Mehr als nur ein freier Tag
1. Mai. Der Staatsfeiertag ist in Österreich arbeitsfrei und wird als Tag der Arbeit mit politischen Aufmärschen zelebriert. An seinem Beginn stand aber ein Massaker in den USA
Rache, Rache! Arbeiter, zu den Waffen! Die Bluthunde eurer Ausbeuter haben gemordet! (Protestaufruf, Mai 1886)
Ende des 19. Jahrhunderts machten Arbeiter in den USA mobil: Die Gewerkschaften forderten den Acht-Stunden-(Arbeits)Tag und riefen zu Generalstreiks auf. Am 1. Mai 1886 versammelten sich Tausende Menschen auf dem Haymarket Square in Chicago. Aber aus dem Protest wurde ein Aufruhr, bei dem Arbeiter von Polizisten erschossen und Polizeibeamte von Arbeitern getötet wurden.
Das Haymarket-Massaker markiert jedoch den Beginn des späteren „Tags der Arbeit“, der seit 1890 weltweit begangen wurde.
Auch in Österreich marschierte 1890 die Arbeiterschaft, speziell in Wien, was im bürgerlichen Lager für Unruhe sorgte. So sehr, dass Geschäftsleute ihre Läden verbarrikadierten. „Es ging um die Frage, wer besetzt den öffentlichen Raum optisch? Wer darf demonstrieren?“, erläutert Zeithistoriker Helmut Konrad. „Die österreichische Arbeiterbewegung ist erstmalig sichtbar.“Und das friedlich.
Erster Aufmarsch am Ring
Danach erlebt der 1. Mai als Festoder Feiertag eine wechselvolle Geschichte. Nach dem Ende der Monarchie wird er in Österreich zum „allgemeinen Ruhe- und Feiertag“. 1921 führt der Aufmarsch der Wiener Sozialdemokratie erstmals über die Ringstraße zum Rathausplatz, wo auch mehr als 100 Jahre danach immer noch die Abschlusskundgebung stattfindet. An die 100.000 Personen kommen da im Durchschnitt jedes Jahr zusammen.
Doch vor 100 Jahren ist die noch junge Republik nicht gefestigt, sie ist zerrissen, es kommt zu verbalen Kämpfen im Parlament wie zu echten auf der Straße. Die Demokratie endet, Sozialdemokratische Partei und Kommunistische Partei werden verboten. Der austrofaschistische „Ständestaat“unter Kanzler Engelbert Dollfuß erlässt seine diktatorische Verfassung ausgerechnet am 1. Mai 1934: Der Tag der Arbeit wird umgedeutet zum „Tag der Verfassung“zwischen Gottesdiensten und Militärparaden; Aufmärsche von Arbeitern sind untersagt.
Das Datum erfährt kurz darauf eine zweite, inhaltliche Änderung, diesmal durch das nationalsozialistische Regime: 1938 wurde der 1. Mai im nunmehr ehemaligen Österreich wie in Deutschland
zum „Tag der nationalen Arbeit“mit einer bizarren Mischung aus volkstümlicher Folklore (Maibaumfeiern) und Propagandareden der NS-Führer. In Wien wurde die für jene Zeit größte Lautsprecheranlage aufgebaut, damit Adolf Hitlers Rundfunkrede in einer inszenierten Massenveranstaltung auch ja keiner überhört. Doch ausgerechnet durch den Nationalsozialismus wurde der 1. Mai wieder zum gesetzlichen Feiertag, der bei vollem Lohnausgleich arbeitsfrei war.
Ein Wandel in der Bedeutung
Arbeitsfrei und gesetzlicher Staatsfeiertag ist der 1. Mai in der Zweiten Republik seit 1949, wirklich begangen im öffentlichen Raum wird er aber erst seit 1956. Das hält sich bis heute, auch wenn die Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
bei Aufmärschen zusehends geschrumpft ist. Dennoch sei der 1. Mai mehr als nur Symbolik oder Nostalgie, wie Historiker Konrad betont. „Natürlich hat sich ein Wandel ergeben, um den Acht-Stunden-Tag geht es heute nicht mehr. Aber als Festtag der Arbeiterbewegung ist der 1. Mai nach wie vor von Bedeutung.“
Konrad erinnert an den 1. Mai 2016, als SPÖ-Chef und Bundeskanzler Werner Faymann am Rathausplatz in Wien ausgepfiffen wurde. Das zeige dann schon eine Stimmungslage in einerPartei.„DerTaghatnatürlich eine politische Symbolik“, überlegt Konrad, speziell für eine Partei wie die SPÖ, deren Geschichte aus der Arbeiterbewegung kommt. „Wenn in Wien nur 300 Menschen demonstrieren würden, dann hätte die Sozialdemokratie ihre Bedeutung verloren.“