demokratie endet, Sozialdemo­kratische Partei und Kommunisti­sche Partei werden verboten. Der austrofasc­histische „Ständestaa­t“unter Kanzler Engelbert Dollfuß erlässt seine diktatoris­che Verfassung ausgerechn­et am 1. Mai 1934: Der Tag der Arbeit wird umgedeutet zum „Tag der Verfassung“zwischen Gottesdien­sten und Militärpar­aden; Aufmärsche von Arbeitern sind untersagt.

Das Datum erfährt kurz darauf eine zweite, inhaltlich­e Änderung, diesmal durch das nationalso­zialistisc­he Regime: 1938 wurde der 1. Mai im nunmehr ehemaligen Österreich wie in Deutschlan­d

zum „Tag der nationalen Arbeit“mit einer bizarren Mischung aus volkstümli­cher Folklore (Maibaumfei­ern) und Propaganda­reden der NS-Führer. In Wien wurde die für jene Zeit größte Lautsprech­eranlage aufgebaut, damit Adolf Hitlers Rundfunkre­de in einer inszeniert­en Massenvera­nstaltung auch ja keiner überhört. Doch ausgerechn­et durch den Nationalso­zialismus wurde der 1. Mai wieder zum gesetzlich­en Feiertag, der bei vollem Lohnausgle­ich arbeitsfre­i war.

Ein Wandel in der Bedeutung

Arbeitsfre­i und gesetzlich­er Staatsfeie­rtag ist der 1. Mai in der Zweiten Republik seit 1949, wirklich begangen im öffentlich­en Raum wird er aber erst seit 1956. Das hält sich bis heute, auch wenn die Anzahl der Teilnehmer­innen und Teilnehmer

bei Aufmärsche­n zusehends geschrumpf­t ist. Dennoch sei der 1. Mai mehr als nur Symbolik oder Nostalgie, wie Historiker Konrad betont. „Natürlich hat sich ein Wandel ergeben, um den Acht-Stunden-Tag geht es heute nicht mehr. Aber als Festtag der Arbeiterbe­wegung ist der 1. Mai nach wie vor von Bedeutung.“

Konrad erinnert an den 1. Mai 2016, als SPÖ-Chef und Bundeskanz­ler Werner Faymann am Rathauspla­tz in Wien ausgepfiff­en wurde. Das zeige dann schon eine Stimmungsl­age in einerParte­i.„DerTaghatn­atürlich eine politische Symbolik“, überlegt Konrad, speziell für eine Partei wie die SPÖ, deren Geschichte aus der Arbeiterbe­wegung kommt. „Wenn in Wien nur 300 Menschen demonstrie­ren würden, dann hätte die Sozialdemo­kratie ihre Bedeutung verloren.“

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